Die urbane Wärmewende soll jetzt mit einem Projekt in Berlin vorangetrieben werden.iöw
Wärme zum Heizen und für Warmwasser macht ein Drittel des Energiebedarfs in Deutschland aus. Aus erneuerbaren Energien stammt dabei - anders als im Stromsektor - nur ein winziger Teil. Das Forschungsprojekt „Urbane Wärmewende“ soll nun Empfehlungen für eine sozial-ökologische Transformation der Energieinfrastruktur entwickeln. Die Stadt Berlin dient dabei als Testlabor.
„Mit den Forschungsergebnissen möchten wir den neuen Berliner Senat, aber auch Politik, Verwaltung, Unternehmen und die Zivilgesellschaft unterstützen, etwa bei Themen wie einer urbanen Wärmeplanung, bei der Identifikation von Quartierslösungen oder bei der stärkeren Kopplung der Sektoren Strom und Wärme“, sagte Projektleiter Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Das dreijährige Projekt führt das IÖW in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, der TU Berlin, der Universität Bremen und weiteren Partnern mit Förderung des Bundesforschungsministeriums durch.
Berliner Kieze erproben die Wärmewende
Wie soll das Projekt aussehen? Drei Berliner Stadtteile werden Testlabors, in denen unterschiedliche Wärmeszenarien simuliert und bewertet werden. Die Wissenschaftler zielen auf eine städtische Wärmeversorgung ab, die umwelt- und sozialverträglich sowie intelligent mit anderen Infrastrukturen vernetzt ist. Die Forscher kooperieren eng mit Akteuren aus der Praxis, um Fragen wie diese zu beantworten: Welche Entwicklungsoptionen der Wärmeversorgung sind auf Basis weitgehend CO2-freier Energieerzeugung machbar und wie können sie bewertet werden? Wie verwundbar oder robust sind die Energiesysteme? Welches Zusammenspiel von privaten und öffentlichen Akteuren ist sinnvoll? Und nicht zuletzt: Wie ist die Wärmewende betriebswirtschaftlich, wie kommunalwirtschaftlich zu bewerten?
Das Forschungsvorhaben gliedert sich in acht Bausteine:
1) Gesamtstädtische Bestandsaufnahme und Auswahl der Transformationsräume
Zunächst werden benötigte Daten für die Stadt Berlin zusammengeführt und visualisiert: zur Wärme-, Gas- und Strominfrastruktur, Gebäudestruktur, der aktuellen Wärmeversorgung, dem Sanierungszustand sowie soziodemografische und -ökonomische Daten. Anhand von zu entwickelnden Kriterien werden drei Untersuchungsgebiete als Transformationsräume ausgewählt. Somit entsteht in diesem Baustein die Grundlage für die weiteren Analysen.
2) Simulation von Optionen zur Wärmeversorgung
Im zweiten Schritt werden in den Transformationsräumen gemeinsam mit relevanten Akteuren verschiedene Systemoptionen zur Wärmeversorgung identifiziert. In einer Simulation werden folgende Zielgrößen der jeweiligen Optionen beschrieben: Wärmebedarf, erzeugte Wärme und Strom, Zusammensetzung der Energieträger, eingesetzte Technologien (zentral, dezentral) sowie Schnittstellen und Kopplungen mit anderen Infrastrukturen.
3) Bewertung von Resilienz und Vulnerabilität
Anschließend wird untersucht, welche Verwundbarkeiten – ereignisbasiert oder strukturell – entstehen, indem Teil-Energiesysteme verändert werden. Ausgehend von den Ergebnissen dieser sogenannten Vulnerabilitätsanalyse werden Ansätze definiert, um Verwundbarkeiten zu minimieren. Es wird ein Resilienzkonzept entwickelt, das auch dazu beitragen soll, dass das System möglichst widerstands- und anpassungsfähig gegenüber derzeit noch unvorhersehbaren Entwicklungen ist.
4) Ökologische Wirkungen, Exergie und Ressourceneffizienz
Ziel des vierten Bausteins ist es, die ausgewählten Systemoptionen der Wärmeversorgung anhand verschiedener Wirkungskategorien ökologisch zu bewerten. Neben einer literaturbasierten Identifikation von ökologischen Hot-Spots der Systemoptionen werden für die Infrastrukturleistungen über den gesamten Lebenszyklus Ökobilanzen erstellt. Eine energetische Bewertung erfolgt mittels Exergieanalysen.
5) Ökonomische Wirkungen, partizipative Geschäftsmodelle
Was bedeuten die ausgewählten Systemoptionen aus betriebswirtschaftlicher Sicht? In diesem Baustein werden Kostenstrukturen untersucht und betriebs- und volkswirtschaftliche Kennzahlen (z. B. Wertschöpfung) ermittelt. Des Weiteren werden Geschäftsmodelle identifiziert, die eine Teilhabe verschiedener Bevölkerungsgruppen ermöglichen. Indem unterschiedliche Akteursgruppen berücksichtigt werden, können fiskalische Verteilungs- und Beschäftigungseffekte abgeschätzt werden.
6) Governance: Institutionenökonomische und juristische Analysen
Basierend auf einem institutionenökonomischen Ansatz sollen unterschiedliche Governanceformen (Organisationsmodelle) für kommunale Energiesysteme qualitativ bewertet werden. Im Fokus steht die Frage, wie gut verschiedene Governanceformen geeignet sind, um technisch-systemische Optimierungen umzusetzen. Auch soll überprüft werden, ob/inwieweit das bestehende Regulierungsregime angepasst werden muss, um sinnvolle kommunale Lösungen zu erreichen.
7) Beteiligungsformate und Beteiligungsprozess
Das gesamte Projekt ist transdisziplinär ausgerichtet – Stakeholder, Bürger/innen und Praxispartner werden kontinuierlich in die Auswahl, Diskussion und Bewertung verschiedener Optionen der Wärmeversorgung eingebunden. Hierfür werden unterschiedlichen Formate auf unterschiedlichen Ebenen (gesamtstädtisch, in den Transformationsräumen) konzipiert. Neben einer Auftaktveranstaltung und einer Abschlussveranstaltung werden sechs Werkstätten in den ausgewählten Gebieten durchgeführt.
8) Integrierte Bewertung und Handlungsempfehlungen
Im letzten Baustein werden die Ergebnisse zusammengeführt, so dass sie integriert bewertet und Zielkonflikte zwischen den Nachhaltigkeitsdimensionen identifiziert werden können. Des Weiteren werden auf drei Ebenen Handlungsempfehlungen abgeleitet: für die drei Transformationsräume, für die gesamte Stadt sowie verallgemeinerbare Erkenntnisse zu urbanen Transformationsprozessen in der Wärmewende.
Smarte Verknüpfung von Strom, Wärme und Gas
Laut Hirschl ist die Situation in Städte eine ganz eigene, die Vor- und Nachteile bei der Wärmewende mit sich bringt. „Aufgrund der hohen Nachfrage in Ballungsräumen können Haushalte und Gewerbe sowohl mit dezentral hergestellter Wärme als auch über das Leitungsnetz versorgt werden.“ Unsicherheiten herrscht bei politischen Entscheidern, welche Aspekte bei der künftigen Wärmeversorgung wichtig sind. Wie muss die Gesetzgebung ausgestaltet werden, damit sich das System entwickeln kann? Je besser die unterschiedlichen Energieinfrastrukturen von Strom, Wärme und Gas vernetzt sind, und je intelligenter sie auch sind, desto besser kann ein Austausch zwischen ihnen stattfinden, um eine größtmögliche Effizienz zu erreichen.
Baustein im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm
Fast die Hälfte der CO2-Emissionen Berlins fallen derzeit durch die Wärmeversorgung im Gebäudebereich an. Bis 2050 müssen sie drastisch gesenkt werden. Das im vergangenen Jahr vom Senat beschlossene Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm sieht entsprechende CO2-Einsparungen vor. Es soll von der neuen Berliner Regierung umgesetzt werden.
Den Entwurf für das Programm hatte das IÖW mit mehreren Partnern in einem breiten Beteiligungsprozess erarbeitet. „Mit dem Projekt ‚Urbane Wärmewende‘ nehmen wir uns nun eine der härtesten Nüsse vor, die Berlin auf seinem Weg in die Klimaneutralität zu knacken hat“, ordnete Hirschl die Bedeutung einer nachhaltigen Wärmeversorgung für Berlin ein. „Ohne erfolgreiche Wärmewende wird Berlin nicht klimaneutral werden können.“ Ziel des Projeks ist es, verallgemeinerbare Erkenntnisse zu erarbeiten, die andere Städte zu urbanen Transformationsprozessen hin zur Wärmewende nutzen können. Mehr Informationen hier. (Nicole Weinhold)