Das fängt gut an. „Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen“, ruft Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatts, der versammelten deutschen Energiebranche zu. Und setzt eins drauf: Die deutsche Energiebranche habe von Heimatfilm auf Krimi umgestellt. Mehr noch, sie stecke mitten in einer „Energierevolution“. Anders formuliert: Die erneuerbare Energiewelt ist viel komplexer als die alte und es ist offen, wer auf der Strecke bleibt. „Es eröffnet sich eine Welt neuer Möglichkeiten, wo jeder Erfolg haben oder sich auch spektakulär irren kann.“
Letzteres Zitat stammt nicht von Steingart, sondern von Johannes Teyssen, Vorstandschef von E.on. Der, so viel ist klar, will nicht auf der Verliererseite stehen. Mit der Entscheidung, Deutschlands größtes Energieunternehmen in zwei Teile zu spalten – ein erneuerbares und ein konventionelles, hat Teyssen zum Jahresende 2014 für Furore gesorgt. Der „radikale“ Schnitt habe nicht mit der deutschen Energiewende, sondern mit globalen Trends zu tun. „Wir waren überall in der Welt unterwegs“, erklärt der Energiemanager. Weltweite Umbrüche in der Energiebranche überlagerten sich mit anderen „disruptiven“ Entwicklungen, allen voran der „Digitalisierung“. Die Folge aus Sicht von Teyssen: „Langfristige Planungen stehen wie nie auf schwankender Grundlage.“
Eon: Doppelstrategie
Eon will diesen unsicheren Zeiten mit einer Doppelstrategie begegnen: Das alte Geschäft mit konventionellen Großkraftwerken weiterführen, das erneuerbare und am Kunden orientierte neue Geschäft schnell aufbauen. Ob beide Gesellschaften, wie Teyssen das sieht, tatsächlich „lange nebeneinander existieren“ können, wird sich zeigen.
Denn die Lebenslinie von Kohle in Deutschland hängt auch stark davon ab, wie das künftige Strommarktdesign hierzulande und in Europa aussieht. Um dieses Thema drehten sich deshalb die meisten Debatten auf dem Kongress. Immerhin hatten sich die beiden großen Verbände BDEW und VKU vor geraumer Zeit auf einen gemeinsamen Vorschlag zu Kapazitätsmärkten verständigt.
Dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem Interview mit dem Handelsblatt genau diesen Kapazitätsmärkten eine klare Absage erteilte, deutete sein Staatssekretär Rainer Baake auf der Tagung dann so aus: Es gäbe enorme Überkapazitäten im europäischen Strommarkt und der Minister wolle vermeiden, überflüssige Kraftwerke zu fördern. Ziel müsse eine Regelung sein, die „nötige Kapazitäten“ anreize. Welches Modell dies am Ende leisten kann, will Baake noch nicht sagen: „Es gibt da keine Vorentscheidung.“ „Glücklicherweise“ habe man bei diesem Thema „Zeit“, betonte der Staatssekretär. „Wir haben in den nächsten drei bis fünf Jahren kein Kapazitätsproblem in Deutschland.“
25 Prozent KWK?
Ganz so lange wird es aber nicht dauern, bis eine Richtung absehbar ist. Nicht nur Sigmar Gabriel, die Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst hat sich kürzlich skeptisch zu Kapazitätsmärkten geäußert. Welche Lösung die Bundesregierung stattdessen präferiert – etwa eine „Kapazitätsreserve“, die Baake als „eine Option“ konkret benennt – wird sich im Laufe dieses Jahres zeigen. Denn bis zum Sommer will das Bundeswirtschaftsministerium ein Weißbuch zum künftigen Strommarktdesign vorlegen, das die Bedingungen klarer umreißt. Parallel dazu kommt aus dem gleichen Haus eine Gesetzesnovelle zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Nur eine der vielen spannenden Frage hierbei: Bleibt es bei dem bisherigen Ziel eines Anteils von 25 Prozent Strom aus KWK?
Und sonst? Die Handelsblatt-Tagung spiegelt die Komplexität der aktuellen Debatten, ihre Paralleluniversen und Brüche. Da beklagen Industrievertreter zu hohe Strompreise, andere jammern über das niedrige Strompreisniveau. Da wird der Emissionshandel als Premium-Instrument der Klimapolitik gepriesen, und manche wollen seine Ineffizienzen dennoch so belassen.
Derweil schreitet der Wandel voran und verschiebt bekannte Muster. Staatssekretär Rainer Baake, frisch von einer Energiekonferenz aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zurück, hält den Teilnehmern die Zeitungsschlagzeilen zu einer dortigen Ausschreibung für Photovoltaik-Freiflächenanlagen vor die Nase: „Stunningly cheap“. Das beste Gebot habe bei 4,8 Eurocent für „mehrere hundert Megawatt“ gelegen. Gaskraftwerke wären zu 50 Prozent teurer gewesen. „Diese Revolution“, so Baake, „findet jetzt überall statt.“
(Hanne May, ergo Unternehmenskommunikation)