Peter Ahmels
Die Waschmaschine summt, der Handy-Akku tankt gerade wieder auf und nebenbei dudelt das Radio: Alltag in den meisten deutschen Haushalten und für die Nutzerinnen und Nutzer selbstverständlich. Kontinuierlich und verlässlich werden sie mit Strom versorgt, ohne groß darüber nachzudenken. Erst, wenn plötzlich alles dunkel wird und beispielsweise der Gefrierschrank abtaut, machen sich viele Menschen bewusst, wie essenziell eine funktionierende Stromversorgung ist. Glücklicherweise ist Deutschland das europäische Land mit der höchsten Versorgungssicherheit überhaupt. Gerade einmal rund 15 Minuten im ganzen Jahr fiel 2017 in Deutschland der Strom aus. Zum Vergleich: 2006 waren es laut Bundesnetzagentur noch durchschnittlich 21 Minuten.
Fällt eine Leitung aus, übernimmt eine andere die Last
Zu verdanken ist diese permanent gewährleistete Versorgungssicherheit dem sehr gut ausgebauten und technisch eingespielten Netzverbund in Deutschland. Dieser ermöglicht, dass alle Regionen des Landes jederzeit zuverlässig mit dem notwendigen Strom versorgt werden. Hierbei sind die Leitungen im Normalbetrieb nur bis zu etwa 50 Prozent ausgelastet. Wenn also einmal eine Leitung ausfällt, beispielsweise durch einen Blitzeinschlag, übernimmt eine andere die Last und es kommt nicht zum Stromausfall. In Fachkreisen wird dieses Prinzip „n-1-Sicherheit“ genannt. Dieser in der Netzplanung angewandte Sicherheitsstandard sorgt dafür, dass zuverlässig Strom fließen kann – selbst wenn lokal Probleme an Leitungen oder Stromkreisen auftreten. Das n-1-Prinzip hat jedoch seinen Preis, denn es bedarf hierfür insgesamt mehr Leitungen. Eine sichere Stromversorgung bedeutet also auch mehr Netzausbau. In anderen Ländern wie etwa den USA und Kanada gibt es aufgrund zu weniger oder alter Leitungen deutlich häufiger Stromausfälle als in Deutschland. Aber beispielsweise auch in Frankreich fällt im Jahr durchschnittlich noch ca. 50 Minuten der Strom aus.
Schwankendes Angebot aus Wind und Sonne
Gerade Strom aus Wind und Sonne erfordert aufgrund der schwankenden Verfügbarkeit einen großräumigen Netzverbund. Denn wenn beispielsweise viel Wind weht und die Sonne stark scheint, produzieren Windräder und Solaranlagen entsprechend reichlich Strom, der in die Netze fließt und möglichst breit verteilt werden muss. An manchen Tagen schwankt das Angebot aber auch von Stunde zu Stunde, dann müssen vom Netzbetreiber schnelle Kraftwerke oder Verbraucher zu- und abgeschaltet werden, um die Spannung stabil zu halten. Oder Strom muss aus dem Ausland importiert werden. Fehlt der Strom aus Erneuerbaren ganz, z. B. bei einer sogenannten Dunkelflaute (kein Wind, keine Sonne), müssen weitere Kraftwerke zugeschaltet werden.
Reserve für den Netzengpass
Kommt es durch den Ausfall eines Kraftwerkes zu einem plötzlichen Leistungsabfall, stehen in Europa 3.000 Megawatt sekundenschnell bereit und können einspringen. Für diesen Fall muss im Netz noch etwas „Luft“ sein. Darüber hinaus gibt es noch die sogenannte Netzreserve. Das sind Kraftwerke, die nicht im Regelbetrieb laufen, sondern erst auf Anforderung der Bundesnetzagentur zugeschaltet werden, wenn absehbar ein Netzengpass auftritt. Sie sind ausdrücklich nicht Teil der täglichen „normalen Regelung“ durch die Übertragungsnetzbetreiber. Zwar ist in Deutschland aufgrund der besonderen Sicherheitsstandards aktuell noch etwas Spielraum, um große Strommengen zu transportieren und alle Haushalte permanent und zuverlässig zu versorgen. Aber für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende müssen die bestehenden Netze dennoch ausgebaut und modernisiert werden. Schließlich wurden sie ursprünglich für eine andere Erzeugungsstruktur errichtet.
Der Netzausbau gewährleistet die Versorgungssicherheit
Expertinnen und Experten weisen immer wieder darauf hin, dass bereits heute in einigen Regionen die bestehenden Leitungen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Der geplante Netzausbau ist notwendig, damit großräumige Ausgleichseffekte zur Verfügung stehen. Der Ausbau und die Optimierung der vorhandenen Stromnetze hat zentrale Bedeutung für eine erfolgreiche Energiewende und für die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa gleichermaßen.
Denn kommt es aufgrund fehlender Netze zur Überlastung einer Leitung, müssen bereits heutzutage vor allem Windräder und Solaranlagen abgeschaltet werden, um den sicheren Netzbetrieb zu gewähren. Zwar gibt es den sogenannten Einspeisevorrang von Wind- und Solaranlagen, aber in der Praxis gibt es eben auch z. B. Kohlekraftwerke, die gleichzeitig als Heizquelle dienen und die deshalb nicht beliebig abgeregelt werden können.
26 Prozent mehr Erneuerbare als 2006
Inzwischen liegt der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland schon bei etwa 38 Prozent. Das sind 26 Prozent mehr als noch 2006. Das angestrebte Ziel der Bundesregierung ist es, diesen Anteil bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent auszubauen. Damit trotz der Zunahme an erneuerbaren Energien die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleistet werden kann, braucht es nicht nur neue, sondern auch moderne und intelligente Netze, sogenannte Smart Grids. Diese können die Belastung des Netzes automatisch erkennen und entsprechend Verbraucher oder Erzeuger zu- oder abschalten. Dadurch steigt die Betriebssicherheit bei gleichzeitig möglicher höherer Auslastung. In Verbindung mit einem intelligenten Stromzähler – auch als Smart Meter bekannt – kann beispielsweise künftig der Ladevorgang für den Akku des eigenen Elektroautos oder die elektrische Wärmepumpe im heimischen Keller gestartet werden. Und zwar immer dann, wenn im Netz gerade Platz ist und gleichzeitig möglichst viel Strom aus Erneuerbaren Energiequellen vorhanden ist. Davon profitieren dann sowohl Stromerzeuger als auch -verbraucher – und nicht zuletzt die Versorgungssicherheit insgesamt.
Der Autor Dr. Peter Ahmels leitet das Projekt Bürgerdialog Stromnetz, das zum Thema Stromnetzausbau in Deutschland informiert und Bürgerinnen und Bürgern u.a. ihre Beteiligungsmöglichkeiten in den verschiedenen Verfahren erläutert.