Für die dauerhaft erfolgreiche Umstellung auf erneuerbare Energien braucht es vor allem in Städten neue Ansätze. Denn 75 Prozent des Energie- und Ressourcenverbrauchs entstehen laut Forschungsverbund für Erneuerbare Energien (FVEE) im urbanen Raum. Der Trend geht zur Entwicklung und Implementierung von sogenannten Smart-City-Konzepten, die die Themen Energieverbrauch, -verteilung und -erzeugung neu angehen. Dass dieser Trend keine Eintagsfliege bleiben dürfte, legt eine Studie des Branchenverbands VDE nahe: 67 Prozent der 1.300 befragten deutschen Unternehmen erwarten, dass bis spätestens 2030 Smart Citys in einem volkswirtschaftlich bedeutenden Umfang entstehen werden. In Europa gibt es bereits 60 Smart-City-Pilotprojekte.
Zusammenspiel aller Energieformen
Allein zehn davon sind in Österreich angesiedelt. Überhaupt gehört das Land zu den Vorreitern im Hinblick auf Erneuerbare: 75 Prozent der inländisch produzierten Energie stammen dort bereits aus erneuerbaren Energiequellen. Ein Mammutprojekt im Bereich moderner Stadtentwicklung mit europaweiten Auswirkungen nahm nimmt seit Herbst 2014 in Innsbruck und Bozen seinen Ausgang: Im Rahmen des EU-Projekts Sinfonia arbeiten 37 Partner aus acht europäischen Ländern an der Umsetzung von nachhaltigen Lösungen für ganze Stadtteile, sogenannte Smart Districts. Die Sanierung von Bestandsgebäuden und die Modernisierung von Strom-, Wärme- und Kältenetzen sollen den Energieverbrauch halbieren und den Anteil erneuerbarer Energie nach oben schrauben. In 14 weiteren Städten in ganz Europa sollen die dort erprobten Smart-City-Errungenschaften aufgegriffen und gegebenenfalls adaptiert werden.
Laut der Standortagentur Tirol, die den Innsbrucker Projektteil koordiniert, sind die geplanten Maßnahmen in Innsbruck darauf ausgerichtet, dass sie auch in anderen Städten gut replizierbar sind. Sie konzentrieren sich dabei auf die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen, die Optimierung von Wärme- und Kältenetzen, die Sanierung von Wohngebäuden und den Aufbau von intelligenten Energienetzen, sogenannten Smart Grids. Für die Maßnahmen im Gesamtwert von 43,1 Millionen Euro stellt die EU im Rahmen der Förderlinie „Smart Citys amp; Communities“ des siebten EU-Forschungsrahmenprogramms 27,5 Millionen Euro zur Verfügung. Allein in Innsbruck sollen dadurch Investitionen in Höhe von 125 Millionen Euro ausgelöst werden.
Österreichs Vorreiterposition in Sachen Wasserkraft – kein anderes EU-Land erzeugt flächenbezogen so viel Energie aus Wasser (35 Tonnen Öleinheit pro Quadratkilometer) wie die Alpenrepublik – spiegelt sich auch in Innsbrucks Smart-City-Konzept wider. Dort soll Wasser aus dem Inneren der Berge durch ein komplexes Leitungssystem aus dem 55 Kilometer langen, noch im Bau begriffenen Brennerbasistunnel zwischen Nord- und Südtirol ausgeleitet werden, um es als Energiequelle zu nutzen. Das Wasser hat eine konstante Temperatur von 22 Grad. Mittels Wärmepumpen kann es zum Heizen und Kühlen von großen Gebäuden wie Einkaufszentren verwendet werden. 20.000 Megawattstunden kann diese Maßnahme etwa an Energie bringen.
Solardach, Dämmung, Speicherung
Darüber hinaus werden mehr als tausend Wohnungen in Innsbruck und Bozen saniert. In Innsbruck betrifft das Wohnflächen von bis zu 66.000 Quadratmeter, deren Heizwärmebedarf zum Teil mithilfe von kontrollierten Komfortlüftungen, Solarenergieanlagen und innovativen Dämmmethoden bis auf Passivhausniveau für Sanierungen, den sogenannten Enerphit-Standard, gesenkt werden soll. Erzeugungs-, Verbrauchs- und Speicherelemente von elektrischem Strom sollen im Rahmen von Smart Grids miteinander kommunizieren. Abwärme aus Industriebetrieben und dem Abwassersystem werden – so wie das Wasser aus dem Brennerbasistunnel – für den Ausbau der Wärmenetze berücksichtigt. Der veränderte Energiebedarf und das Raumklima in den sanierten Wohnungen werden zudem ein Jahr lang von der Universität Innsbruck genau gemessen.
Die Maßnahmen sollen in Innsbruck eine Einsparung von fossilen Energieträgern um 44 Prozent und eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie um 27 Prozent bringen. Innsbrucks Vorbildszenario sieht vor, dass 2025 nur mehr 1.048 Gigawattstunden/Jahr (GWh/a) aus Erdöl, Gas und Co stammen. 2009 waren es noch knapp 1.900 GWh/a.
Fünf der 14 assoziierten Projektstädte sind sogenannte Early-Adopters. Dort soll jeweils überprüft werden, ob sich die Erkenntnisse aus den beiden Pionierstädten, angepasst an das individuelle Umfeld, tatsächlich replizieren lassen. Neben Sevilla, La Rochelle, Pafos (Zypern) und Boras (Schweden) gehört auch Rosenheim bei München zu den Early-Adopter-Citys. Gerade Verbesserungen im Fernwärmenetz, die in Innsbruck entwickelt werden, sind für Rosenheim interessant. Laut Titus Mennicken vom Fraunhofer-Zentrum für Bautechnik vor Ort kann Rosenheim bereits auf Erfolge im Smart-City-Bereich verweisen und hat Erfahrungen durch die Nullenergiestadt, die auf einem ehemaligen Kasernengelände im Stadtteil Mietraching entsteht. Neun weitere sogenannte Cluster-Städte, die an einer Adaptierung der Maßnahmen aus Innsbruck und Bozen interessiert sind, werden das Projekt neben den enger eingebundenen Early-Adopter-Städten beobachten.
Österreich setzt auf Nachhaltigkeit
Jenseits des Smart-City-Projekts in Innsbruck sind erneuerbare Energien generell ein großes Thema in Österreich: In Relation zur Fläche ist Österreich mit 99,69 Öleinheiten (rund 1.200 Kilowattstunden) je Quadratkilometer der zweitgrößte Produzent erneuerbarer Energien in der EU. Mit einem Anteil von 32,1 Prozent am Gesamtenergieverbrauch befindet sich die Alpenrepublik unter den Top fünf in Europa. Ziel ist es, den Anteil an erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 auf 85 Prozent zu bringen. Die Erkenntnisse aus der Smart City Innsbruck könnten hier eine tragende Rolle spielen.
Dieser Fachbeitrag von Bernhard Bachleitner, Direktor ABA-Invest in Austria, Projektleiter für die Region Deutschland/Süd, Experte für die Sektoren Umwelttechnik sowie erneuerbare Energien, ist in der Mai-Ausgabe von Erneuerbare Energien erschienen. Gefällt er ihnen? Dann bestellen Sie doch ein kostenloses Probeabo.