Tilman Weber
Stephan Glocker ist Geschäftsführer des Ingenieurbüros Energieprofile im bayerischen Memmingen und Sachverständiger für Windturbinentechnik. Im Expertennetzwerk Windexperts prüft er als Sachverständiger den Zustand von Windenergieanlagen bei den regelmäßigen Wiederkehrenden Prüfungen. Beim Seminar des Bundesverband Windenergie vom 27. bis 28. August in Hamburg, Schäden und Schadensprävention bei Windenergieanlagen, informiert er über eine der am meisten vom Größenwachstum der Windturbinen belastete Komponente. Im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN erklärt er, wieso Rotorblattdrehlager trotz gelegentlicher Ausfälle im Betrieb gar kein so heißes Eisen für die Branche sind. Lesen Sie hier den zweiten Teil des Interviews, Teil 1 können Sie nun in unserem gedruckten Heft in der aktuellen Ausgabe lesen.
Was sind die häufigsten Erscheinungen, denen Sie nachgehen müssen - und wann wird es wirklich kritisch?
Stephan Glocker: In der Praxis haben wir es gerade bei älteren Anlagen oft mit Laufbahnverschleiß und schwergängigen Lagern zu tun. Diese Probleme können sich mit der Zeit durch Abnutzung und Schmierstoffmangel einstellen. Hier ist wichtig, dass die Wartung und Schmierung der Blattlager über die komplette Betriebszeit immer sorgfältig und vollumfassend durchgeführt wird. Zum Zweiten haben wir an Anlagen der Leistungsklasse über zwei MW in letzter Zeit oft Risse in den Außenringen gefunden, die teilweise schon nach vergleichsweise kurzer Betriebsdauer aufgetreten sind. Dies kann daran liegen, dass die Blattlager aufgrund der komplexen Beanspruchungen dynamisch hoch belastet werden, insbesondere bei größeren Anlagen. Mit jeder Umdrehung fällt das Blatt zweimal sozusagen in das Lager, einmal nach links und einmal nach rechts belastend. Außerdem scheinen mir die Auslegungsreserven der Blattlager bei größeren Anlagen geringer zu sein. Wenn der Außenring des Blattlagers mit der Nabe verschraubt ist, ist ein Riss unschön und teuer, er bleibt aber für gewisse Zeit geschlossen und führt in der Regel nicht zum Blattverlust.
Kritisch kann es werden, wenn der Innenring des Blattlagers mit der Nabe verschraubt ist und der Außenring mit dem vergleichsweise instabilen und „weichen“ Rotorblatt. Bricht hier der Außenring, so öffnet sich das Lager, die Kugeln fallen heraus und das Rotorblatt fällt herab. Dieser Schaden kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel hohe dynamische Beanspruchungen oder ungenügendes Design. Auch Korrosion innerhalb der Bohrungen durch ungenügenden oder auch beschädigten Korrosionsschutz kann zu Kerbwirkung führen, die in Verbindung mit den hohen dynamischen Beanspruchungen die Lebensdauer deutlich reduzieren kann. Hier sind im Verdachtsfall besonders genaue Überprüfungen notwendig.
Das ist insgesamt alles sehr komplex. Können hier nicht besser durch eine zentrale Prüfung durch den Tüv, wie es der Technische Überwachungsverein selbst vorschlägt, die Anlagen sicherer werden?
Stephan Glocker: Für diese Bewertungen ist sehr spezifisches Fachwissen erforderlich, welches wir frei organisierten Sachverständigen durch unsere Netzwerke und durch die Kooperation innerhalb des BWE-Sachverständigenbeirats gewinnen. Die Tüvs sind im BWE-Sachverständigenbeirat auch als Mitglieder organisiert und profitieren von dieser Kooperation wie jedes andere Mitglied auch. Ich bezweifle aber sehr, dass diese komplexen Probleme gelöst werden können, wenn nur eine einzelne Sachverständigengruppe, nämlich die Tüvs exklusiv die Prüfungen durchführen dürften.
"Ich würde mir wünschen, wenn sich die Tüvs im BWE-Sachverständigenbeirat stärker engagieren"
Zum anderen sind die Tüvs auch als Zertifizierer tätig und haben in diesem Bereich auch einen guten Ruf. Wenn sie die Wiederkehrenden Überprüfungen exklusiv machen würde und wir freien Sachverständigengesellschaften ausgeschlossen wären, wäre die Prüfung nicht mehr unabhängig von der Zertifizierung.
Außerdem sind wir im BWE organisierten freien Sachverständigen die schlagkräftigste Gruppe und die Gruppe mit der größten Erfahrung. Vor dem Hintergrund der Anlagensicherheit macht es überhaupt keinen Sinn, sie für die Wiederkehrende Prüfung auszuschließen.
Ich würde mir wünschen, dass sich die TÜVs im Sachverständigenbeirat noch stärker engagieren. Vor Allem hierdurch ist ein Zugewinn an Anlagensicherheit zu erwarten.
Große Blattlagerteststände gibt es nicht erst seit gestern. Zuletzt forschten das Fraunhofer Iwes zusammen mit Partnern im Projekt HAPT, um das bis dahin modernste Testinstrument bauen zu können. Jetzt gibt es schon ein Folgeprojekt mit dem Iwes, sowie mit mehreren Turbinenbauern wie Vestas, GE und Nordex. Können diese Teststände dazu führen, dass Blattlager keinen Schaden mehr nehmen, weil grundsätzlich nur die funktionstüchtigsten Lager zum Einsatz kommen?
Stephan Glocker: Komponententests und Prüfstandversuche sind in der Industrie sehr wichtige Methoden, um ein Design zu überprüfen und zu verifizieren. Die Ausfallwahrscheinlichkeit nimmt sicher ab für Blattlager, die am Prüfstand erfolgreich erprobt worden sind. Sie sind aber keine Gewährleistung dafür, dass es im realen Betrieb nicht doch zu Problemen führt. Als Beispiel will ich die Korrosion in den Bohrungen anführen, die an einem Teststand nicht simulierbar ist und die sich erst in der Praxis gezeigt hat.
Welche Lagerfehler verschwinden, welche kommen neu hinzu und warum?
Stephan Glocker: Ich denke, dass durch klassische Ingenieurskunst die momentanen Blattlagerprobleme gelöst werden können. Das Blattlager ist nämlich immer noch eine Standardkomponente. Die dynamischen Beanspruchungen durch die Rotorblätter sind hinlänglich bekannt. Die meisten Probleme sind aufgetreten, weil teilweise sehr einfache Dinge nicht beachtet worden sind. Auf der anderen Seite ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch wieder neue Probleme dazu kommen werden. Welche das sind, ist schwer vorherzusehen und wird die Zukunft zeigen.
Sind Blattlager eine Risikokomponente geworden und wie gehen die Betreiber mit dem Thema um?
Stephan Glocker: Blattlager sind bei bestimmten, glücklicherweise bei wenigen Anlagentypen tatsächlich zu einer Risikokomponente geworden. Dem Betreiber ist anzuraten, besonders Augenmerk auf die Blattlager zu legen und sich gemeinsam mit seiner Servicefirma und auch unabhängig von der Servicefirma ein eigenes Bild vom Zustand seiner Lager zu machen. Bei kritischen Lagern kann die Installation einer Überwachungseinrichtung sehr sinnvoll sein.
Lesen Sie auch Teil 1 in unserem aktuellen Heft, das Sie einzeln nachbestellen können, falls Sie kein Abonnement besitzen. Darin spricht Stephan Glocker auch darüber warum der weit über die Branche hinaus Aufsehen erregende Blattabbruch eines Windparks im rheinland-pfälzischen Gau-Bickelheim heute beim betroffenen Windturbinentyp nicht mehr vorkommen kann. Und was sein Unternehmen damit zu tun hat.
Der BWE veranstaltet vom 27. bis zum 28. August in Hamburg das Seminar Schäden und Schadensprävention bei Windenergieanlagen.