Nicole Weinhold
Eine Windkraftanlage ist kein Fliwatüüt – sie kann nicht wie das tolle Mobil aus Boy Lornsens Kinderbuch von 1967 „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ je nach Bedarf fliegen, schwimmen oder fahren. Aber verschiedene Windkraftanlagen haben jeweils das Eine oder Andere schon getan. Die Frage ist daher eher: Ist das sinnvoll?
Daniel Hautmann schreibt in seinem Buch "Windkraft neu gedacht - Erstaunliche Beispiele für die Nutzung einer unerschöpflichen Ressource" über neuere technologische Entwicklungen auf dem Feld der regenerativen Energiequellen. Spannend ist dieser Rundumschlag auf jeden Fall. Darüber hinaus verschafft er einen tollen Überblick über den Stand der Technik. Und der langjährige Journalist schreibt dabei einfach und verständlich.
Zwei Beispiele für das, was den Leser erwartet:
1. Fliegende Windkraft
Hautmann erklärt, was es mit der fliegenden Windkraft auf sich hat: In der Höhe sei der Wind stetiger und intensiver, doch die Windstromernte über eine Turbine gestaltet sich schwierig, je höher der Turm. „Während die Halteleinen von Höhenwindkraftwerken nur Zuglasten aushalten müssen, werden Windradtürme auf Druck und Biegung beansprucht. Trotz des Materialaufwands kratzen selbst die Flügelspitzen der weltweit höchsten Windräder gerade an der 260-Meter-Marke. Der höchste Windradturm steht übrigens im süddeutschen Gaildorf und misst „nur“ 178 Meter.“ Und noch ein Vorteil von Flugdrachen: „Die enorme Verfügbarkeit des Höhenwindes und die hohen erwartbaren Jahrestromerträge würden die Stetigkeit der Windenergie verbessern und damit das große Problem der Windenergienutzung lindern: die Volatilität.“ Weltweit arbeiten laut Hautmann derzeit geschätzt rund 50 Unternehmen an Flugwindkraftwerken. Dabei kristallisierten sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen heraus: „Das eine Lager bringt den Generator in die Luft und erzeugt den Strom im Flug. Über spezielle Halteseile, die gleichzeitig den erzeugten Strom transportieren, wird er dann zur Erde geleitet. Das andere Lager favorisiert die Stromerzeugung am Boden. Steigt der Kite oder Flügel in die Höhe, spult er ein Seil ab das einen Generator antreibt und dabei Strom generiert. Das Prinzip wird auch Jojo genannt, da der Flügel immer wieder eingeholt wird – und in dieser Phase kein Strom erzeugt wird.“
Ins Lager derer, die den Generator fliegen lassen, gehöre die US-Firma Makani. Die Amerikaner haben nach Angaben des Autors die größte, leistungsfähigste und am weitesten entwickelte Höhenwindkraftanlage der Welt in Betrieb. „Sind die Generatoren am Flügel montiert, so wie bei Makani, dann lässt sich die ganze Zeit Strom erzeugen – da der Flügel beständig im Wind kreist. Derzeit halten die US-Amerikaner mit ihrem Fluggerät M600 einen 26 Meter langen Karbonfaserflügel am Seil. Acht an der Tragfläche montierte Generatoren erzeugen im Idealfall, also bei genügend Wind, stolze 600 Kilowatt.“ Allerdings birgt die Technik ein Risiko. Die Konstruktion wiegt so viel wie ein kleines Flugzeug. Sie sollte besser nicht bruchladen. Kein Wunder, dass – wie wir bei Hautmann lesen – seit 2019 über dem Meer getestet wird. Das Unternehmen denkt bereits über Fünf-MW-Flieger nach.
Andere bekannte Firmen, die Höhenwindkraft anbieten, sind Ampyx, Enerkite, Skysails und eine Reihe anderer Firmen. Alle werden ebenfalls mit ihren Techniken im Buch dargestellt, was ziemlich spannend ist. Denn viele sind in der Vergangenheit kurz in den Medien präsent gewesen und dann wieder in der Versenkung verschwunden. Jetzt habe sie zum Teil finanzkräftige Partner gefunden, die eine Kommerzialisierung vorstellbar erscheinen lassen: Partner wie Google oder in Deutschland EnBW. Hautmanns Fazit: Tatsächlich steht die fliegende Windkraft noch ganz am Anfang. Viele Fragen seien offen, etwa zu Risiken: „Was ist mit Flugzeugen oder Hubschraubern, die sich in den Leinen verheddern könnten?“
2. Beispiel: Windkraft für Selbstversorger
Ein schönes Kapitel, das durch die mitunter skurrile Welt der Kleinwindkraft führt. Das Miniwindrad für den eigenen Strombedarf auf dem Dach oder im Garten ist der Traum vieler, die auf Kohle- und Atomstrom verzichten wollen. "Meist kommen solche Anlagen bei abgelegenen Forschungsstationen, netzfernen Häusern oder auf Yachten zum Einsatz. Mit größeren Anlagen lassen sich sogar ganze Firmen oder Bauernhöfe versorgen. An windreichen Standorten und in Kombination mit Batteriespeichern liefern sie rund um die Uhr Energie." So erfährt der Leser zunächst. Und dann muss er zur Kenntnis nehmen, dass es für Privatpersonen mit der Wirtschaftlichkeit nicht so weit her ist mit den kleinen Windrädchen. Aber: Spaß an der Technik bieten sie allemal. Und das offenbar auch schon den Erfindern, die die verrücktesten Designs entworfen haben, wie Hautmann zeigt. Beim Kombimodul Windrail von Anerdgy soll die Energieerzeugung am Dachrand durch die Kombination aus
Photovoltaik und Windenergie gesteigert werden. Die Anlage des Schweizer Herstellers klammert sich an die Dachkante („rail“) eines zwölfgeschossigen Wohnhauses in Spandau. Die exponierte Lage sei ideal für die Windernte, so die Berliner Immobiliengesellschaft Gewobag, die das Prinzip gemeinsam mit den Berliner Stadtwerken zwei Jahre testete. "Die Idee: Die Windräder nutzen die durch Luftumströmungen am Gebäude erzeugten Druckunterschiede, die entlang der Fassade zum Dach entstehen. In einem sich verjüngenden Kanal wird der Wind beschleunigt und treibt ein kleines Windrad an. Die Anlage hatte zehn Kilowatt Wind- und zwölf Kilowatt Photovoltaikleistung. Pro Jahr sollten rund 18 000 Kilowattstunden Energie entstehen. Das hat leider nicht geklappt, sagt Erfinder Sven Köhler: „Insgesamt ist das Nutzpotential von Wind an Flachdachgebäuden leider sehr gering und nur in ausgewählten Lagen überhaupt denkbar. Dazu kommen Bauvorschriften und Normen und Versicherungsaspekte.“ Und so ist es leider oft auch mit der konventionelleren Kleinwindkraft auf einem Turm und mit drei Flügeln, vor allem wenn wie mit Garten zwischen hohem Haus und hohen Tannen installiert wird. Eine kuriose Alternative stellt Hautmann ebenfalls vor: "Der Freiburger Architekt Wolfgang Frey plant die Energiewende aus dem Wald heraus. Mit Mini-Windrädern, die er direkt in die Baumkronen pflanzt, will er Fundament und Mast sparen – und damit eine Menge Geld.
Immerhin fallen für diese beiden Komponenten eines Windrads rund Zweidrittel der Gesamtkosten an, sagt Frey. Doch als das erste Baumwipfelwindrad läuft, stellt sich das zuständige Landratsamt quer und untersagt den Betrieb."