112 Meter, 114, 117 Meter, 120, 122, 126 Meter, dann 130, 131, 132, 136, 137 Meter, 140, 141 und 142 Meter. Haben Sie´s erraten? Für Angehörige der Windenergiebranche ist das kein Rätsel: Die seit 2010 rechnerisch im Halbjahrestakt vorgenommene Vergrößerung der Rotordurchmesser immer neuer Binnenlandwindturbinen belegt eine inzwischen atemberaubende – besser: fast atemlose, also abgehetzte Entwicklungstätigkeit. Zur Verdeutlichung dieses beeindruckenden Größenwachstums der Windenergieanlagen ließe sich das Zahlenspiel mit den Turmhöhen wiederholen: 100, 120, 140, 150 und 165 Meter.
Was die Windindustrie so inzwischen bei der Präsentation ihrer neuen Turbinen zwei bis drei Mal jährlich vorführt – auf ihren wichtigsten internationalen Messen in Hamburg, Husum und Hannover sowie in den USA – ist zunächst ein beeindruckender Beleg für ihre hohe Innovationskraft. Es ist, als habe sie die irdischen Grenzen der Physik inzwischen gesprengt. Die immer neuen Anlagen müssen sich immer noch stärkeren und noch dauerhafteren Windeinströmungen stellen, müssen noch schwerere Eigenlasten tragen oder größere Hebelwirkungen von Turm und Rotorblättern standhalten. Oder sie müssen umgekehrt umso flexiblere Strukturen einsetzen. Dass die Windindustrie die Weiterentwicklung ihrer Turbinen in diese neuen Dimensionen inzwischen so schnell bewältigt, ist also ein Zeichen ihrer hohen Reife: Mit besserer Aussteuerung elektrischer und elektronischer sowie auch besserer mechanischer Aussteuerung lassen sie die Turbinen präziser auf verschiedene Windlasten reagieren. Mit neuen Schallvermeidungstechnologien umgehen Sie die strengen Anwohnerschutzbestimmungen in Deutschland ohne die Windräder zu oft abregeln zu müssen. Mit besserer Berechnung der baulichen Grenzen ermitteln die Entwickler so zielsicher wie nie zuvor, wo sie mit Leistung und Last noch mehr an die baulichen Grenzen ihrer aktuellen Modelle gehen können, ohne die Wände erneut verstärken zu müssen und damit die Kosten zu erhöhen. Denn all diese neuen Anlagen dienen letztlich einem Ziel: Die Stromgestehungskosten pro Kilowattstunde über die Laufzeit eines Windparks hinweg immer noch günstiger zu machen.
Also alles gut?
Treiber des Ende September bei der Messe Wind Energy in Hamburg eindrucksvoll wie kaum jemals zuvor sichtbaren Trends sind wohl zuvorderst neue Gesetzgebungen wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die Reform des EEG erst im Jahr 2014 und nun für 2017 im stärksten Windenergiemarkt Europas ist ganz wesentlich verantwortlich für den Trend. Das geht aus den Erklärungen der Windturbinenbauer eindeutig hervor. Auch wenn die Vertriebsabteilungen eher ungerne ihre Anlagen auf nur einen Markt festschreiben lassen wollen – um sie stattdessen möglichst überall verkaufen zu können: Immer wieder nehmen auch sie inzwischen das Wort der „Deutschlandanlage“ in den Mund. Diese Turbinen sind zunächst für die erstmals 2017 in Deutschland startenden Ausschreibungen gedacht. Das EEG will mit diesen Ausschreibungen den Wettbewerb zwischen den Turbinenbauern verstärken – und vor allem damit erklärtermaßen immer günstigere Stromerzeugungskosten erreichen. Erhöht wird der Wettbewerb aber nicht zuletzt auch dadurch, dass ab 2017 und effektiv noch stärker ab 2018 erstmals gesetzliche Zubauobergrenzen den Markt in Deutschland auf jährlich 2,5 Gigawatt Zubau deutlich verkleinern.
Und hieraus entsteht ganz offenbar ein Wettbewerb, der einerseits zu einer gewaltigen Innovationswelle in der Windkraft geführt hat. Tatsächlich stellen die Anlagenbetreiber inzwischen Stromerzeugungskosten von nur noch fünf Cent als Normalität in Aussicht. Zum Vergleich: Es bedeutete nicht weniger als die Reduzierung der Kosten im zweistelligen Prozentbereich, weit über zehn Prozent, fast auf einen Schlag.Im Vergleich übrigens zu den jetzt garantierten 8,5 Cent pro Kilowattstunde, die in den meisten Fällen in den ersten 5 bis 15 Betriebsjahren gezahlt werden.
Andererseits führt das EEG somit zu einem Technologiewettbewerb, der die Anlagen gänzlich unbeachtet aller Akzeptanzprobleme bei vielen Anwohnern neuer Windparks designt. Die Energiepolitik insbesondere der deutschen Bundesregierung handelt hierbei mindestens paradox, wenn nicht schizophren oder gar bösartig. Denn genau diese Akzeptanzprobleme führt sie zur Begründung ihrer Reformen gerne als deren demokratische Basis ins Feld. Das Argumentationsmuster geht bekanntlich so: Technologisch und wirtschaftlich sei die Begrenzung des Ausbaus und die rasche Reduzierung der staatlich garantierten Besservergütung im Vergleich zu konventionellen Stromerzeugern alternativlos. Der Ausbau der Netze könne mit dem zu raschen Ausbau der Windkraft nicht mithalten. Die Windindustrie habe außerdem keinen besonderen „Welpenschutz“ mehr nötig. Sie müsse daher rasch den harten Bedingungen marktwirtschaftlichen Wettbewerbs ausgesetzt werden, damit die Strromversorgung verlässlich und bezahlbar bleibe. Aber auch demokratisch sei die Reform unausweichlich: Die Akzeptanz der Windkraft sinke, weil sie auch an windarmen Standorten durch Subventionen ausgebaut werde, weil sie zu nahe an menschliche Siedlungen heranrücke, weil zu schnell zu viele Turbinen hinzukämen.
Die EEG-Reform wie auch nationale energiepolitische Entscheidungen anderswo forcieren nur eine genau umgekehrte Technologieentwicklung. Zwar machen die neuen Riesenturbinen den Strom billiger. Doch die Akzeptanz wird mit immer noch größeren Turbinen aufs Spiel gesetzt.
Wirklich windkraftförderliche Reformen hätten eine schon eingeleitete Entwicklung der Turbinentechnik verstärkt: Anlagen, die eine immer gleichmäßigere Stromeinspeisung garantieren, weil ihr Rotor im Verhältnis zur Leistung größer wird und daher mehr Strom einfangen kann. Vor allem aber auch den Einsatz von Speichern, die die Stromeinspeisung genau auf den Verbrauch und damit den Bedarf im Netz reguliert – und somit ergänzende konventionelle Energieerzeugung erübrigt. Geniale Ideen all dieser Entwicklungsmöglichkeiten haben die innovativen Windturbinenhersteller längst im Köcher.
Stattdessen sorgen Energiewirtschaftsreformen offenbar überall auf der Welt für diese schädliche Dynamik: Einzelne Windräder müssen immer mehr einspeisen, um bei knappen Ausbauflächen und Windparkprojekten den weniger werdenden Investoren größtmögliche Gewinne zu versprechen. Und fast ist es im Endeffekt dann so, als müssten die neuen Turbinen jederzeit so viel Strom wie möglich ins Netz drücken – um auf dieses Weise die Kohlekraftwerke in der Umgebung zu verdrängen.
Eine Prophezeihung darf hier gewagt werden: Mit Größenwachstum bei Erzeugungsleistung und Bauwerkmaßen allein wird moderne Windkraft gegen Atom- und Kohlekraftwerke letztlich nicht gewinnen können.
(Tilman Weber)