Oliver Ristau
Bamburg, Müggenburger Hauptdeich – ein Industriegebiet im Hafen. Ein Gewirr von riesigen Rohren und wuchtigen Türmen aus Stahl breitet sich am Fahrdamm aus. Auf der Peute-Insel, kurz vor der Auffahrt zu den Elbbrücken, arbeitet Europas größte Kupferhütte. Seit mehr als 100 Jahren wird aus den rötlichen Erzen Kupfer geschmolzen. Im Werk Ost, am Müggenburger Kanal, verarbeitet Metallproduzent Aurubis außerdem das Nebenprodukt Schwefeldioxid zu Schwefelsäure – ein Prozess, bei dem viel Wärme entsteht, die bisher mit Elbwasser heruntergekühlt werden musste. Ab Herbst 2018 schlägt Aurubis ein neues Kapitel auf: Die Abwärme wird für einen neuen Stadtteil auf der anderen Seite des Flusses, die Hafen-City Ost, ausgekoppelt. Für die Umrüstung der sogenannten Kontaktanlage investiert das Metallunternehmen Millionen. Partnerunternehmen Enercity baut die Fernwärmetrasse. Neben den Einnahmen aus dem Verkauf der Wärme kann Aurubis so seine CO2-Emissionen senken – um mittelfristig 4.500 Tonnen pro Jahr.
Reichlich Abwärme
Und das ist erst der Anfang. Die Kupferhütte könnte ein Vielfaches an Abwärme auskoppeln. „Wir könnten deutlich mehr Fernwärme für Hamburg liefern und bis zu 140.000 Tonnen CO2 einsparen“, sagt Aurubis-Chef Jürgen Schachler. Insgesamt geht es um 500 Millionen Kilowattstunden Wärme. Die Gespräche zum Verkauf der Wärme, so ein Aurubis-Sprecher, seien im vollen Gange.
Dem Beispiel der Kupferschmelze könnten bald schon andere Hütten im Hamburger Hafen folgen – Aluminiumproduzent Trimet und Stahlriese Arcelor Mittal zum Beispiel. Die Hamburger Umweltbehörde ist mit ihnen im Gespräch, denn die Stadt will eine radikale Wärmewende vollziehen – weg von fossilen Energien hin zu regenerativen Energien und Abwärme.
Ein bunter Strauß neuer Technologien soll geflochten werden mit dem Ziel, das größte Fernwärmenetz der Stadt – derzeit noch im Besitz des schwedischen Versorgers Vattenfall – künftig ohne Steinkohle zu versorgen. Daran hängen neben Handel und Gewerbe mehr als 200.000 Haushalte.
Kohlekraftwerk aus den 60ern
Vielerorts gilt die Fernwärme als umweltfreundlich, weil sie meist aus Anlagen gewonnen wird, die als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen betrieben werden. Das ist prinzipiell auch in Hamburg so. Dennoch ist die CO2-Bilanz verheerend. „Jede Kilowattstunde Fernwärme verursacht in Hamburg Emissionen von mehr als 300 Gramm Kohlendioxid. Das sind 30 Prozent mehr und damit erheblich klimaschädlicher, als beim Einsatz des Brennstoffs Erdgas anfällt“, heißt es bei der Umweltbehörde.
Verantwortlich sind ein Steinkohlekraftwerk aus den 1960er-Jahren hinter der Stadtgrenze im schleswig-holsteinischen Wedel sowie ein kleineres Kohlekraftwerk im Hafen für zwei Drittel der Wärme im Vattenfall-Netz. Für die Stromerzeugung sind sie kaum von Bedeutung, sie werden aber für die Fernwärme der Hansestadt gebraucht.
Industrieabwärme aus Müll
Das Heizkraftwerk in Wedel soll nach dem Winter 2021/2022 vom Netz. Zu den Alternativen zählt neben der Industrieabwärme der Müll. Zum einen sollen die beiden existierenden Müllverbrennungsanlagen im Süden der Stadt Wärme liefern. Zum anderen plant die Hamburger Stadtreinigung am Standort der mittlerweile eingestellten Müllverbrennung im Stadtteil Stellingen ein Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE). Es soll eine der modernsten und effizientesten Müllverwertungsanlagen Europas werden – mit einem Maximum an wirtschaftlich vertretbarer Wärmegewinnung.
Ein weiterer Baustein ist die Nutzung von warmem Wasser aus Deutschlands zweitgrößter Kläranlage gegenüber des Hamburger Fischmarkts. Wärmepumpen sollen zum Einsatz kommen und das Temperaturniveau anheben. Der Strom kommt laut Planung von einem eigenen mit Gas betriebenen BHKW, dessen Wärme ebenfalls in das Netz eingeht. Last but not least plant der städtische Wasserversorger, heißes Wasser im Sommer unter die Erde in einen Aquiferspeicher zu pumpen, um in Zeiten hohen Wärmebedarfs im Winterhalbjahr die Fernwärmerohre zu füttern.
Zielmarke 75 Prozent Erneuerbare
Mit diesem Mix will Hamburg mittelfristig den Anteil regenerativer Energien auf 75 Prozent und den der Kohle auf 0 fahren. Das Konzept zum Ersatz der kohlebasierten Fernwärme sei in dieser Form in Deutschland einzigartig, heißt es beim Hamburg-Institut, das die Pläne gemeinsam mit der Umweltbehörde entwickelt hat. München setzt auch im großen Stil auf erneuerbare Fernwärme. 100 Prozent bis 2040 ist dort das Ziel. Das Konzept basiert aber vor allem auf Geothermie und nicht auf einer Kombination wie in Hamburg. Doch das Vorhaben ist innerhalb der rot-grünen Regierung in der Hansestadt umstritten. Insbesondere die SPD fürchtet, dass die Fernwärme für die meist eher weniger wohlhabenden Mieter in den Großwohnsiedlungen teurer wird. Die grün geführte Umweltbehörde hält dagegen: Angesichts der derzeit galoppierenden CO2-Preise berge die auf Kohle basierende Fernwärme ein höheres Preisrisiko. Dazu kommt, dass beide Parteien bis zuletzt uneins in der Frage sind, ob das Fernwärmenetz – wie es ein Volksentscheid von 2013 fordert – vom Senat zurückgekauft werden soll. Nur dann, so argumentiert der grüne Koalitionspartner, sei aber die klimafreundliche Wärmewende auch wirklich umzusetzen.
Immerhin: Der bisher blockierende Versorger Vattenfall ist umgeschwenkt und hat angeboten, die grünen Pläne für Hamburgs Fernwärme umzusetzen. Kupferproduzent Aurubis steht dafür – egal unter wessen Führung – bereit.
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