Ist die aktuelle gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische Lage für die Energiewende eine gute oder eine schlechte?
Dennis Rendschmidt: Das kann man selbstverständlich nicht so einfach mit Ja oder Nein beantworten! Um die vielen Aspekte dieser Lage zunächst einmal auseinanderzunehmen: Wir haben eine starke politische Unterstützung der Energiewende – und hier sehe ich auch mit der neuen Bundesregierung als Akteur einen echten Unterschied zur vorherigen. Und dieser wichtige Impuls aus der Berliner Politik wirkt ja schon ein paar Monate länger als der jetzt gerade die aktuellen Debatten bestimmende Ukrainekrieg. In den vergangenen Jahrzehnten war lange strittig, wann und wie stark wir CO2 reduzieren sollten. Jetzt haben wir eine Konstellation, in der die Klimaschutzpolitik sowohl gesellschaftlich als auch parteipolitisch in Gestalt der Koalition der Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP breit aufgestellt ist. Jetzt haben wir so etwas wie einen Konsens: 2045 muss Deutschland klimaneutral sein, der Kohleausstieg muss am besten bis 2030 stattfinden. Jetzt geht es viel mehr als zuvor um die Implementierung dieser Klimaschutzpolitik als um die Suche nach neuen Kompromissen. Insofern sind wir da gefühlt auf dem richtigen Weg. Und unsere Ziele stehen fest. Natürlich ist zur Umsetzung aber auch noch eine ganze Menge zu tun. Auf diesen Umsetzungsweg hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun das Gesetzesbündel des sogenannten Osterpakets auf den Weg gebracht.
Der Ukrainekrieg, auf den Sie anspielen dürften, ist zwar auch ein Thema für uns. Er beeinflusst die Stimmung im Maschinen- und Anlagenbau aber vor allem insofern, dass nun eigentlich alles noch schneller gehen muss und wird: Wir müssen noch schneller die Erneuerbaren und entsprechend noch schneller die Backup-Kraftwerke ausbauen, die zukünftig dann mit klimaneutralen Gasen betrieben werden. Dabei bleibt aber die Ausrichtung gleich. Und, auch richtig, es geht jetzt zusätzlich um die Neuorganisation der Lieferketten. Wir werden Gas künftig aus Katar beziehen, eine breitere Diversifizierung unserer Rohstofflieferungen organisieren … All das taucht in den brancheninternen Diskussionen im Maschinen- und Anlagenbaut und bei den von uns vertretenen Windenergieanlagen- und Windenergie-Komponentenherstellern auf, ist aber kein Hauptkriterium zur Einstufung einer guten oder schlechten Lage.
Sie vertreten die deutschen Maschinenbauer im Energiesektor, das sind auch Hersteller und Zulieferer für Windkraftwerke. Die wollen jetzt Enabler sein. Können sie diese Rolle als Ermöglicher jetzt in Deutschland vorführen?
Dennis Rendschmidt: Aus technologischer Sicht und auch aus Anbietersicht braucht es dafür die richtigen Rahmenbedingungen. Hier hat die Politik tatsächlich noch Hausaufgaben zu erledigen. Der Bundeswirtschaftsminister hat auch die zu langwierigen und aufwändigen Genehmigungsprozesse für neue Windparkprojekte in Angriff genommen. Er hat schon zusammen mit seiner Regierungskollegin Umweltministerin Steffi Lemke die Auflösung von Blockaden durch unsachlichen und zu komplexen Artenschutz eingeleitet. Es braucht aber auch noch Erleichterungen bei den schwer zu bekommenden Transportgenehmigungen für die Rotorblätter der Windenergieanlagen –für die Pausen der Transportfahrer für Rotorblätter müssen andere Lastwagenfahrer beispielsweise die Parkplätze auf Autobahnraststätten frei machen. Auch die Freigabe neuer Flächen für Windparkprojekte …
… durch die Bundesländer …
Dennis Rendschmidt: … ist eine Aufgabe, die Habeck kurzfristig erledigen muss. Zu gewährleisten ist aber auch eine langfristige Herangehensweise: Politik und Gesellschaft müssen wissen, dass wir als Anlagen- und Maschinenbauer zur Resilienz Deutschlands beitragen. Dann muss Deutschland auch eine Industriepolitik bekommen, mit der die Wertschöpfung beim Aufbau einer neuen Energieversorgung und deren Infrastruktur hier stattfinden muss. Und aufgrund ihrer sicherheitsrelevanten Bedeutung müssen Anlagen- oder Steuerungskomponenten von europäischen und auch gerade deutschen Herstellern kommen.
Mit Resilienz meinen Sie die Widerstandsfähigkeit von Industrie und Energiewirtschaft in Deutschland und der Europäischen Union gegen Lieferkettenengpässe: Durch eigene Produktionskapazitäten müssten die Unternehmen dafür die Schlüsselkomponenten der Energieinfrastruktur abdecken. Muss die von Ihnen gerade gewünschte Industriepolitik also Ansiedlungen mit direkten Vergünstigungen wie bei der Ansiedlung des US-Elektroautobauers Tesla in Brandenburg erfolgen. Oder durch Local-Content-Regelungen: dass neue Windparks nur dann zulässig sind, wenn sie einen bestimmten Anteil hierzulande produzierter Bauteile enthalten?
Dennis Rendschmidt: Nein, wir brauchen das nicht. Unser Anlagenbau ist im globalen Wettbewerb technologisch weit voran. Aber wir haben nicht die gleichen Rahmenbedingungen wie manche anderen Länder mit einer Windkraftindustrie. Diese Rahmenbedingungen müssen wir als qualitative Kriterien bei Windenergieausschreibungen vorgeben, um ein Level Playing Field zu bekommen: Also arbeitsschutzrechtliche Standards, Umweltschutzstandards. Dadurch erst entsteht dann ein fairer globaler Wettbewerb auf einer Ebene. Auf diese Weise garantierte gleiche Bedingungen mit guten sind uns lieber als Strafzölle auf eingeführte Ware ohne Standards. Dann bekomme ich auch Qualität ins System und eine europäische Wertschöpfung. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass uns diese Vorzüge dann auch etwas wert sein müssen: Resilienz bekommen wir nicht zu Nullkosten.
Für manche Schlüsselbauteile wie ausreichend ausgereifte Chips zur digitalen Steuerung von Energieanlagen wie zum Beispiel Windparks setzt aber doch selbst die Bundesregierung auf gezielte staatliche Förderung – wie beim Aufbau einer Chipfabrik in Magdeburg …
Dennis Rendschmidt: Das ist richtig. Und das braucht es wohl für Fertigungen von Komponenten und Technologie, die im Inland leider nicht entstanden oder durch eigene Versäumnisse der Politik wieder verschwunden ist, wie ja die der Photovoltaikanlagen vor 15 Jahren. Aber für die heimische Wertschöpfung durch Industrieunternehmen der Windkraft, damit diese hierbleiben und wirtschaftlich erfolgreich sein können, benötigen wir den beschriebenen fairen Wettbewerb. Und wir brauchen das gesellschaftliche und politische Verständnis dafür, dass es diese resiliente Energie- und gerade auch Windkraftwirtschaft und auch Wind- und Solarparks überall im Land braucht.
Auch für die Lieferung von Regelenergie oder sogenannter Systemdienstleistungen zur Stabilisierung von Netzspannung und Stromfrequenzen in den Leitungen oder zur Gewährleistung sauberer Stromkurven fordert VDMA Power Systems spezielle Märkte und Marktregeln. Haben die Regierungspolitiker für solche Spezialthemen derzeit überhaupt den Kopf frei?
Dennis Rendschmidt: Ob die Bundesregierung im Moment die Kapazitäten dazu hat, diese auch die Netzstabilisierung betreffenden Fragen zu klären, kann ich nicht beantworten. Sie hat aber angekündigt, sich in dieser Legislatur ums Strommarktdesign zu kümmern. Ich bin positiv gestimmt, dass sie das wichtige Thema anpacken will.
Ist Europa weit genug, um über die Energie- und Strommärkte dieser vielleicht ja schon näheren Zukunft nachzudenken?
Dennis Rendschmidt: Ich bin auch was Europa angeht, positiv gestimmt – was das Bekenntnis der EU angeht. Dennoch ist die Dynamik in Europa sehr viel komplexer, wenn es um die Ausgestaltungen angeht. Denn in Europa muss die Politik bekanntlich so viele ungleiche Interessen einschließen. Es gibt zwar das große Bekenntnis der EU zum Green Deal – dem Umbau der Energieversorgung zu einem nachhaltigen System. Die Ziele sind also klar, aber Wege und Instrumente dafür noch nicht.
Einigkeit besteht vielleicht am meisten darin, dass Europa ganz stark und schnell die Offshore-Windkraftkapazitäten ausbauen wird. Funktioniert dies aber ohne Entspannung der internationalen Lage, die nicht nur durch Krieg sondern auch durch militärische Manöver oder globale Handelsstreits geprägt ist? Gerade der Ausbau der Offshore-Windkraft sollte doch zunehmend in internationalem Gewässer und am besten weitgehend über nationale Grenzen hinweg, ohne logistische Einschränkungen stattfinden …
Dennis Rendschmidt: Richtig ist, bis 2030 will die Bundesregierung einen Ausbau der Offshore-Windkraft alleine vor Deutschland auf 30 Gigawatt erreichen. Diese Vervierfachung bisheriger Erzeugungskapazitäten ist eine enorme Herausforderung. Wie gesagt, bin ich überzeugt, dass die Produktionskapazitäten für diese Infrastruktur rechtzeitig entstehen, wenn die Rahmenbedingungen vorhanden und nachhaltig sind. Die eher kurzfristigen Hindernisse aktueller internationaler Spannungen und Krisen sind im Vergleich zur langfristigen Ausbauperspektive zweitrangig – zumal wenn klar ist, dass die Wertschöpfung in Europa und die Resilienz der EU-Länder für Politik und Gesellschaft etwas wert sind. Wir brauchen eher einen neuen Umgang mit Unsicherheiten und Komplexitäten. Natürlich wäre funktionierender Freihandel schön, aber hier gilt es, pragmatisch mit den Situationen umzugehen.
Macht Ihnen die Situation der unter hohen Kostensteigerungen der Rohstoffe und den Lieferengpässen besonders leidenden Windenergieanlagenhersteller keine Sorgen?
Dennis Rendschmidt: Mir würde es Sorgen machen, wenn wir es nicht schaffen, den Hochlauf schnell anzukurbeln und dafür kurzfristig die entscheidenden Hindernisse zu räumen. Ich bin aber wie gesagt hoffnungsfroh. Ich sehe, dass die Politik diese Dinge angeht: auch kleinteilige Hindernisse wie die Genehmigungen von Windparks an Land oder wie die Ausweisung von zwei Prozent der Landesflächen speziell in den Bundesländern. Die erste Auslandsreise des Bundeswirtschaftsministers hat diesen bekanntlich nach Bayern geführt, um Ministerpräsident Markus Söder zu einem Nachgeben bei den dort herrschenden bundesweit strengsten Einschränkungen für Windparks in der Umgebung von Siedlungen zu bewegen. Im Ernst: Gelingt es uns in Deutschland, ziehen die Märkte in Europa mit. Sobald Deutschland die Fesseln für die Windkraft gelöst hat, brauchen wir dann eben auch eine europäische Wertschöpfungs- und Industriestrategie!
Dies ist ein Ausschnitt aus einem Interview von der Industriemesse Hannover Messe. Ein zweiter Teil wird in der nächsten Ausgabe unseres gedruckten Magazins in den Nachrichten zu lesen sein.