Windkolosse mit zehn Megawatt will Jochen Bard vom Fraunhofer IWES künftig im Meer sehen. Sie sollen im tiefen Wasser weit vor der Küste treiben, anstatt fest auf dem Meeresboden zu stehen. Mitte November hat das IWES damit begonnen, die Entwicklung schwimmender Windräder zu unterstützen: Im HiPRwind-Projekt (gesprochen:
Hyperwind) wird das Institut mit seinen Projektpartnern einen schwimmenden Prototypen mit 1,5 Megawatt Leistung konstruieren und errichten. „Ende 2013 gehen wir mit der Anlage ins Wasser“, sagt Projektleiter Jochen Bard.
Wassertiefen ab 50 Meter wollen die Beteiligten erschließen – Gebiete, wo stehende Strukturen an ihre Grenzen stoßen. Das Fraunhofer-Institut hat acht Unternehmen um sich versammelt, um dieses Ziel zu erreichen. 2011 legen sich die HiPRwind-Mitglieder auf eine Konstruktion fest und erarbeiten die Details der Anlage. Drei von ihnen sitzen in Spanien: Acciona Windpower wird eine offshoretaugliche 1,5-Megawattturbine konstruieren; den Schwimmkörper soll das Stahlbauunternehmen Idesa fertigen. Die Vicinay Cadenas zeichnet sich für die Verankerung verantwortlich. Vicinay hat ihren Sitz in Bilbao an der nordspanischen Küste zum Golf von Biskaya – dieses Gebiet bevorzugen auch die Projektplaner als Standort für ihr schwimmendes Windrad.
„Wir erproben das Konzept zunächst mit der kleinen Windturbine und wollen es später hochskalieren. Es wäre zu riskant, schon zu Beginn das größte Windrad der Welt zu entwickeln und schwimmend zu testen“, erläutert Bard. Er betrachtet die geplante Konstruktion als Modell, das dem IWES hilft, verschiedene Probleme zu lösen: HiPRwind steht für high Power, high Reliability offshore wind technology und soll hohe Leistungen mit hoher Zuverlässigkeit verbinden. „Die schwimmende Konstruktion von Statoil und Siemens, Hywind, hat vor Norwegen 4.500 Volllaststunden erreicht. Dieses Potenzial muss man voll ausschöpfen können, um die Anlagen wirtschaftlich zu betreiben“, sagt Bard. Ungeplante Stillstände will IWES mit intensiver Anlagenüberwachung vermeiden – vor einem Schaden soll ausreichend Zeit für gezielte Wartungen bleiben. Nach der Inbetriebnahme werden die Projektpartner zwei Jahre Daten sammeln und Optimierungskonzepte erarbeiten.
Drei Schwimmkörper möglich
Auch bei der teuren Unterkonstruktion hoffen die Partner, Möglichkeiten zu finden, um die Kosten zu senken. Zwar legen sich die Mitarbeiter von HiPRwind derzeit nicht auf einen konkreten Schwimmkörper fest, tendieren aber zum Halbtaucher. Er besteht aus mehreren miteinander verbundenen Pontons. Diese sind zum Teil mit Luft gefüllt, um der Anlage den nötigen Auftrieb zu geben. Der Halbtaucher ermöglicht eine kostengünstigere Errichtung der Anlage, weil sie komplett an Land montiert und auf den Schwimmkörper gesetzt werden kann. Schlepper würden das Windrad auf See ziehen, wo es verankert und verkabelt wird. Teure Errichterschiffe und schwimmende Kräne wären für die Installation nicht nötig.
Der Nachteil der Halbtaucherkonstruktion sind hohe Materialkosten. „Eine feststehende Fünf-Megawatt-Anlage benötigt etwa 1.000 Tonnen Stahl, für eine Halbtaucherlösung kommen weitere 500 Tonnen hinzu“, sagt Bard. Allein die Stahlkonstruktion würde bei dieser Größe 4,5 bis neun Millionen Euro kosten.
Neben dem Halbtaucher prüfen die Wissenschaftler auch das Spar-Konzept (Siehe linke Illustration in der NREL-Grafik "Floating Wind Turbine Concepts"). Diese Lösung hat Statoil im Hywind-Projekt genutzt. Sie besteht aus einer mehr als 100 Meter langen Stahlröhre. Ein Problem: Bei Wetterextremen kann sich die Anlage bis zu 20 Meter auf- und abbewegen. Außerdem muss sie im Wasser installiert werden. „Unser Vorhaben, Wassertiefen ab 50 Meter zu erschließen, könnten wir hiermit nicht umsetzen. Da wären 200 Meter Tiefe nötig“, sagt Bard. Eine Alternative bietet die Tension Leg Platform (TLP – mittlere Illistration in der NREL-Grafik). Sie ähnelt der Halbtaucherlösung mit Pontons, benötigt jedoch weniger Stahl und hat wesentlich mehr Auftrieb. Dadurch steht die Verankerung der Anlage stets unter hoher Spannung, die Konstruktion taucht nicht unterschiedlich tief in das Wasser ein, sondern verharrt in ihrer Position.
Topografie verlangt schwimmende Anlagen
Auf Dauer sehen die Beteiligten des HiPRwind-Projektes keine Alternative zur schwimmenden Konstruktion: Monopiles sind nicht beliebig skalierbar und stoßen schnell an ihre wirtschaftlichen Grenzen. Außerdem eignen sich feststehende Gründungen nur in wenigen Gebieten innerhalb Europas (siehe Karte). Bisherige Offshoregebiete konzentrieren sich in der südlichen Nordsee, wo das Wasser flach und der Wind stark ist. Tiefe Gewässer sind auch in Küstennähe großflächig vorhanden: Gebiete vor Norwegen, Südfrankreich, der Iberischen Halbinsel und Teilen Schottlands lassen sich schwimmend leicht erschließen.
Damit die Industrie diese Gebiete nutzen kann, stellt das IWES die Erkenntnisse aus dem HiPRwind-Projekt der Branche zur Verfügung. 20 Millionen Euro darf das Vorhaben kosten, gut die Hälfte dieser Summe steuert die EU bei. Das Projekt wird zeigen, ob schwimmende Strukturen unabhängig von der Windturbine einsetzbar sind oder jede Anlage eine individuelle Lösung braucht. Auch untersuchen die Projektpartner die Anforderungen an die Offshore-Anlagen. „Sie können schwingen, Dreh- und Kippbewegungen machen oder auf- und abwippen“, sagt Bard. Die Entwickler wollen dafür sorgen, dass die schwimmende Struktur die auftretenden Kräfte abfängt und die Windturbine schützt. Aber auch auf die Turbinenbauer werden neue Herausforderungen zukommen.
DENNY GILLE