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Flexible Last

Katharina Wolf

Überraschend einfach sieht die Lösung für ein Problem in der komplizierten Gemengelage aus Industrie und Energiewende aus: ein schlichter Standardcontainer. Kraftblock, so heißt der Hochtemperatur-­Wärmespeicher, der sich hinter diesem schlichten Container verbirgt. Er soll einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung und Flexibilisierung der energieintensiven Industrie leisten. Und einfach, so sagt Martin Schichtel, Geschäftsführer des Start-ups Kraftblock, sei auch die Technologie. „Unser Motto ist: Keep it small and simple.“

Die Idee: Der eigentliche Speicher ist immer der gleiche, je nach Anwendung in unterschiedlicher Größe. Die Technik, die zum Laden und Entladen gebraucht wird, befindet sich außerhalb und kann flexibel angepasst werden. Der Kraftblock kann deshalb sowohl überschüssigen Strom aus Wind und Sonne als auch verfügbare Wärme aus Abwärme oder Solar­thermie speichern. Beim Laden mit Strom kommt ein Widerstandserhitzer zum Einsatz, der wie ein überdimensionierter Haarföhn die Energie in Wärme bis zu 1.300 Grad Celsius umwandelt und in den Speicher bläst. Abwärme kann meist direkt eingeleitet werden. Flexibel ist auch die Entladung: Je nach Bedarf könne Wärme in einem Bereich zwischen der maximalen Speichertemperatur und 50 Grad Celsius entladen und dabei von Luft auf andere Wärmeträger wie Dampf, Thermoöl oder Wasser übertragen werden, so Schichtel. „Wir können Prozesswärme, Fernwärme und mobile Wärme bereitstellen oder wieder Strom erzeugen, je nachdem, wie das System aufgebaut wird.“ Der modulare Aufbau erlaube auch, unterschiedliche Speicher mit verschiedenen Wärmequellen zu verbinden und unabhängig voneinander zu entladen.

Wir können Prozesswärme, Fernwärme und mobile Wärme bereitstellen.

Martin Schichtel, Geschäftsführer, Kraftblock

Ein weiterer Clou sitzt im Speicher: „Wir haben ein neues Material entwickelt, das zu 85 Prozent aus Stahl- oder Glasschlacke besteht. Damit nutzen wir ein unkritisches Abfallprodukt, bei dem es nicht zu Lieferengpässen kommt, da es seit Beginn der Stahl­industrie auf Deponien in der ganzen Welt liegt“, erläutert der Firmengründer. Je nach Anwendung kann das Ausgangsmaterial modifiziert und optimal an den Prozess angepasst werden. Das Ergebnis: ein Speicher, der Wärme von wenigen Minuten bis zu zwei Wochen speichern kann, dabei über eine Kapazität von bis zu 1,2 Megawattstunden pro Kubikmeter verfügt, eine Effizienz von bis zu 98 Prozent aufweist und mindestens 40 Jahre hält, wenn man ihn einmal am Tag entlädt.

„Wirtschaftlich interessant ist unser Speicher vor allem für Nieder- und Mitteltemperaturanwendungen zwischen 120 und 400 Grad“, sagt Schichtel. Erste Forschungsprojekte hat das Start-up umgesetzt: Seit 2023 nutzt eine mobile Wärmeeinheit die Abwärme eines Blockheizkraftwerks, im Oktober geht eine Anlage zur Nutzung von Fackelgas in einem Stahlwerk in Betrieb. Und auch ein erstes kommerzielles Projekt steht kurz vor der Inbetriebnahme: Der Snackproduzent Pepsico ersetzt in einer Fabrik im niederländischen Broek op Langedijk einen gasbetriebenen 25-Megawatt-Kessel durch ein Kraftblock-System und dekarbonisiert so das Frittierverfahren für Kartoffelchips. Dabei wird Windstrom über eine Power-to-Heat-Anlage in den Kraftblock eingespeichert. Dieser erhitzt das Thermalöl, das die Fritteusen mit Wärme versorgt. Mehr als 98 Prozent der energiebedingten Emissionen des Werks würden mithilfe dieses derzeit größten kommerziell installierten Hochtemperatur-Speichersystems vermieden, so Pepsico. Grundsätzlich sei das Interesse der Industrie groß, sagt Schichtel. Allerdings: Aus Indien oder Kanada kommen mehr konkrete Projektanfragen als aus Deutschland.

Unternehmen müssen handeln

Doch das könnte sich ändern. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) plant eine Änderung der Netzentgeltverordnung mit Folgen für die energieintensive Industrie. Konkret geht es um die Abschaffung von zwei Netzentgeltrabatten, die sich in Summe auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr belaufen und von denen insgesamt 4.600 Unternehmen profitieren: die atypische Netznutzung, bei der industrielle und gewerbliche Letztverbraucher ein reduziertes Entgelt zahlen, wenn ihre Jahreshöchstlast von der Jahreshöchstlast aller Entnahmen aus dem Netz abweicht, die Bandlast, also die Abnahme einer konstant gleichbleibenden Grundlast.

98 Prozent weniger energiebedingte Emissionen im Werk erreicht der Snackproduzent Pepsico im niederländischen Broeck op Langedijk durch Windstrom und ­Power-to-Heat.

„Die alten Netzentgeltrabatte entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist“, begründet BNetzA-Präsident Klaus Müller die Reform. Künftig soll netzdienliches Verhalten belohnt werden: Reduzierte Netzentgelte gibt es nur, wenn in Situationen mit hohem Strom­angebot mehr Strom oder in Zeiten eines knappen Stromangebots weniger Strom verbraucht wird. Das Konsultationsverfahren ist gerade abgeschlossen, Anfang 2025 sollen konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen. 2026 soll die Reform in Kraft treten. Wie genau die Anreizmechanismen aussehen sollen, hänge von den technischen Möglichkeiten der Industrie ab, Mengen- und Preisentwicklungen zu prognostizieren und flexibel zu reagieren, versucht die Bundesnetzagentur möglichen Protesten entgegenzuwirken. Es solle keine Überforderung geben, sondern das tatsächlich vorhandene und künftig erreichbare Flexibilitätspotenzial realisiert werden.

Industrie äußert Bedenken

Doch die Botschaft kommt noch nicht recht an. „Nicht alle Unternehmen können Flexibilitäten anbieten – auch diese dürfen nicht auf der Strecke bleiben“, warnt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und mahnt: „Die Flexibilisierung ist nur umsetzbar, wenn der Preisvorteil einer flexiblen Fahrweise größer ist als die Nachteile.“ Sicherheitshalber fordert der VCI schon mal eine Übergangsregelung über 2030 hinaus.

Auch der Mittelstand hat Bedenken: Dem Bundesverband der Energie-Abnehmer (VEA), der die Interessen energieintensiver mittelständischer Unternehmen vertritt, geht es vor allem um eine möglichst unbürokratische Lösung und Planungssicherheit. „Der Kreis an Unternehmen, die sich am von der BNetzA vorgeschlagenen Verfahren beteiligen könnten, ist gering“, sagt VEA-Geschäftsführer Christian Otto. Der Mittelstand könne keine eigenen Abteilungen und Personal vorhalten, um täglich Preissignale zu prüfen und die eigene Produktion anzupassen. Auch er befürchtet, dass der Benefit aus der Neuregelung kleiner sein wird als der Aufwand, der mit dem Anpassen der eigenen Produktion an die Verfügbarkeiten von grünem Strom verbunden ist.

Für Martin Schlichting ist die geplante Reform eine gute Nachricht. „Wir sind froh, dass die Bundesnetzagentur auf die veränderten Bedingungen reagiert“, sagt der Kraftblock-Geschäftsführer. Länder wie Kanada verfolgten diesen technisch und politisch sinnvollen Ansatz schon lange. „Unternehmen in Deutschland sind sehr risikobewusst“, sagt er. Doch auch sie müssten sich auf den Weg in Richtung Klimaneutralität machen. Und fürs Aufnahmen billigen Stroms zu Zeiten niedriger Börsenpreise und flexibler Versorgung der Industrie stehe ja auch sein schlichter Container zur Verfügung.

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