entsorgung
Seit fast zwei Jahrzehnten schreibt die Windenergie-Branche in Deutschland eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte. Dies hat zur Folge, dass viele Windkraftanlagen der ersten Generation, die eine durchschnittliche Lebensdauer von 20 Jahren haben, in absehbarer Zeit das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen. Darüber hinaus werden technisch noch intakte Windkraftanlagen aufgrund des rasanten Fortschritts der Branche aus ökonomischen und ökologischen Gründen teilweise bereits vorzeitig durch neuere Anlagentypen ersetzt. Dieser als „Repowering“ bezeichnete Austausch von Anlagen wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich noch weiter beschleunigen, weil geeignete Standorte für Windenergieanlagen in Deutschland immer knapper werden.
Für viele Anlagenkomponenten, wie zum Beispiel den Turm oder das Fundament, existieren bereits seit einigen Jahren praktikable Entsorgungslösungen. Die Stahlsegmente gehen überwiegend als Sekundärrohstoff zurück ins Stahlwerk, und die Betonteile werden nach einer Aufbereitung als Recyclingbeton zum Beispiel als Unterbaumaterial für Verkehrsflächen verwendet.
Eine völlig andere Situation stellte sich bisher bei den ausgedienten Rotorblättern und Gondeln aus faserverstärkten Kunststoffen dar: Mit Inkrafttreten der Technischen Anleitung für Siedlungsabfälle (TASi) wurde im Juni 2005 die Deponierung – der bis zu diesem Zeitpunkt gängige Entsorgungsweg für voluminöse faserverstärkte Kunststoffbauteile – verboten. Hauptgrund für das Ablagerungsverbot ist der hohe Orga-nik-Anteil der Rotorblätter von rund 30 Prozent, der den zulässigen Grenzwert von fünf Prozent Kohlenstoff deutlich überschreitet. Abfälle mit derart hohem Kohlenstoffanteil will der Gesetzgeber stattdessen der thermischen Verwertung in Verbrennungsanlagen zuführen.
Notlösung Müllverbrennung
Da eine nachhaltigere Entsorgungslösung nach Experteneinschätzung in den vergangenen Jahren nicht zur Verfügung stand, wurden Rotorblätter mit Industriescheren und mobilen Shreddern zerkleinert und anschließend in eben diesen Müllverbrennungsanlagen entsorgt. Insbesondere der bei diesem Verfahren freigesetzte, gesundheitsgefährdende Feinstaub und die Verschmutzung der näheren Umgebung mit scharfkantigen Faserverbundresten lässt diese Praxis immer problematischer erscheinen.
Die Entsorgung in Müllverbrennungsanlagen gestaltet sich auf den ersten Blick sehr einfach, jedoch ist ohne umfangreiche Vorzerkleinerung auch dort der Einsatz von Rotorblattmaterial nicht möglich. Außerdem trägt insbesondere der hohe Siliziumanteil im Faserverbundwerkstoff dazu bei, dass es bei höheren Aufgabemengen durch geschmolzenes Glas zu Verklebungen in Anlagenteilen der Müllverbrennungsanlagen kommt.
Auch das so genannte „Downcycling“, bei dem Rotorblätter nach dem Ende ihrer Nutzungsdauer in andere minderwertige Produkte überführt werden, ist nach Experteneinschätzung kein geeigneter, nachhaltiger Weg, da bereits heute ein Überangebot an minderwertigen Kunststoff-Recyclaten besteht. Infolge dieses Mangels an praktikablen Lösungen wurden vielerorts Rotorblätter auch auf privaten Flächen zwischengelagert, um so die Zeit bis zur Entwicklung eines geeigneten Entsorgungsverfahrens zu überbrücken. In einigen anderen Fällen gab es zudem Verdachtsmomente, die darauf schließen lassen, dass Rotorblätter trotz des seit 2005 bestehenden Verbots weiterhin auf Deponien entsorgt wurden.
Schwierige Trennung
Rotorblätter bestehen überwiegend aus Faserverbundwerkstoffen, das heißt eine Verbindung aus zwei Hauptkomponenten: einer bettenden Matrix sowie verstärkenden Fasern. Zusätzlich enthalten Rotorblätter Füllwerkstoffe, Lacke und Metalle. Der sehr enge Verbund der Materialien, insbesondere innerhalb des Faserverbundes, macht eine Trennung am Ende der Nutzungsdauer äußerst schwierig und energieintensiv. Hinzu kommt, dass sich nur wenige Werkzeuge für die Zerkleinerung der Blätter eignen und mechanische Verfahren bei diesem Werkstoffverbund in der Regel mit hohem Materialverschleiß einhergehen.
Die größte Herausforderung bei der fachgerechten Entsorgung von Rotorblättern stellt allerdings der bei der Zerkleinerung entstehende Feinstaub des Materials dar. Die freigesetzten Staubpartikel sind lungengängig, das heißt sie dringen wie Feinstaub bis in die winzigen Lungenbläschen vor und bergen so ein erhebliches Gefahrenpotenzial für die Gesundheit von Mensch und Tier. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Explosionsgefahr beim Auftreten höherer Staubkonzentrationen.
Die Zementindustrie wurde bereits kurz nach Inkrafttreten der TASi in 2005 auf die Problematik der zukünftigen Entsorgung von Rotorblättern aufmerksam. Mit dem Projekt „Nachhaltige Verwertung von Rotorblättern im Zementwerk Lägerdorf“ stellte sich der Geschäftsbereich Geocycle des Norddeutschen Zementherstellers Holcim AG der Herausforderung. Ziel des Projektes war die Entwicklung eines zu der grünen Technologie der Windkraft passenden Entsorgungsweges.
Dabei sollten die Rotorblätter vollständig – stofflich und energetisch – bei der Zementherstellung genutzt und der produzierte Zement später wieder zum Beispiel für Betonfundamente neuer Windkraftanlagen verwendet werden.
In Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner Zajons Logistik und Entsorgungsgesellschaft mbH wurden insgesamt 68 Rotorblätter mit Längen zwischen 20 und 42 Metern in Versuchsanlagen zerkleinert, von Metall befreit und homogenisiert. Trotz Einhaltung aller Vorschriften ereignete sich während des Aufbereitungsprozesses eine Verpuffung. Grund war eine zu hohe Staubkonzentration, die bei der neuen Anlage durch stetigen Luftaustausch vermieden wird. Dieser Zwischenfall und auch der hohe Materialverschleiß verdeutlichten bereits in diesem frühen Stadium die großen Herausforderungen bei der Verwertung von Rotorblättern.
Ein patentiertes Verfahren
Im Mai 2009 wurde im Holcim-Zementwerk Lägerdorf in Schleswig-Holstein unter Einhaltung der 17. Bundes-Immisionsschutzverordnung (BImSchV) ein erster großtechnischer Betriebsversuch mit ausgedienten Rotorblättern durchgeführt. Die Dosierung, der Transport und das Ausbrandverhalten des Materials verliefen dabei problemlos. Neben der Nutzung des Energiegehaltes der Rotorblätter diente die Asche als Korrekturstoff im Zementklinkerherstellungsprozess. Dies führte letztendlich dazu, dass das neu entwickelte Verfahren zum Patent angemeldet wurde.
Nachdem sich bereits in ersten Gesprächen mit Beteiligten aus der Windkraftindustrie abzeichnete, dass ein optimaler Verwertungsweg am Standort der Windkraftanlage beziehungsweise dem Lagerplatz der Rotorblätter beginnt, waren Anfang und Ende der Prozesskette definiert. Das Rotorblatt wird am Standort beziehungsweise dem Lagerplatz entgegengenommen und ist am Ende des Prozesses Bestandteil des Zementes. Der Prozess zwischen Anfangs- und Endpunkt gestaltet sich wie folgt.
Um teure Schwertransporte möglichst zu vermeiden, werden mit Hilfe einer aus dem Betonrückbau bekannten mobilen Schneidetechnik die faserverstärkten Großbauteile bereits vor Ort so weit zerkleinert, dass ein Transport ohne Sondergenehmigung möglich ist. Zur Minimierung von gefährdenden Staubbelastungen wird beim Schneidvorgang durch Benetzung der Schnittstelle mit einem Sprühnebel eine maximale Reduktion des entstehenden Materialfeinstaubes bewirkt. Das hierbei entstehende Abwasser wird gesammelt und in der Aufbereitungsanlage in den Materialstrom des Rotorblattes zurückgeführt. Die auf rund zehn Meter Kantenlänge vorzerkleinerten Teilstücke werden je nach Verkehrsanbindung per LKW oder Bahn in die Aufbereitungsanlage nach Melbeck in Niedersachsen geliefert. Über mechanische Transporteinrichtungen gelangen die Blätter vom Lagerplatz der Plattform in den Vorzerkleinerungsbereich der Anlage. Mittels auto matisch arbeitender Sägen erfolgt die Zerlegung der Rotorblätter beziehungsweise der Rotorblattsegmente in Elemente von je circa einen Meter Länge.
In nachgeschalteten Zerkleinerungsschritten werden die Rotorblattsegmente auf etwa 50 Millimeter Kantenlänge gebrochen. Anschließend werden Eisen- und Nichteisenmetalle abgeschieden und das Material mit einem als Trägermaterial dienenden Ersatzbrennstoff in einem bestimmten Verhältnis ge-mischt. Dieser Prozessschritt dient der Homogenisierung und bindet den bei der Zerkleinerung entstehenden Feinstaub.
Stofflichen Kreislauf schließen
Sämtliche Verfahrensschritte innerhalb der Plattform werden in gekapselten, vollautomatischen Systemen durchgeführt und gewährleisten damit ein Höchstmaß an Arbeits- und Gesundheitsschutz. Durch ständigen Luftaustausch wird sichergestellt, dass keine explosionsgefährdeten Staubkonzentrationen im Inneren der Anlage entstehen. Die Bindung der Staubpartikel durch das Trägermaterial reduziert Staubemissionen auch bei allen dem Aufbereitungsprozess folgenden Schritten auf ein Minimum. Das produzierte Materialgemenge wird per LKW in das Zementwerk Lägerdorf transportiert, in einer Halle mit automatischem Kransystem gelagert und über Austragsschnecken und Bandstraßen zum Kalzinator gefördert.
Im Kalzinator wird bei einer Temperatur von 850 bis 900 Grad die im Stoffstrom enthaltene thermische Energie zur Kalzinierung des Rohmaterials, das heißt die prozessbedingte CO2-Abspaltung aus dem Kalkstein bei der Zementherstellung, genutzt. Die im Rotorblatt enthaltene nutzbare Wärmemenge ist mit einem Heizwert von 14 Megajoule pro Kilogramm ungefähr halb so hoch wie die von Steinkohle. Dies bedeutet, dass mit jeder eingesetzten Tonne Rotorblattmaterial im Zementwerk ungefähr eine halbe Tonne Steinkohle substituiert und damit natürliche Ressourcen geschont werden.
Nach der Verbrennung eines Rotorblattes im Kalzinators bleiben rund 50 Prozent der ursprünglichen Masse als Asche zurück. Diese Asche wird zusammen mit den Rohmaterialen und den Aschen der anderen Brennstoffe in das Drehrohr des Ofens aufgegeben. Im nun folgenden Sinterprozess bilden sich bei einer Temperatur von rund 1450 Grad aus Rohmaterialien und Brennstoffaschen die entsprechenden Mineralien, die als Zementklinker bezeichnet werden. Da Rotorblattaschen überwiegen aus Sili-ziumdioxid bestehen, ersetzten sie im Sinterprozess teilweise natürlichen Sand.
Der nach Abkühlung entstandene Zementklinker wird unter Zugabe von Gips zu Zement vermahlen. Dieser Zement unterscheidet sich qualitativ nicht von anderen Zementen und könnte zum Beispiel auch zur Fertigung neuer Betonfundamente für Windenergieanlagen verwendet werden. Der Stoffkreislauf Rotorblatt wird durch dieses Verfahren geschlossen.
Anerkanntes Recycling
Mit dem erfolgreichen Abschluss des Betriebsversuches im Mai 2009 erfolgte der Startschuss zur Errichtung einer neuen Aufbereitungsanlage. Ab Mai 2010 können die ersten Rotorblätter in der von Zajons in Melbeck neu errichteten Anlage aufbereitet und im Zementwerk Lägerdorf verwertet werden.
Da eine vollständige Auslastung der Anlagenkapazität von 15.000 Tonnen pro Jahr allein durch Rotorblätter vor 2015 kaum zu erwarten ist, werden Produktionsabfälle der Windkraftbranche und faserverstärkte Kunststoffe aus anderen Industrien ebenfalls in der neu errichteten Anlage aufbereitet und im Zementwerk verwertet. Eine von der Automobilindustrie im September 2009 veröffentlichte Stellungnahme zeigt, dass es sich bei der Mitverbrennung von Duroplasten bei der Zementherstellung gemäß der EU Waste Framework Directive um anerkanntes Recycling handelt. Das Recycling von Rotorblättern aus Windenergieanlagen ist folglich nicht länger Fiktion, sondern Realität. Der Windkraftindustrie steht ab sofort ein nachhaltiger Verwertungsweg zur Verfügung, der die Chance bietet – ähnlich wie von der Photovoltaikindustrie bei ausgedienten Modulen bereits praktiziert – sich zu einer freiwilligen Rücknahme von Altanlagen zu bekennen.
Die Kombination aus „Grüner Stromproduktion“ und umweltfreundlicher Entsorgung ermöglicht einen geschlossenen Produktkreislauf für eine nachhaltige Industrie.
Dr. Erwin Schmidl
Stephan Hinrichs
Holcim Deutschland AG