Bärbel Höhn spricht die Wahrheit im Deutschlandfunk aus, vielleicht ohne sich dieser tieferen Bedeutung ihrer Worte bewusst zu sein: „Alle Entscheidungen, die wir in der Vergangenheit gesehen haben, … hat Gabriel immer gewonnen gegen Barbara Hendricks“, sagte sie am Mittwoch im Radiointerview. Also mit anderen Worten: Der Bundeswirtschaftsminister siege bisher stets über die Bundesumweltministerin. Höhn, Vorsitzende des Umweltausschusses des Deutschen Bundestags und Grünen-Umweltpolitikerin, dürfte in dem Interview vom Mittwoch nur den seit Regierungsantritt 2013 schwelenden Streit zwischen Gabriel und Hendricks über die Klimaziele der Bundesregierung meinen. In Wahrheit macht sie auch Schluss mit einem Missverständnis und einer von vielen in der Erneuerbaren-Branche gehegten Illusion.
Denn Gabriel gilt in der öffentlichen Wahrnehmung wohl unumstritten als guter Redner, Kämpfer – und als Umweltpolitiker: seit er dieses Ministeramt in der ersten großen Koalition von Kanzlerin Merkel innehatte. Damals hatte der Sozialdemokrat als kräftiger Fürsprecher von Energiewende und Atomausstieg auf sich aufmerksam gemacht. Er konnte so erfolgreich sogar sein Image des sprunghaften, zu allem bereiten und unseriösen Karrierepolitikers fast abstreifen, das ihm seit einer Strafversetzung durch den damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder auf den Posten eines Popbeauftragten angehaftet hatte. Der als unduldsam bekannte Basta-Kanzler Schröder hatte ihm so wegen eines frechen Auftretens in der SPD eine Lehre erteilen wollen.
Grundstruktur einer konzernfreundlichen Politik
Doch genau in der Wahrnehmung als überzeugter Energiewendepolitiker liegt offenbar der Fehler: Schon in der rot-grünen Schröder-Regierung war die Grundstruktur der traditionell wirtschaftsfreundlichen Bundesregierungen deutlich geworden, mit der diese unabhängig von der jeweiligen Kanzlerschaft seither einen Spagat ausüben. Damals war der Grünenpolitiker und Umweltminister Jürgen Trittin – in Medien und auch von seinem Kanzler Schröder als Spinner abqualifiziert – im steten Clinch mit verschiedenen sozialdemokratischen Wirtschaftsministern gelegen. Der Spagat besteht seither darin, einerseits glaubwürdig den Willen zur Energiewende zu vertreten, andererseits diese aber zu Gunsten der alten Energiewirtschaft abzubremsen. Auch Gabriel musste in der auf Schröder folgenden ersten großen Koalition von SPD und CDU als Umweltminister so gegen das Beharren der Wirtschaftsminister ankämpfen.
In der zwischenzeitlichen Merkel-Koalition von CDU und der besonders Energiewende-skeptischen FDP danach hatte die deutsche Regierungspolitik unter der Politvirtuosin Merkel eine besondere Finte ausgedacht: Sowohl der erste Umweltminister von Schwarz-Gelb, Norbert Röttgen, als auch dessen Nachfolger Peter Altmaier wirkten in den längsten Phasen ihres Schaffens doch eher wie Umweltministerdarsteller, die nur zum Schein ihre Rolle einnahmen, letztlich aber die Energiewende auf einen sanften Kompromisskurs mit den Wirtschaftsinteressen ihres Kabinettskollegen hinsteuerten. Nur das Fukushima-Unglück, die Atomreaktorkatastrophe in Japan im Jahr 2011, hatte damals das Ende des Atomausstiegs in Deutschland verhindert – und Merkel zu einem einzigen beherzten Schritt in die Energiewende bewegt: Einen echten Ausstiegsbeschluss. Die Energiewende durften danach Altmaier und Wirtschaftsminister Philip Rösler dennoch gemeinsam abzubremsen versuchen.
Das schwarz-gelbe Spiel mit Täuschungen und Enttäuschungen mag die Illusion auf eine neue Zeit unter Gabriel gestärkt haben. Zwar warnten früh manche, Gabriel habe sich immer wenn es konkret wurde auch schon in seiner Zeit als Umweltminister nicht als besonders offen für Anregungen aus der Erneuerbaren-Branche gezeigt. Doch schien die von Gabriel betriebene Übernahme der Zuständigkeit auch für die erneuerbaren Energien aus dem Umweltministerium vielversprechend. Die Hoffnung lautete: Der Umweltpolitiker und Energiewendebefürworter hat nun alle Hebel in der Hand, um die Energiewende auf klaren Kurs zu bringen, kann womöglich gar die Wirtschaft und ihre Konzerne zähmen und zusammen mit seiner Parteifreundin, Umweltministerin Barbara Hendricks, die Energiewende vorantreiben.
Gabriel hat alle Hebel in der Hand
Die Realität ist ernüchternd: Nun hat Gabriel alle Hebel für die Umwandlung der Energiewirtschaft in der Hand – und ist doch nur der Wirtschaftsminister alter Prägung. Seine Politik schont die heutige Konzernlandschaft so gut es geht. Einziger Unterschied zu den verteilten Rollen von früher: Die Umweltministerin hat mangels Zuständigkeit keine Möglichkeit dagegenzuhalten.
Wie die Missverständnisse noch fortwirken, zeigen die Äußerungen Höhns im Deutschlandfunkinterview genauso wie mancherorts journalistische Berichterstattung. So mutmaßt Höhn, Gabriel fahre „alles an die Wand“. Er handele deshalb so, weil er „machtlüstern“ sei und im sozialdemokratischen Stammland Nordrhein-Westfalen (NRW) sich die Zustimmung und die Wählerstimmen der dort ansässigen Energiekonzerne und ihrer Belegschaften sichern wolle. Denn 2017 wolle er selbst Kanzler werden, mutmaßt Höhn, und sei auf die Stimmen aus NRW angewiesen.
Lobby- statt Zukunftspolitik
Nein, Wirtschaftspolitik in Deutschland ist eben nur weiterhin keine Energiewendepolitik für eine neue Energiebranche, sondern Lobbypolitik im Interesse der bestehenden Unternehmen. Deswegen geht beispielsweise auch ein Kommentar der Wochenzeitung Die Zeit fehl. Diese schreibt: „Würden Kraftwerke abgeschaltet und somit Strom aus dem Netz genommen, würde die Stromwirtschaft sogar profitieren, die langfristige Versorgungssicherheit würde zunehmen. Die Frage ist eben nur, wessen Kraftwerke dran glauben müssen. Ein typisches Gefangenendilemma.“ Außerdem rechnet sie korrekt vor: „Weniger Kraftwerkskapazität würde für steigende Preise sorgen, das stimmt. Steigende Großhandelspreise ließen aber die Ökostromumlage sinken; die Wirkungen für die Privathaushalte hielten sich deshalb in Grenzen. Die industriellen Großverbraucher von Strom, die kaum EEG-Umlage zahlen, würden dagegen den Preiseffekt deutlich spüren. Aber genau das dürfte sie animieren, die immer noch vorhandenen Potenziale zum Stromsparen zu nutzen.“
Falsch ist nämlich, dass ein Wirtschaftsminister nach herrschendem Politikverständnis Politik für die Zukunft machen soll. Dieses Feld bleibt der energiewirtschaftlich machtlosen Hendricks vorbehalten. Wie gut, dass der Atomausstieg und die Energiewende im Grundsatz immerhin festgeschrieben sind.
(Tilman Weber)