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Ladesäulen-Infrastruktur

Wie das chinesische Shenzhen Deutschland die E-Mobilität zeigt

Shenzhen ist eine moderne Einkaufs­metropole im Süden der Volksrepublik mit 13 Millionen Einwohnern, die südlich an Hongkong grenzt. Die Stadt wurde 2009 als Testregion für E-Mobilität im öffentlichen Nahverkehr ausgewählt, jetzt ist der Umbau abgeschlossen: Alle 16.359 Busse fahren nun elektrisch. Als Nächstes sollen die 17.000 Taxis der Stadt komplett umgestellt werden, 63 Prozent fahren bereits mit Elektroantrieb.

Die in der Teststadt beheimatete Firma X-Charge hat dafür den Großteil der Ladeinfrastruktur bereitgestellt. Eine Herausforderung. Managing Director Zheng Fan wiegelt ab. Shenzhen sei eine Retortenstadt, die es vor 30 Jahren noch nicht gab, sagt er. „Die Netzinfrastruktur genügt sehr modernen Ansprüchen. In der Hinsicht ist die Stadt im Vorteil gegenüber alten Städten in den USA und Europa.“ Von den rund 20.000 Chargern, die X-Charge bisher installiert hat, sind 10.000 öffentliche Ladestationen. 30 Prozent davon stehen in Shenzhen. „Wir bringen also reichlich praktische Erfahrung aus dem Land mit der höchsten Nutzungsintensität mit“, sagt der X-Charge-Chef. Ein Großteil der E-Mobilität in China werde wie in Shenzhen durch Logistikunternehmen, öffentliche Verkehrsmittel und Taxis umgesetzt. Tatsächlich werden die Ladesäulen dadurch reichlich erprobt. „Wir haben in Shenzen eine riesige Ladestationsstelle mit 42 großen Schnellladern, die 17 Ladevorgänge pro Tag haben, außerdem AC Wallboxes C2 mit 10 Ladevorgängen und AC Charging-Stations C4 mit 11 Ladevorgängen“, so Fan.

Zheng Fan, CEO von X-Charge. - © Foto: Nicole Weinhold
Zheng Fan, CEO von X-Charge.

Europa ist noch weit davon entfernt, eine solche Ladeinfrastruktur aufzubauen. In Norwegen, dem europäischen Land mit dem größten E-Mobilitäts-­Anteil, wird die Ladeinfrastruktur bereits knapp. In Oslo sind 40 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch. Für 50.000 Elektrofahrzeuge und 30.000 ladbare Hybridautos gibt es aber nur 1.300 Ladestationen. Wer keine Ladestation zu Hause hat, kann also Probleme bekommen. Bis 2025 sollen alle neu zugelassenen Autos in Norwegen Nullemissionsfahrzeuge sein – es ist also Eile angesagt beim Ausbau der Infrastruktur.

Bedarf war bisher gering

Auch in Deutschland heißt es immer wieder, wir seien nicht in der Lage, die entsprechende Infrastruktur für eine elektrifizierte Mobilitätswende aufzubauen. Philipp Heidel, Produktmanager Elektro­mobilität bei EnBW, sieht das anders. „Die Diskussion darüber, dass der Ausbau der Lade­infrastruktur nicht schnell genug vorankommt, geht an der Sache vorbei“, so Heidel. „Es gibt weiteren Ausbaubedarf. Das ist richtig. Aber wir bauen ja auch gleichzeitig dem Bedarf entsprechend reichlich neue Ladestationen in Deutschland auf.“
Bisher sei der Bedarf sehr gering gewesen. „Wir haben 390 AC-Ladestationen mit über 700 Ladepunkten in Deutschland aufgebaut und 132 DC-Schnellladestationen“, sagt er. Bis 2020 wolle EnBW 1.000 Standorte mit DC-Schnellladern ausstatten, dafür gehe das Unternehmen teilweise selbst ins Invest. „Bei der Anzahl der öffentlichen Ladestationen sehe ich kein Problem“, fügt er an.

Die Frage ist derzeit, welche Art von Lade­infrastruktur in Deutschland aufgebaut wird. Eher Gleichstrom-Schnelllader mit 50 bis sogar 350 Kilowatt Leistung – oder die gemütliche Wechselstrom-Variante für zu Hause mit 11 Kilowatt. Derzeit finden nur rund 20 Prozent der Ladevorgänge auf öffentlichen Plätzen statt, etwa an der Autobahn oder vor dem Supermarkt. Zumeist erfolgt das Laden an der heimischen Station oder auf dem Parkplatz vor dem Büro, wo man die ganze Nacht oder aber den ganzen Tag zum Laden zur Verfügung hat. Die einen setzen darauf, dass die Menschen wie mit ihrem Verbrennungsmotor schnell tanken wollen. Die anderen zielen auf lange Ladevorgänge im heimischen Carport oder bei der Arbeit.

„X-Charge bietet Schnellladestationen mit 50 bis 240 kW an. Wobei in Deutschland derzeit die wenigsten Batterien in der Lage sind, so schnell zu laden“, so Unternehmenschef Fan. Derzeit kann Tesla seinen Supercharger mit 135 kW in 20 Minuten betanken. Andere Autobatterien sind noch zu klein. Die nächste Generation, die schnell laden kann, steht allerdings schon in den Startlöchern.

Sind Schnelllader die Zukunft?

Der deutsche Marktführer in der Windenergie, die Enercon GmbH, stellt Mitte März seine extra­schnellen Ladestationen mit bis zu 350 kW vor. Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig erklärt, warum es sinnvoll ist, schon jetzt Lade­stationen aufzubauen, für die viele aktuelle Elektro­autobatterien zu klein sind. „Die Entwicklung unserer Schnellladetechnologie E-Charger 600 erfolgte im Rahmen unserer Systemlösungsstrategie. Dabei haben wir bereits die Anforderungen und Bedürfnisse eines vernetzten, auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystems von morgen im Blick.“

Enercon liefere technologisch ausgereifte Windenergieanlagen und damit verbunden Technologien und Konzepte zur Sektorkopplung. Onshore-­Windenergie, E-Mobilität, Speicher- und Power-­to-Gas-Lösungen seien Schlüsselfaktoren für die Energiewende. Andere Sektoren wie etwa der Verkehr müssten dabei ebenfalls berücksichtigt werden. „Für die Verkehrswende im Zuge der Energiewende ist eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur für schnelles Laden eine wichtige Voraussetzung“, so Kettwig. „Wir sind davon überzeugt, dass eine leistungsfähige und netzdienliche Schnellladeinfrastruktur mittel- und langfristig die Lösung ist, die sich durchsetzt. Mit unserer Technologie werden sich E-Autofahrer in ihren Gewohnheiten nur wenig umstellen müssen.“ Wie bisher mit kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen könnten sie in Zukunft mit ihrem E-Fahrzeug eine öffentliche Ladestation ansteuern, um ihre Batterie in ein paar Minuten aufzuladen. Die netzdienlichen Eigenschaften der E-Charger 600 würden zudem zur Netzstabilität beitragen.

Auch der Enercon-Chef sieht, dass Autohersteller in absehbarer Zeit schnellladefähige E-Fahrzeuge in größerer Zahl auf den Markt bringen. „Die Unternehmen setzen im Pkw-, Transporter- und im Lkw-Segment alle auf den 350-kW-Standard. Dafür ist unser E-Charger 600 ausgelegt. Und bis dahin lässt sich unsere Station auch schon nutzen – nicht schnellladefähige Fahrzeuge müssen nur länger laden.“

So wie Enercon neu ist im Geschäft mit den Ladestationen, erscheinen derzeit zahlreiche Lade­stationsanbieter auf dem europäischen Markt, die entweder ganz neu starten oder zumindest in Europa – so wie das chinesische Unternehmen X-Charge. „TÜV Rheinland prüft derzeit unsere Charger, um sie zu zertifizieren“, so Fan. Zum Teil geht es um technische Spezifikationen, die speziell in Deutschland gefordert sind. Hamburg wird in den nächsten Jahren rund 500 öffentliche Slowcharger und 60 Fastcharger installieren. Sobald X-Charge zertifiziert sei, werde das Unternehmen sich dort auf die Belieferung mit Ladesäulen bewerben, erklärt Fan.
Reichlich Erfahrungen bringt auch die Firma Chargepoint mit, die den europäischen Markt von Amsterdam aus aufrollen will. Mark Kerstens, Vice President Strategic Accounts, lebt in Kalifornien, dem Vorreiterstaat für E-Mobilität. „Tatsächlich können wir durch unsere Erfahrungen in Kalifornien auf eine große Expertise zurückgreifen“, sagt er. „Wir haben einen Marktanteil von über 70 Prozent in Nordamerika an allen vernetzen Ladestationen. Das heißt, wir haben mehr als 45.000 Ladestationen installiert, private Ladepunkte nicht mitgezählt.“

Die Firma gibt es seit zehn Jahren. „Wir waren also schon dabei, als es nur wenige Elektroautos gab.“ Gleich zu Anfang hatte Chargepoint entschieden, dass alle Ladepunkte verbunden sein sollen. „Wir sprechen also von intelligentem Laden. Alle Ladestationen sind vernetzt“, so Kerstens. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man weiß, wo die nächste Ladestation ist, ob sie verfügbar ist, ob das Laden umsonst ist oder etwas kostet. Man kann sich auch auf eine Warteliste setzen. Es gibt also eine Fülle von Möglichkeiten, die sich durch die Vernetzung ergeben.

Netzüberlastung vermeiden

Bei den Netzen müssten die Netzbetreiber nachlegen. „Aber es werden ja nicht gleich alle Privathaushalte in einer Straße zu 100 Prozent mit Elektroautos ausgestattet sein“, sagt Philipp Heidel von EnBW. Die Netzbetreiber würden sich entsprechend vorbereiten. Der Fuhrpark im Betrieb biete zudem durch Last­management am Unternehmensstandort zwischen zehn E-Autos viele Chancen. „Das bieten inzwischen viele Ladestationsanbieter an“, fügt er an.

Zu den Anbietern gehört auch die GP Joule Connect GmbH. Um die Standzeit jedes Fahrzeugs in der Unternehmensflotte optimal zur notwendigen Ladung der Batterie zu nutzen, werden die Lade­säulen durch ein Last- und Lademanagement gesteuert. Dieses kann die verfügbare Netzkapazität optimiert zuteilen, Nutzer nach Priorität unterscheiden und verfügbare Kapazitäten zum Beispiel aus einer Solaranlage zuschalten. Mark Kerstens von Chargepoint verweist auf weitere Möglichkeiten, das Netz zu entlasten. Auch intelligentes Laden spiele da eine Rolle. „Man kann sagen, wann der Ladevorgang in der Nacht beginnen soll, weil es dann am günstigsten ist. Und es gibt Programme in den USA, innerhalb derer der Netzbetreiber Lastspitzen beseitigt, indem er Lade­zyklen verlangsamt.“

Enercon geht noch einen Schritt weiter und schnürt individuelle Komplettpakete: „Über uns können Kunden für ihre Ladestation 100-prozentigen Windstrom aus Enercon-Anlagen beziehen. Oder wir liefern ihnen gleich den passenden Windpark zur Schnellladestation dazu“, so Hans-Dieter Kettwig. So können Kunden 100 Prozent Windstrom tanken und das Netz wird gleichzeitig entlastet. (Nicole Weinhold)

Dieser Artikel ist in unserem Print-Magazin 2/2018 erschienen. Mehr spannende Artikel erhalten Sie, wenn Sie jetzt ein kostenloses Probeheft online bestellen.