Oliver Ristau
In der Vergangenheit lagen die Dänen immer vorn. Niemand in der EU zahlte für den Haushaltsstrom mehr als das skandinavische Land. Das ist seit vergangenem Jahr anders. Im zweiten Halbjahr 2017 hat Deutschland Dänemark überholt. Mit 30,5 Cent je Kilowattstunde (kWh) greifen deutsche Haushalte für ihren Strom so tief in die Tasche wie sonst niemand in der Gemeinschaft – rund 10 Cent mehr als im Schnitt der 28 EU-Mitglieder.
Zentraler Preistreiber
Ein zentraler Preistreiber sind die Netzentgelte. Nach einer Erhebung des Energieberatungsunternehmens Enet sind mittlerweile in zwei Drittel der Republik die Netzkosten höher als die EEG-Umlage. Dem Ökostromanbieter Lichtblick zufolge ist das mit über sieben Cent je kWh im Durchschnitt über alle deutschen Netzgebiete schon seit 2016 der Fall.
„Die Spreizung hat extrem zugenommen“, erklärt Geschäftsführer Gero Lücking. „In manchen Netzgebieten liegen die Entgelte bei fünf Cent, in anderen bei elf Cent je kWh“. Das Unternehmen liefert Strom in den Großteil der rund 900 Verteilnetze.
Der Preisauftrieb hat laut einer Analyse der Denkfabrik Agora Energiewende einen zentralen Grund: „Während bei den beiden anderen großen Kostenblöcke im Strompreis – EEG-Umlage und Börsenstrompreis – große Transparenz herrscht und so Diskussionen über Kosten erst möglich werden, ist das Zustandekommen der Netzentgeltentscheidungen eine Blackbox“, monieren die Autoren. „Dritte jenseits der jeweiligen Netzbetreiber und der Regulierungsbehörden erhalten kaum Einblick.“
Das gilt vor allem bei den Unternehmen, die auf der Verteilnetzstufe agieren. Sie sind für rund 80 Prozent der Netzentgelte beim Haushaltsstrom verantwortlich. Mehr als drei Viertel von ihnen werden durch Behörden der Bundesländer reguliert. Aber nur Baden-Württemberg veröffentlicht Ergebnisse der Prüfprozesse, in denen die Netzentgelte der Unternehmen in einem komplizierten Verfahren auf Basis ihrer Aktiva und Investitionspläne ermittelt werden. Laut Agora wurden stattdessen seit 2005 mehr als 2.000 Entscheidungen der Landesbehörden im stillen Kämmerlein getroffen.
Auch bei der für die großen Unternehmen – darunter die Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW – zuständigen Bundesnetzagentur (BNetzA) ist es nicht viel besser. So habe die oberste Aufsichtsbehörde in der laufenden Regulierungsperiode (2014 bis 2018) „keine einzige Entscheidung vollständig veröffentlicht“. Die Vermutung liegt nahe, dass die fehlende öffentliche Kontrolle für viele Netzbetreiber eine Art Freibrief ist, um eigene Preisvorstellungen durchzusetzen.
Handlungsbedarf bei Renditen
Der gerade von Wirtschaftsminister Peter Altmaier einberufene Netzgipfel hatte dafür keine Antwort parat. Entgelte standen nicht auf der Agenda.
Dabei gibt es dringenden Handlungsbedarf – etwa bei den Renditen, die die Regulierer den Herren der Netze zubilligen. So dürfen die Unternehmen einen Gewinn erzielen, der bezogen auf ihr Eigenkapital einer Rendite von 9,05 Prozent entspricht.
„Der Netzbetrieb ist eine Lizenz zum Gelddrucken“, kritisiert Lichtblick-Geschäftsführer Lücking. Kein Wunder, dass etwa die Düsseldorfer Eon es bei der Neuordnung des Wettbewerbers RWE auf dessen Netze abgesehen hat. Rund 80 Prozent des künftigen Geschäfts kämen in diesem Fall bei Eon aus dem Netzbetrieb – ein lukratives Geschäft offensichtlich auch für Großinvestoren und Fonds. So wollte der chinesische Staatskonzern SGCC bei 50 Hertz einsteigen. Der Bund schob dem einen Riegel vor und ließ zur Wahrung hoheitlicher Interessen die staatseigene KfW-Bank einen 20-Prozent-Anteil am Übertragungsnetzbetreiber kaufen.
Zwar hat die BNetzA reagiert und bietet für die kommende Regulierungsperiode ab 2019 nur noch eine Verzinsung von 6,9 Prozent an – eine Gewinnmarge, die nach Ansicht des Büros des Grünen-Energieexperten im Bundestag, Oliver Krischer, in der aktuellen Niedrigzinswelt immer noch üppig wäre. Dennoch laufen die Netzbetreiber gegen die Absenkung Sturm. Noch ist nicht entschieden, welche Zahlen im nächsten Jahr gelten.
Netzrendite reduzieren
Fortschritte gibt es bei Übertragungsnetzen. So werden Preisunterschiede in den vier Regelzonen ab 2022 geglättet. Das dürfte zwar zu einem Abschmelzen der Kosten führen, allerdings nur marginal. „Die Übertragungsnetze machen nur acht bis zehn Prozent der gesamten Netzentgelte aus. Der Effekt bleibt gering“, erwartet Lichtblick-Manager Lücking. Die Ökostromer schlagen stattdessen vor, die Netzrendite auf 5,5 Prozent zu reduzieren. Im Vergleich zu heute käme das einer Einsparung von 4,8 Milliarden Euro gleich und die Firmen würden immer noch Geld verdienen. Außerdem sollten die Verteilnetze zu 25 regionalen Einheiten zusammengefasst werden, statt dass 900 Unternehmen Einzelentscheidungen treffen. „Damit lassen sich die Erfordernisse der Energiewende viel effizienter umsetzen“, glaubt Lücking. Auch die Einteilung des deutschen Stromnetzes in vier Regelzonen verursache unnötige Kosten. „Eine einzige Regelzone reicht.“ Lücking schätzt, dass mit solchen Vereinfachungen die Netzentgelte spürbar sinken könnten.
Dieser Artikel ist in unserem Printmagazin 7/2018 erstmals erschienen.