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Weltpremiere

Photovoltaik geht offshore

Andreas Bludau ist Teil eines typi­schen kleinen Familienunternehmens, der K.W. Hardt KG, einer Sand- und Kiesbaggerei. Mit dem Kiesabbau in Babenhausen (Hessen) hat in den 1960er Jahren sein Großvater begonnen. Nach nun genau 50 Jahren ist die dritte Generation der Bludaus damit beschäftigt, die mögliche Folgenutzung solcher Gewässer zu planen. Denn als Eigentümer der durch den Kiesabbau entstanden Grundwasserseen ist das Unternehmen verpflichtet, die weiteren Sicherheitsmaßnahmen der Gewässer über Jahrzehnte sicherzustellen. In den allermeisten Fällen ist das eine teure Angelegenheit. Eine Freizeitnutzung als Badesee, wie sie zunächst scheinbar naheliegt, wird von den Behörden wegen des Grundwasserschutzes nicht gerne gesehen. „Deswegen habe ich mir überlegt, welche Nutzung in gegenseitigem Interesse und wirtschaftlich attraktiv wäre“, sagt Andreas Bludau. Als hilfreich bei der Ideenfindung stellte sich heraus, das Bludau seit langem in der Agenda-21-Bewegung engagiert ist, die es sich zum Ziel gemacht hat, eine nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert voranzutreiben. Themen sind unter anderem: Gewässermanagement, Klimawandel-Anpassungsstrategien sowie eine umweltfreundliche Stromerzeugung.

Und so kam ihm der Gedanke, Solarmodule auf die Wasseroberfläche seines Kiessees an der Dudenhöfer Straße in Babenhausen zu legen. „Der Plan Strom und Wasser zusammenzubringen erscheint erstmal als absurder Gedanke. Aber so absurd ist es eben nicht, wenn man darüber nachdenkt, was für positive Effekte das alles mit sich bringen kann. Ich bin ganz unbedarft rangegangen“, erzählt der Betriebswirt Andreas Bludau. Erste Recherchen ergeben, dass es bislang keine solche Anlage gibt. Bludau geht deswegen mit seiner Skizze zu seinem Bekannten Frank Illner, passenderweise Inhaber des Solarprojektieres Eurosol. Der ist nach anfänglicher Überraschung Feuer und Flamme für das Projekt. Zusammen finden die beiden heraus, dass es an der Fachhochschule Nordhausen in Thüringen einen Versuch mit einer kleinen schwimmenden Photovoltaikanlage gegeben hat. 14 polykristalline Module mit einer Nennleistung von 2,5 Kilowatt wurden dort auf den Sundhäuser See, ebenfalls ein Kiessee, gebracht. Und die Ergebnisse bestätigen Bludau in seinem Vorhaben: Die Performanca Ratio der Anlage, das Verhältnis von realem zu idealem Wert, liegt bei 90 Prozent. Werte zwischen 75 und 85 Prozent gelten als gut.

Die Verdunstungskühlung verbessert die Modulleistung


Als Erklärung nennt der Bericht unter Federführung von Professor Viktor Wesselak, positive Effekte durch die Verdunstungskühlung vom Seewasser. Leistungsverluste, die zum Beispiel Dachanlagen bei hohen Temperaturen im Sommer verzeichnen, können durch die Installation auf dem Wasser reduziert werden. Zudem erhöhe die Wasserspiegelung den Anteil diffusen Lichts, was die Energieausbeute steigere.
Bei Gewässern liegen natürlich naturschutzfachliche Bedenken auf der Hand. Aber auch hier sieht Bludau nur positive Effekte: „Wir gehen von einer Verbesserung der ökologischen Qualität durch die künstliche Verschattung des Gewässers aus.“ Das Wasser in Kiestagebauseen stammt aus aufgeschlossenen Grundwasser­körpern. Durch Verdunstung im Sommer werde das Grundwassermanagement nega­tiv beeinflusst. Bislang wird diese Problematik durch das Pflanzen von Bäumen am Ufer zu lösen versucht, die dann aber im Herbst Blätter abwerfen, wodurch unerwünschte Nährstoffe in das Wasser gelangen. Der künstliche Schatten reduziert die Verduns­tung und soll zudem die Sauerstoffzehrung im Wasser reduzieren und damit das Algenwachstum eindämmen.

Gerhard Eppler, Mitglied des Landesvorstands des NABU Hessen, reagiert im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN verhalten. „Uns sind solche Ideen bekannt. In Einzelfällen sind Module auf Wasserfläche denkbar. Aber wir befürworten eine gebäudegebundene Photovoltaik. Eine Abschattung eines Sees, um die Verdunstung zu reduzieren, bedeutet natürlich auch eine Abkühlung des Wassers, was beispielsweise die Kleinstlebewesen beeinflussen kann. Eine wissenschaftliche Begleitung ist deswegen angeraten.“ Im Fall des Projekts von Andreas Bludau wird die Begleitforschung und Dokumentation von der TU Darmstadt übernommen. Die Reaktion aus den Naturschutz- und Fischerreibehörden sei durchweg positiv, so Bludau. „Wir haben auch andere mögliche Bedenkenträger erstmal informell am Entstehungsprozess beteiligt und als dann klar war, das könnte funktionieren, habe ich mich entschlossen ein Planungsbüro zu beauftragen.“

Denn die eigentliche Herausforderung ist die Unterkonstruktion der geplanten Anlage. „Dazu arbeiten wir mit Spezialisten zusammen, die über sehr viel Erfahrungen aus dem Werftbau und im Bereich Meeres­technik verfügen. Die Konstruktion ist sehr filigran geplant und so entworfen, dass sie später skalierbar ist auf alle Wassergrößen und vom Verankerungssystem anpassbar ist an alle Wassertiefen.“ Dabei muss die Anlage mit Wellengang und Wasserstandsschwankungen zurechtkommen und gleichzeitig statisch so stabil sein, dass die Module keinen Schaden nehmen. Schließlich muss der Betrieb über mindestens 20 Jahre möglichst wartungsarm sein. Für die Befestigung gibt es verschiedene Verankerungstechniken, abhängig von Gewässertyp und -tiefe. Das kann über Poller erfolgen, kurze Pfähle aus Metall oder Holz, an denen auch Schiffe in Häfen festgemacht werden, oder Unterwasserverspannungen mit Seilsystemen und Ankern. Im See an der Dudenhöfer Straße sind Wassertiefen zwischen fünf und 35 Meter zu bewältigen. Dort soll eine Kombination aus Pfählen im ufernahen Bereich und Seilverankerungssystemen im tiefen Wasser für sicheren Halt sorgen. Das System wird momentan entwickelt. „Das ist Stand der Technik und bekannt aus Yacht­hafenbau und der Offshore-Technologie“, sagt Bludau.

Im Herbst ans Netz


Auch müssen einige bürokratische Hürden überwunden werden. Beim See handelt es sich um eine so genannte wirtschaftliche Konversionsfläche, also eine Fläche bei der eine Vornutzung bestand und die einer anderen Nutzung zugeführt werden soll. Projektierer von Freiflächensolaranlagen kennen diesen Vorgang, wenn etwa eine ehemals vom Militär genutzte Fläche umgewidmet werden soll. Um eine Baugenehmigung zu erhalten, muss zunächst der Flächennutzungsplan geändert werden. Die Stadt Babenhausen scheint dem Projekt zugeneigt zu sein, das Verfahren läuft. „Wir hoffen, zum Juli eine Baugenehmigung zu bekommen, um dann bis zum Herbst ans Netz gehen zu können.“ Natürlich verfolgt Bludau deswegen mit Interesse die Diskussion um die geplante Kürzung der solaren Einspeisevergütung. Denn zweifellos wird die Aufständerung teurer als bei einer Anlage an Land. Zu genauen Kosten will Bludau in diesem frühen Stadium der Anlage, zumal es sich um eine allererste Pilotanlage handelt, nichts sagen. Er hofft, durch den Innovationscharakter seines Projekts einige Modulhersteller zu einem Rabatt auf ihre Produkte zu bewegen.

Knapp vier Hektar sollen mit Modulen belegt werden, die gesamte Oberfläche der Konstruktion ist etwa doppelt so groß. Damit wird die Anlage knapp die Hälfte der Seeoberfläche bedecken. Die polykris­tallinen Module, die zusammen eine geplante Nennleistung von 6,2 Megawatt haben, werden auf einem Stahlträgersystem mit Kunststoffschwimmkörpern aufgeständert. Dieser Vorgang erfolgt an Land. „Wir werden eine Montagestrecke haben und von dort aus die Anlage aufs Wasser bringen. Im Wasser können wir das Ganze bewegen und an die geplante Stelle bringen.“ Die Befestigung unter Wasser wird mit der Unterstützung von Tauchern erfolgen.

Nabelschnur auf Ponton


„Wir nehmen sehr viel Rücksicht auf den naturschutzfachlichen Teil. Die Anlage wird in einem Abstand von 20 bis 50 Metern vom Ufer befestigt, um die Flora und Fauna am Ufer nicht zu stören“, sagt Bludau. Eine Art Nabelschur wird ein Kabel auf einem Ponton sein, das den erzeugten Strom ans Ufer transportiert. Die komplette Mittelspannungstechnik liegt an Land. Zu Wartungsarbeiten wird man sich über Boote der Anlage nähern müssen. „Wir betrachten das auch als Diebstahlschutz.“ Der Ponton ist zwischen den einzelnen Modulen von den Wartungsarbeitern begehbar. Wobei Bludau nicht von übermäßig viel Wartung wie etwa zusätzlich notwendiger Reinigung ausgeht. „Wir gehen von weniger Verschmutzungen als auf landseitigen Anlagen aus, da die Luft über dem Wasser weniger staubbelastet ist.“ Und die Vögel? „Klar, das müssen wir beobachten. Aber bei den Freiflächenanlagen ist es ja auch nicht so, dass sich Heerscharen von Vögeln ansammeln und sich freuen, dass sie endlich mal auf einem Modul sitzen dürfen. Bei den schattigen Plätzchen unter den Modulen ist es etwas anderes. Wir hoffen und gehen davon aus, das sich dort Brutvögel einnisten und neue Lebensräume entstehen“, sagt Bludau. Jetzt muss die Pilotanlage erstmal zeigen, was sie leistet. „Wenn es gut läuft, haben wir auf jeden Fall einen technologischen Vorsprung, was das schwimmende Gesamtsystem angeht. Das macht man nicht mal eben nebenbei. Das hat viel Arbeit und auch Geld gekostet.“ Auch eine Nutzung auf natürlichen Gewässern, die an den jeweiligen Bedarf am Ufer angepasst ist, kann sich Blundau vorstellen. Gerade in Entwicklungsländern, wo besonders viele Menschen auf Strom angewiesen sind, aber auf Ackerfläche nicht verzichten können. „Es gibt schon konkrete Anfragen von Interessenten, die das System auf anderen Gewässern adaptieren möchten, auch aus EU-Nachbarländern. Da gibt es offensichtlich einen Markt“, meint Bludau optimistisch. 

Daniela Becker