Nachdem der damalige US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001 mit dem Finger nach Afghanistan gezeigt hat, ist das Land aus den Negativschlagzeilen nicht mehr herausgekommen. Es versank in einen nicht enden wollenden Krieg. Trotz der anhaltend schwierigen Situation hat die Regierung in Kabul den Plan, die erneuerbaren Energien allgemein und die Solarenergie im Besonderen zu forcieren. Dazu sollen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ausländischen Investoren, Projektentwicklern und Lieferanten ermöglicht, ihre Geschäftsmodelle im Land zu entwickeln.
Sicherheitslage ist kein Ausschlusskriterium
Um die Marktteilnehmer dabei zu unterstützen, hat der Bundesverband Solarwirtschaft in Zusammenarbeit mit der Afghanistan Renewable Energy Union (AREU) und dem Beratungsinstitut Eclareon einen Überblick über die Situation in Afghanistan und die Pläne der Regierung in Kabul zusammengestellt. „Die erste Studie über den afghanischen Solarmarkt zeigt, dass das vorhandene Potenzial für Photovoltaikanlagen in den nächsten Jahren nach und nach gehoben werden kann“, fasst Jörg Mayer, Geschäftsführer des BSW Solar die Ergebnisse zusammen. „Einschränkungen bei der Sicherheitslage müssen streng beachtet werden, sind aber kein Ausschlusskriterium für Geschäfte in diesem Markt“, sagt er. „Die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse erlauben es der afghanischen Regierung, den Energiesektor mit Hilfe internationaler Investoren so zu modernisieren, dass die Photovoltaik große Teile der Stromversorgung decken kann. Die politische Bereitschaft, Solarenergie zu entwickeln, ist beeindruckend und ein wichtiger Stabilitätsfaktor für das notleidende Land.“
Viele Bewohner haben keinen Strom
Tatsächlich ist die Stromversorgung in Afghanistan alles andere als gesichert. Nur gut ein Drittel des Strombedarfs im Land kann Afghanistan selbst produzieren – hauptsächlich mit Wasserkraft. Aber auch Kohle- und Gaskraftwerke tragen zu einem großen Teil zu nur mäßig verbreiteten Stromversorgung bei. Die restlichen zwei Drittel werden aus Usbekistan, Tadschikistan dem Iran und Turkmenistan importiert. Zudem ist die Elektrifizierung in Afghanistan in den Kinderschuhen stecken geblieben. Weniger als ein Drittel der Bevölkerung bekommt Strom aus einem Netz. Vor allem auf dem Lande, wo 77 Prozent der Afghanen leben, sind nur elf Prozent der Haushalte ans Netz angeschlossen. Die Stromversorgung funktioniert vor allem in den größeren Städten wie Kabul, Kandahar, Herat und Mazar-e-Sharif leidlich. Zumindest sind dort die meisten Gebäude ans Stromnetz angeschlossen.
300 Sonnentage pro Jahr
Diese Situation ist die Ausgangslage, in Afghanistan die Energiewende einzuleiten. Die Regierung will bis 2032 eine Photovoltaikleistung von 1,5 Gigawatt installiert sehen. Die Experten von der AREU gehen sogar davon aus, dass in diesem Zeitraum bis zu 3 Gigawatt Solarstromleistung errichtet und wirtschaftlich betrieben werden können. Immerhin wartet Afghanistan mit einer Sonneneinstrahlung von 4,5 bis sieben Kilowattstunde pro Quadratmeter und Tag auf – von Südwesten nach Nordosten hin abnehmend. Außerdem hat das Land 300 Sonnentage pro Jahr.
Damit diese Ziele erreicht werden können, möchte die Regierung ausländische Investoren unterstützen. Dabei reicht es aber nicht aus, die rechtlichen Rahmenbedingungen für ausländische Investoren bereit zu stellen. Gleichzeitig müssten lokale Akteure wie Investoren und Banken hinsichtlich der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Photovoltaik fortgebildet werden, betonen die Autoren der Studie.
Ein Markt für Off-Grid-Anlagen
Die gegenwärtige Situation der Stromversorgung in Afghanistan zeigt schon, wo die größten Potenziale schlummern. Statt aufwändig Netze durch die Berge des Hindukusch zu bauen, ist es viel preiswerter, die Stromversorgung der Dörfer über Inselnetze zu sichern. Ein zweites vielversprechendes Geschäftsmodell ist der Bau von großen Solarparks mit direktem Vertrieb des Stroms an Unternehmen und Energieversorger über Abnahmeverträge (Power Purchase Agreement – PPA). Ein drittes wirtschaftlich darstellbares Geschäftsmodell sind Eigenverbrauchsanlagen auf Dächern von Gebäuden mit Netzanschluss. Denn die afghanische Regierung will das sogenannte Net-Metering zulassen. Dabei wird der überschüssige Strom zunächst ins Netz eingespeist und bei Bedarf wieder aus dem Netz bezogen. Für den eingespeisten Strom bekommt der Anlagenbetreiber dann 75 Prozent einer Einspeisevergütung und rechnet das gegen den Preis für den aus dem Netz bezogenen Strom. Das Netz wird dann quasi zum Stromspeicher für den Anlagenbetreiber.
Noch sind die Fördermechanismen und die neuen Rahmenbedingungen nicht in Kraft. Aber die Autoren der Studie sehen bereits die ersten Erfolge, so dass sie davon ausgehen, dass der Solarmarkt in Afghanistan an Fahrt aufnimmt. So wurden bereits die ersten vier Stromabnahmeverträge mit dem staatlichen Energieversorger abgeschlossen, für Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 760 Megawatt. Eine netzferne Anlage mit einer Leistung von 400 Kilowatt wird zudem gerade in der zentralafghanischen Provinz Bamiyan errichtet. Derzeit werden außerdem große Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 375 Megawatt fest geplant oder errichtet. (Sven Ullrich)