ERNEUERBARE ENERGIEN: Vestas plakatierte zur Husumer Windmesse eine windradbestückte Berglandschaft mit dem Slogan „50GWhat?“- zu deutsch: 50 Giga-Was? Ein Fingerzeig, dass Investoren angesichts immer neuer Modelle ratlos werden bei der Wahl ihrer Binnenlandturbine?
Wolfgang Schmitz: Nein, natürlich nicht. Es steht wohl für das Bewundern und Staunen darum, dass Vestas bereits Windturbinen mit 50 Gigawatt Gesamtkapazität weltweit installiert hat. Und dass Vestas damit eine einmalige Erfahrung und Sicherheit in der Anlagentechnologie vorweisen kann.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Vestas nimmt einen Drei-Megawatt-Binnenlandtyp neben V112-3.0 MW ins Programm: V126 - und bietet V112 nun auch für Starkwind an, wofür es bisher V90 empfahl. Zählt nur noch Rotorgröße?
Schmitz: Die entscheidende Frage für Anlagenbetreiber lautet hierbei ja, wie viel Wind können Sie an einem Standort ernten, insbesondere, wenn die Windgeschwindigkeiten im schwachen oder mittleren Bereich liegen. Und wie viele Windstunden können Sie in Generator- und besser noch Vollleistung umsetzen. Das entscheidende Maß dafür ist Generatorleistung über Fläche: Wenn Sie die Daten unserer Maschinen hierzu mit denen anderer Windturbinen vergleichen, sehen Sie dass wir überall an der Spitze liegen. Die V126 zum Beispiel generiert am selben Schwachwindstandort, mit durchschnittlicher Windgeschwindigkeit von 6,5 Metern pro Sekunde und bei Standardluftdichte, 15 Prozent mehr Volllaststunden als die V112.
ERNEUERBARE ENERGIEN: An der Spitze liegen heißt hier, weniger Leistung pro Flügelmeter oder anders ausgedrückt: weniger Strom pro Einheit Rotorblattlänge ernten zu müssen. Reicht diese Leistungsdichte als Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb?
Schmitz: Nein. Deswegen ist der Kunde aber auch nicht von der Vielzahl der angebotenen Produkte verwirrt. Der Kunde kennt sein Windprofil vor Ort und kann dann im Rechenmodell verschiedene Modelle durchgehen. Und er hat eine Präferenz hinsichtlich eines Unternehmens und seiner Strategie. Denn wir verkaufen ja mit der Maschine auch eine 15 bis 20-jährige Partnerschaft. Der Kunde guckt sich ein Gesamtpacket an. Das ist wie bei einem Auto, Haus oder einer Maschine: Bei der Kaufentscheidung spielen viele Kriterien eine Rolle.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Gibt es dann aber technisch an sich nicht mehr viel, um sich zu unterscheiden?
Schmitz: Doch, gerade der Vollumrichter, unser Flexpowersystem namens Gridstreamer, ist so ausgerichtet, dass zukünftige und derzeitige Netzanforderungen damit abgebildet werden können. Das ist im Markt schon ein Thema, da haben wir eine zukunftsweisende Technologie. Ansonsten gibt es kleinere Feinheiten, mit denen sich die Anlagen technisch auszeichnen. . Aber zugegeben: Der normale Turbinenkäufer kauft einen Business-Case, wenn er nicht eine bestimmten technischen Hintergrund hat. Er kauft eine Turbine zu einem gewissen Preis inklusive der Garantie einer bestimmten hohen jährlichen Verfügbarkeit der Anlage. Der Kunde kauft somit kauft Erträge. Dafür muss er dann auf das vertrauen, was wir technisch da in die Maschine hineinpacken. Wir garantieren ja auch dafür.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Vestas will den Takt der Anlageninnovationen erhöhen – als Antwort auf Überkapazitäten, Preisverfall, steigende Kosten. Doch ist das wirtschaftlich?
Schmitz: Unsere Plattformstrategie erlaubt es uns, Anlagenvarianten schneller, effizienter zu entwickeln. Das heißt, die V126 ist keine neue Maschine sondern eine Variante der bestehenden Plattform der V112. So ist der inkrementale Innovationsschritt kleiner und kann deswegen auch schneller vonstatten gehen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Wo liegt die Grenze? Kann Vestas neue Versionen auch in Jahresschritten einführen?
Schmitz: Der Ressourceneinsatz für neue Plattformen im Jahresrhythmus wäre zu groß. Es macht keinen Sinn, weil der technische Fortschritt sich ja nicht in dieser Geschwindigkeit verändert und darstellt. Auch unsere Kunden würden verwirrt, weil sie in Genehmigungsprozeduren von Projekten stecken, die je nach Standort auf der Welt zwischen zwei und fünf Jahren andauern. Würden wir in Jahres- oder Zweijahresschritten neue Maschinen herausbringen, hätte der Kunde immer das Gefühl, er habe gerade das falsche Modell. Wie lange ein Produktlebenszyklus ist, der für den Kunden Sinn macht, sehen Sie bei der V112. Sie wird weiter verkauft werden. Die Plattform selber wird wahrscheinlich zehn Jahre bestehen. Aber für die windschwache Region, die wir jetzt in Süddeutschland erschließen wollen, war es eben nötig, den Flügel noch mal zu vergrößern, um in der Effizienz hoch zu kommen. Und das haben wir jetzt binnen zwei Jahren geschafft. Und wir werden in der nächsten Zeit noch weitere Innovationen bringen auf dieser Matrix. Dabei gibt es mehrere Dimensionen, die wir für den Kunden optimieren müssen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Werden Sie mit der Flügelgröße und vielleicht sogar mit der Leistung noch weiter nach oben gehen?
Schmitz: Die Leistungen und Flügelgrößen gehen meistens nach oben.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Aber dennoch bleibt: Letztlich können Sie die Turbinenmodelle nicht in beliebig geringen Stückzahlen herstellen – ohne dass die Wirtschaftlichkeit darunter leidet …
Schmitz: Es ist hier tatsächlich die Frage, wie stellt man sich in der Fertigung auf: Die Produktion der Flügel ist werkzeuggebunden. Das heißt, da haben Sie generell sehr hohe Umrüstzeiten der Blattschalenformen. So, dass man also gewisse Produktmengen je Anlagentyp haben muss, um einen Standort zu rechtfertigen und ihn wirtschaftlich zu betreiben. Anders sieht es mit der Montage der Gondeln aus, weil hier alle Anlagen einer Plattform dieselben Baugrößen und Bauteile haben. Vestas hat flexible Werke, wo wir schon mehrere Produkte über eine Montagelinie laufen lassen. Hier haben wir Konzepte aus der Automobilindustrie auf unsere Fertigung übertragen. Sie können da fast beliebig, so lange eine Anlagenklasse nur lange genug läuft, auch geringe Stückzahlen pro Jahr verwirklichen. Aber natürlich: Die Entwicklung einer Anlagengröße ist eine Investition. Da machen Sie zu Beginn einer Anlagentypentwicklung eine Planung, welches Marktsegment kann ich damit bedienen. Und dann können Sie überlegen, wie viel Entwicklung, wie viel Innovation kann ich mir überhaupt in diesem Bereich erlauben.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Wie viel jährlich zu vermarktende Stückzahlen rechnen Sie denn in Zukunft für ihre derzeitigen Hauptturbinentypen?
Schmitz: Wir haben einen Marktanteil in Deutschland von 23 Prozent. 2,4 und 2,5 Gigawatt ist das Potenzial des deutschen Markts. Unser Ziel ist es, hier in Richtung eines Marktanteils von 30 Prozent zu gehen. Wenn Sie das durch drei dividieren, dann haben Sie unsere Stückzahlen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Inwiefern wird man dazu kommen, dass man bei Ihnen Konfektionsgrößen bestellen kann? Zum Beispiel, wenn sich regionale Anlagenkunden zusammenschließen sollten, um einen bestimmten neuen Anlagentyp einzufordern?
Schmitz: Sie suchen da nach einer Herausforderung, die wir nicht haben. Bei der Frage, bei welcher Stückzahl macht eine Variante wirtschaftlich Sinn sind wir noch nicht an einer Grenze angekommen, nein. Das stabilste im Markt ist das grundsätzliche Kundenbedürfnis. Wenn wir die Märkte segmentieren, erkennen wir, welches Bedürfnis hat dieser Kunde. Und das Bedürfnis verändert sich nicht schlagartig. Und wir müssen für diese Bedürfnisse technische Lösungen suchen. Wenn jetzt eine größere Gruppe da ist, würden wir fragen: Das ist ein Segment, das ein Bedürfnis hat – wie kann Vestas das abdecken. Es gibt Site-spezifische Lösungen, die Auslegungen der Anlage, Ihre Türme, sowie Anpassungen an bestimmte Windturbulenzen betreffen. Da machen wir schon eine Maßanfertigung, aber greifen im Prinzip auf das Baukastensystem zurück. Ein Beispiel: Bei einer bestellten Menge von 50 Anlagen würden wir vielleicht schon noch einen spezifischen Turm herstellen, um für den Kunden Kosten zu sparen - etwa einen etwas niedriger dimensionierten Turm.
Dr. Wolfgang J. Schmitz leitet in seiner Position als President Vestas Central Europe beim Weltmarktführer Vestas eine der größten Ländergruppen des Unternehmens. Sein Geschäftsbereich zeichnet sich verantwortlich für den Vertrieb, die Installation, den Betrieb und das Marketing von Windenergieanlagen in Deutschland, Benelux, Österreich, Russland, Osteuropa sowie Süd- und Ostafrika.
Zuvor hat Schmitz mehr als 15 Jahre erfolgreich in der Geschäftsführung und in Vorstansdspositionen international tätiger Unternehmen der Windenergie-, Automobil- und Transportbranche, sowie der Bergbau- und Metallindustrie im In- und Ausland gearbeitet.
Das Interview führte Tilman Weber auf der Messe Husum Windenergy im September. Es ist am 1. November bereits im Magazin ERNEUERBARE ENERGIEN in gekürzter Version erschienen. Wir dokumentieren es an dieser Stelle in voller Länge.