Clemens Triebel
Sind Speichertechnologien für die Energiewende notwendig, oder kommen wir auch auf 100 Prozent Erneuerbare mit reinem Netzausbau? Diese Frage ist durchaus berechtigt. Die Antwort hängt von den Erwartungen und Zielen ab. Denn wenn wir das konventionelle, fossile Energiesystem beibehalten wollen, dann sind Speicher weitgehend verzichtbar. Soll aber ein Energiesystem mit einem erneuerbaren Anteil von 65, 80 oder 100 Prozent aufgebaut werden, dann wird das ohne die sukzessive Einführung von Speichern schlicht und einfach nicht funktionieren. Und da wir uns zu diesen Zielen verpflichtet haben – worauf warten wir noch?
Dass wir Speicher brauchen, war immer klar
Ein erneuerbares Energiesystem ist ohne Speicher technisch gesehen eine Illusion. Das war den Ingenieuren der Energiewende auch schon in den frühen 2000er Jahren klar, als wir damals mit Solon Labs und später Younicos die Protagonisten des Energiespeichermarktes mitgegründet haben. Unsere Motivation war es, die Systemgrenze beim Ausbau der volatilen Wind- und Solarkraftwerke durch die Markteinführung von Speichern zu überwinden.
Die Rechnung war ganz einfach und basierte auf zwei wesentlichen Faktoren:
Erstens: Je höher der Volatilitätsanteil bei der Erzeugung, desto weniger reicht der räumliche Ausgleich über Stromnetze, und desto mehr kommt es auf die Verfügbarkeit des zeitlichen Ausgleichs durch die Stromspeicherung an. In den ersten Simulationen haben wir gezeigt: Wenn der Anteil der Erneuerbaren über 50 Prozent in einer Netzregion steigt, müssen bereits 30 Prozent der überschüssigen Energie abgeregelt werden. Das gilt für die von uns modulierten Inselnetze genauso wie für ein europäisches Verbundnetz. Bei jedem weiteren Ausbau steigt der Anteil der Abregelungen sogar exponentiell. Schon heute sehen wir diesen Effekt: Abregelungen von Erneuerbare-Energie-Kraftwerken belasten schon heute milliardenschwer die Stromkunden und zerstören letztlich die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen sowie die Funktionalität des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG).
Zweitens: In dem Maße wie wir den Anteil der Erneuerbaren erhöhen, könnte man meinen, dass der Anteil der fossil-nuklearen Versorgung sinkt. Aber dem ist nicht so. Wir halten derzeit noch unsere Kraftwerkskapazitäten vor („Winterreserve“), um die Netzstabilität über die großen rotierenden Massen der Großkraftwerke zu stabilisieren. Um überhaupt zu einem Regenerativenergiesystem gelangen zu können, müssen wir diese Frequenzregler durch andere ersetzen. Das geht nur mit schneller Leistungselektronik und Batterien.
Uns war daher klar: Wir brauchen neue Speichertechnologien für eine erfolgreiche Energiewende. Das konventionelle Energiesystem kannte zwar auch schon Speicher, etwa Pumpspeicher, die auch weiterhin eine wichtige Funktion haben sollten. Und auch fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle sind letztlich Speicher, welche die Sonnenenergie über Millionen von Jahren in der Erdkruste gepuffert haben. Aus der Ingenieursperspektive ging es uns aber nun darum, Speichertechnologien auf eine neue Ebene zu stellen und deren Potenziale zu steigern, um es so möglich zu machen, die fossilen Energiespeicher in Frieden in der Erde ruhen zu lassen.
Neuer Schub durch E-Mobilität und Post-EEG
Wie auch bei der Photovoltaik brauchte es dafür einen Innovationsschub und die Herausforderung zur Speicherentwicklung mit einem Wettbewerb um die besten Technologien und Anwendungen, der einen sinnvollen Mix aus kurz- und langfristiger Speicherung, mit schnellen und langsamen (Ent-)Ladezyklen bis hin zu Power-to-X-Anwendungen möglich und erschwinglich macht. Heute stehen uns zahlreiche Technologien zur Verfügung, die ohne Probleme die Aufgaben der Systemdienstleistungen und Netzstabilität übernehmen können – von Kleinstspeichern im Haus und im Auto, die Energie um Stunden verschieben und Spitzenlasten abfedern, bis hin zu Großbatteriekraftwerken, die Frequenzregelung übernehmen können.
Und kaum jemand hat vor 15 bis 20 Jahren vorhergesehen, dass die Preise für die Stromspeicherung so schnell sinken würden. Wer 2005 für eine Kilowattstunde Energie aus beispielsweise Lithium-Ionen-Akkus noch über 1.500 US-Dollar gezahlt hat, bekommt diese heute für rund 200 Dollar. Dieser Preisverfall wird in Anbetracht der Skalierungseffekte noch weiter gehen. Batterieanwendungen im Energie- und Verkehrssektor werden sich international in den kommenden Jahren weiter gegenseitig hochschaukeln, denn mobile und stationäre Speicher sind technologisch gesehen perfekte Partner, etwa wenn ehemalige Autobatterien zu Heimspeichern werden. Speichersysteme werden früher oder später in den sektorgekoppelten und digital vernetzten Haushalten und in Nachbarschaften flächendeckend dazu beitragen, Erzeugung und Verbrauch vor Ort zu koppeln. Zellulare Einheiten werden so zum aktiven Teil des erneuerbaren Energiesystems werden.
Bei allen Potenzialen und technologischen Errungenschaften der vergangenen zwei Jahrzehnte war aber eines nicht geschehen: Seitens der Politik wurde die Notwenigkeit, in die sogenannte Vierte Säule des Energiemarkts zu investieren, Forschung und Wissenschaft anzuschieben und Innovationen anzureizen vollends ignoriert. Die Chancen der Speicher für das neue Energiesystems wurden nicht antizipiert. Mehr noch: Die Einführung wurde und wird politisch-regulatorisch verhindert. Und so verwundert es wenig, dass der ehemalige Energiewendeweltmeister Deutschland heute von asiatischen und US-amerikanischen Akteuren in diesem Bereich mehr und mehr überholt wird.
Übertragungsnetzbetreiber blockieren den Speichermarkt
Wie konnte das passieren? Warum wurde die Entwicklung über so viele Jahre verschlafen und bis heute mehr ausgebremst, als zugelassen? Nun, zum einen ist die große Bedeutung der elektrischen Mobilität, gekoppelt mit einem intelligenten Erneuerbare-Energie-Netz, jahrzehntelang überhaupt nicht erkannt worden. Ein weiterer wichtiger Grund: Speicher sind Gift für die renditeträchtigen Geschäftsmodelle der Netzbetreiber. Mehr Speicher in der Hand der Marktteilnehmer bedeuten weniger Netzbezug und weniger Renditen für die Netzbetreiber. Die Übertragungsnetzbetreiber bewirtschaften als Privatunternehmen ein natürliches Monopol und profitieren auf Kosten der Stromverbraucher von staatlich gesicherten Renditen von sechs oder neun Prozent. Flexibilitäten zu managen, betrachten sie als ihre Aufgabe. Die genauen Kostenstrukturen sind dabei höchst intransparent.
Indem man den Übertragungsnetzbetreibern große Machtbefugnis und Entscheidungskompetenz über die Zukunft unserer Energieversorgung eingeräumt hat, haben wir den Bock zum Gärtner gemacht. Warum sollte jemand, der sein Geld damit verdient, Netze auszubauen, sich für die Entwicklung und den Einsatz von Speichertechnologien stark machen? Vielmehr hätte die Politik schon vor Jahren dazu beitragen müssen, dass Speicherlösungen wirtschaftlich attraktiv und marktreif gemacht werden.
Dabei manifestieren sich die Machtstrukturen zunehmend als fundamentales Systemhemmnis. Denn die alten Seilschaften aus den Betreibern der fossilen Großkraftwerke und den Verwaltern der Netzmonopole haben es in enger Verflechtung mit den Regulierungsbehörden im Schatten der Energiewende verstanden, mit ihrer „Netze First“-Doktrin den Ausbau der volatilen Erneuerbaren an den künstlichen Deckel stoßen zu lassen. Rohstoffengpässe, Umweltauswirkungen, niedrige Effizienz – Speicher wurden über Jahre oft mehr problematisiert, als toleriert. Und das Mantra „erst Netze, dann Erneuerbare“ oder die plumpe Pauschalaussage, Speichertechnologien seinen noch nicht marktreif, dominieren auf derselben Tonspur bis heute die Energiepolitik der Großen Koalition.
Wie man das durchbrechen kann? Die Übertragungsnetzbetreiber müssen besser in den Dienst der Energiewende gestellt werden, den Verteilnetzbetreibern müssen größere Spielräume auf lokaler Ebene gegeben werden. Nicht die Renditeerwartungen irgendwelcher australischer Pensionsfonds sollten den Fahrplan der Energiewende bestimmen, sondern die gesellschaftlichen Ziele beim Umbau der Energieversorgung. Und das geht nur mit einer dynamischen Einführung von Geschäftsmodellen, die Speichertechnologien in den Vordergrund heben – wenn es sein muss, eben auch auf Kosten der bisherigen Geschäftsmodelle der Netzbetreiber.
Dieser Beitrag ist am 20. Juni 2019 in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen. Es ist der dritte Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.
Clemens Triebel war unter anderem Mitgründer der Solon Labs und Younicos und ist seit 2006 Mitglied im Kuratorium der Reiner Lemoine Stiftung.
Bisher sind im Rahmen der Kolumne folgende Beiträge erschienen:
- Fabian Zuber: Energiewende in der Sackgasse
- Dr. Kathrin Goldammer: Kein Widerspruch: Erneuerbare und energiewirtschaftliche Ziele
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