Das Gebäude im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf besteht aus einem vierstöckigen (Salbeiweg 46-48) und einem zweistöckigen Gebäudeteil (Kerbelweg 26-30) mit jeweils großen Flachdächern (322 beziehungsweise 550 Quadratmeter). Beide Gebäudeteile hängen zusammen. Es gibt insgesamt fünf Eingänge. Der 1968er Backsteinbau ist rund 100 Meter lang. 32 Wohnungen mit einer Größe zwischen 63 und 94 Quadratmeter haben jeweils Terrasse oder Balkon, ausgerichtet nach Osten in Richtung Garten, sowie ein eigenes Kellerabteil. Eichen sorgen für Verschattung. Das Mehrfamilienhaus ist an die Fernwärmeversorgung angeschlossen. Das Dach ist im Jahr 2023 vollständig erneuert worden, ergänzend zur Dämmung der Giebelseiten.
Der Bau verfügt über innenliegende Notfallschächte, an die Kaminöfen angeschlossen werden könnten. Die 32 digitalen Wohnungszähler der Energienetze Hamburg GmbH sind jeweils in einem kleinen Raum unterhalb der jeweiligen Kellertreppe positioniert. In dem größeren Gebäudeteil sind es jeweils acht Zähler, in dem kleineren jeweils vier Zähler.
Die Idee: Solidarische Balkonkraftwerke
Als Erfinder und Namensgeber der Balkonkraftwerke war es für mich eine Freude, als mich der Eigentümer und Verwalter von 114 Wohnungen in sechs ähnlichen Gebäuden in Hamburg-Ohlsdorf, Christian Warsch, anrief. Er stammt aus Ammersbek und hat dort selbst eine Initiative rund um Balkonkraftwerke ins Leben gerufen (nebenan.solar). Seit 2021 beschäftigt er sich mit Solartechnik – und bildete sich zum Solarfachberater weiter.
Warsch war getrieben von dem Gedanken, seine Mieter „echt“ an der Energiewende partizipieren zu lassen und entsprechende Solarstromanlagen solidarisch zu finanzieren. Gewinn wollte er damit nicht erzielen – wohl aber seine Investitionskosten in vertretbarem Zeitrahmen wieder reinholen. Aus dieser Gemengelage entstand die grundlegende Idee, jeder Wohneinheit ein Balkonkraftwerk, bestehend aus vier Solarmodulen mit je 440 Watt auf dem Dach zu installieren.
Doch 1.760 Watt Solarerzeugung sind für Mieter, die im Schnitt 1.800 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr verbrauchen und tagsüber überwiegend nicht Zuhause sind, zu viel Strom, um die Anlage lediglich im Marktstammdatenregister einzutragen und Überschüsse ins Netz zu geben. Also entschieden wir: Die 32 Balkonkraftwerke brauchen Mikro-Wechselrichter-Leistung (2*800 Watt) sowie Speicherung (4,3 kWh, bestehend aus Kopf- und Erweiterungsspeicher) und die reguläre Anmeldung beim örtlichen Netzbetreiber, um Einspeisevergütung zu erhalten. Mit diesem Konzept der auf dem Dach montierten Kleinkraftwerke lassen sich die Stromkosten pro Wohnung um zirka 40 bis 55 Prozent reduzieren.
Die Wohnungsspeicher mit externen Mikro-Wechselrichtern werden in den kleinen Räumen unterhalb der Kellertreppe untergebracht und über die Strippen vom Dach, die durch den Notfallschacht nach unten gezogen werden, mit den Dachkraftwerken verbunden. Die Verbindung in die Wohnungen ist aufgrund des Wohnungszählers in diesem Raum ohnehin vorhanden.
Die 128 Solarmodule der Dachkraftwerke werden ergänzt durch zwei große PV-Anlagen (je 54 Panels): Die Allgemeinstromanlage ist mit einem Batteriespeicher im Keller (Wechselrichter mit 15 Kilowatt (kW), 16 kWh Speicherung) kombiniert und deckt sowohl den Strombedarf Beleuchtung oder die gemeinschaftlich genutzte Waschmaschine ab. Ein zusätzlicher Wechselrichter (10 kW) ergänzt die Anlage. Die dritte Anlage ist als Volleinspeiseanlage konzipiert, deren EEG-Erträge zur Refinanzierung der Investitionskosten von 280.000 Euro dienen.
Die Vorteile: Die Eingriffe ins Gebäude sind minimal – lediglich die digitalen Wohnungszähler müssen durch Zweirichtungszähler ersetzt werden. Es benötigt keine Veränderungen des Hauptzählerschranks oder gar des Trafos unweit des Gebäudes. Und auch das Messkonzept ist simpel: Der Stromverbrauch jenseits des Wohnungszählers wird durch das smarte Energiemanagement der Batteriespeicher in Verbindung mit Shelly-Aufsätzen gewährleistet. Mehr ist nicht notwendig.
Und für den Eigentümer fallen auch die sonstigen, bürokratischen Hürden weg: Er wird nicht zum Energieversorger, sondern lediglich zum Betreiber der beiden großen Photovoltaikanlagen. Er hat keine Vollversorgungspflicht, denn die Mieter behalten ihren Stromvertrag für die Reststromlieferung.
Reaktionen von Mietern und Netzbetreiber
Die Reaktionen auf das Konzept „Solidarische Balkonkraftwerke“ sind durchweg positiv. Mit dem Netzbetreiber wurde das Projekt frühzeitig und im Einvernehmen abgestimmt. Der hohe Anteil der Speicherung entlastet das dortige Verteilnetz. Die Überschüsse werden in der Regel in umliegenden Gebäuden verbraucht, da kaum PV-Anlagen vorhanden sind.
Und: Alle 32 Mietparteien haben dem Konzept zugestimmt und freuen sich auf die Beteiligung an der Energiewende. Sie werden als Mieter Anlagenbetreiber und profitieren vom solidarischen Finanzierungskonzept: Vermieter Warsch erhält eine Dach-Pacht, die 50 Prozent der erzielten Einsparungen der jeweiligen Wohneinheit im Vergleich zu den drei Vorjahren entspricht.
Als kleines „Zuckerl“ erhalten die Mieter die Einnahmen aus der EEG-Einspeisevergütung. Dazu verzichtet Warsch künftig darauf, die Kosten für Allgemeinstrom auf die Mieter umzulegen. Zwei Wallboxen mit niedrigen Kosten von 20 Cent pro kWh kommen hinzu.
Fazit
Das Konzept „Solidarische Balkonkraftwerke“ ist eines, das aus meiner Sicht auf viele weitere Gebäude in Deutschland übertragen werden kann – nicht nur auf die weiteren Mehrfamilienhäuser von Christian Warsch. Die baulichen Besonderheiten mit Notfallschächten und Räumen unterhalb der Treppe, die ideal für Speicher und Wechselrichter geeignet sind, können leicht auch anders gelöst werden. Mieterstrom wird endlich zu einem echten Gewinn für Vermieter, Mieter und die Energiewende. (nw)
Autor: Holger Laudeley, Laudeley Betriebstechnik