Interview: Nicole Weinhold
Ertragsgutachten brachten in der Vergangenheit oft bessere Ergebnisse, als das, was später wirklich erzielt wurde. Ein Problem für Investoren. Wie kam es zu den falschen Ergebnissen?
Herbert Schwartz: Es gibt Gründe, die man nennen kann, aber es gibt auch einen großen Bereich, der unklar ist. Wir als Gutachter wüssten auch viel lieber, was in der Vergangenheit zu realistischen und weniger realistischen Ergebnissen geführt hat. So eine Untersuchung ist mir aber nicht bekannt. Und wir haben ja so viel hinter uns, dass sich das lohnen würde. Es gibt ein paar Dinge, die genannt werden können. Das Entscheidende ist, dass in den letzten 20 Jahren tendenziell das Windpotenzial immer schwächer geworden ist, und wir damit kontinuierlich unsere Sichtweise dessen, was wohl das langfristige Windpotenzial ist, nach unten korrigiert haben. Zwangsläufig müssen Windgutachten zu hoch gelegen haben, weil sie von einem höheren Windpotenzial ausgegangen waren. Das Ganze wird in der Öffentlichkeit oft als ein Fehler im BDB-Index der Betreiberdatenbasis von Keiler und Häuser bezeichnet. Das sehe ich nicht so. Die Grundgedanken des BDB-Index haben sich nicht geändert. Es hat sich nur die Realität in der statistischen Betrachtung geändert. So schlecht und so falsch war das gar nicht, was Keiler und Häuser im BDB-Index die ganzen Jahre über gemacht haben. Wer sagt, dass es in der Vergangenheit zu hohe Prognosen gab, der macht es sich zu leicht. Es gibt noch viele andere Einflussfaktoren. Zum Beispiel die Strömungsmodelle, vor allem das hier am meisten verwendete WASP, unterschätzen in Deutschland in den meisten Regionen die Windunterschiede. Wenn Sie früher eine Windkraftanlage auf einem Hügel hatten, und die als Vergleichsanlage nehmen für die neuen Planungen, die aber in nicht so günstiger Lage sind, weil die besten Lagen zuerst weg sind, dann hat man den Effekt, dass diese Modell den Unterschied unterschätzen. Das ist nur ein Element.
Dann gibt es noch das Phänomen, dass es Planern und Windgutachtern sehr lieb ist, wenn die Windgutachten erfreuliche Ergebnisse bringen. Denn der Planer kann den Standort dann den Investoren besser verkaufen. Und der Gutachter möchte, dass der Planer mit ihm zufrieden ist und ihn wieder konsultiert. Oder?
Herbert Schwartz: Den Effekt gab es in den 1990er Jahren. Da gab es viel Ärger, wenn man im Sinne des Auftraggebers nicht genügend Wind festgestellt hat. Das hat sich in den vergangenen 15 Jahren geändert. Natürlich gibt es noch die Erwartungshaltung, aber die ist nicht mehr so deutlich. Der Kunde wünscht sich natürlich viel Wind. Aber es wird nicht mehr so wie vor 20 Jahren ein Druck zu guten Ergebnissen ausgeübt. Aber natürlich kommt die Frage: Kann es auch etwas mehr sein? Andererseits gibt es die Landwirte, die eigenes Geld reinstecken, Stadtwerke, Bürgerenergiegesellschaften, die daran interessiert sind, dass das Gutachten nicht zu hoch ist.
Die Technische Richtlinie 6 ist in Deutschland maßgeblicher Standard bei der Bestimmung des Windpotenzials und Energieertrages für Windenergieanlagen. In Kürze wird Revision 11 erscheinen. Was ändert sich im Wesentlichen?
Herbert Schwartz: Es hat sich herausgestellt, dass die letzten Revisionen teilweise editorisch suboptimal waren, das heißt es gibt sprachliche Unklarheiten. Ein Teil der Arbeit für Revision 11 ist insbesondere klar zu stellen, welches Gewicht in einzelnen Anforderungen liegt. Das wird die Diskussion in der Praxis erleichtern.
Es gibt zum Bespiel die so genannten Muss-Forderungen. Wenn da steht: Das muss so sein und ich erfülle das in meinem Gutachten nicht, dann muss ich das in dem Kapitel „Abweichung von der Richtlinie“ auch nennen. Und nur wenn ich eine triftige Begründung liefern kann, warum in diesem speziellen Fall trotzdem das Gutachten in seiner Gesamtheit noch dem Anspruch der TR 6 genügt, kann ich es noch als TR6-konformes Gutachten darstellen. Wenn es eine Soll-Vorgabe in der TR6 gibt, muss ich immer, wenn ich davon abweiche, sagen warum das nötig war. Aber es muss nicht an der prominenten Stelle „Abweichung von der Richtlinie“ auftauchen. Und wieder andere Dinge stehen in der TR6, die eigentlich nur Empfehlungen sind. Und diese drei Elemente – Empfehlungen, Soll- und Mussvorschriften – werden jetzt lanciert.
Und welche Muss-Vorschrift wird jetzt nochmal stärker herausgekehrt?
Herbert Schwartz: Es gibt nur wenige neue Vorschriften, aber diese sind besser formuliert. Weil wir festgestellt haben, dass wir viele Diskussionen hatten. Verschärft haben wir die Frage der Verifikation von Fernmessgeräten. Müssen sie verifiziert oder anders gesagt kalibriert werden? Wie häufig? Das war bisher von uns allen laxer gehandhabt worden. Solche Dinge werden jetzt klarer gefasst.
Neu in der TR6 ist, dass man versucht, wesentlich mehr Vorschriften hinsichtlich der Festlegung der Unsicherheiten zu machen. Das ist noch in der Diskussion. Es gibt die eine Gruppe von Gutachtern, die möglichst viel, möglichst detailliert festgeschrieben haben will. Und es gibt die andere Gruppe, die mehr die gutachterliche Verantwortung betont. Da ist noch nicht entschieden, wo die Reise hingeht. Aber es gibt einen Entwurf, der die Festlegung von Unsicherheit detailliert festhält.
Was bringen die Anpassungen konkret für den Planer?
Herbert Schwartz: Es gibt weniger Diskussionen zwischen den Gutachtern, wie die TR6 zu interpretieren sei.
Wann können wir mit der Revision rechnen?
Herbert Schwartz: Kann sein, dass sie im Frühjahr rauskommt, aber ich bin skeptisch. Es kann auch Ende 2019 werden.
Herbert Schwartz wird das BWE-Seminar Ertragsgutachten und Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit von Windparkprojekten am 19. Februar in Berlin leiten. Darin geht es neben den hier angesprochenen Themen unter anderem um Berechnungsverfahren und Gutachtenbewertung. Infos hier.