Wer von Windenergie spricht, meint meistens die Stromerzeugung mit Hilfe riesiger Rotoren. Tatsächlich werden die Anlagen immer gewaltiger, weit draußen auf dem Meer sind Durchmesser von 200 Metern bereits die Regel. Der Wind lässt sich zwar auch mit viel kleineren Rotoren einfangen. Bislang herrschte in der Branche allerdings die Ansicht, Kleinwindanlagen wären generell unrentabel. Für die meisten kleinen Rotoren mag das auch stimmen, hier passen Aufwand und Ertrag einfach nicht zusammen. Ein Windrad für den Garten wird sich wirtschaftlich wohl niemals rentieren. Wer sich allerdings intensiv mit den physikalischen Besonderheiten der Windenergie beschäftigt, stellt fest: Das sinnvolle Einsatzgebiet startet schon weit unter den Groß-Rotoren. Es kommt dann allerdings auf die richtige Anlage an. Wird die gewonnene Energie dann noch direkt vor Ort verbraucht können auch kleine Rotoren rentabel arbeiten.
Das Berliner Unternehmen Enbreeze hat sieben Jahre lang intensiv an dem Problem geforscht und jetzt eine neue Generation von wirtschaftlichen Kleinwindanlagen vorgestellt. Sie geht erstmals Mitte Oktober am Stadtrand von Berlin ans Netz. Im Bezirk Marzahn steht die nur 30 Meter hohe 15-kW-Windanlage inmitten eines weitläufigen Gewerbegebietes. In Deutschland gibt es unzählige ähnliche Standorte, an denen sinnvoll Strom aus Wind gewonnen werden könnte. Geeignet wären etwa mittelständische Betriebe, Kommunen, Forschungs- und Lehreinrichtungen oder auch große Verbrauchermärkte, die ihren Strombedarf lokal und emissionsfrei decken wollen. Für Mega-Rotoren sind solche stadtnahen Standorte ungeeignet, ein Windrad von Enbreeze ließe sich aber meist ohne großen Aufwand installieren. Unternehmen oder Geschäfte könnten damit pro Jahr im Durchschnitt etwa 30 000 Kilowattstunden Strom für den Eigenverbrauch produzieren.
Die neue Anlage hat ein spezielles Rotordesign. Sie wurden so konstruiert, dass sie die turbulenten Winde in niedriger Höhe effizient nutzen können. Zudem sind sie mit weniger als 45 Dezibel Geräuschentwicklung kaum zu hören – anders als große Windanlagen. „Wir mussten die Rotorblätter von Grund auf neu entwickeln. Es genügt eben nicht, einfach eine Großanlage auf kleineren Maßstab zu bringen“, sagt Jan Dabrowski, einer der Firmengründer von Enbreeze.
Nutzt man den Wind als Energiequelle, hat man mit vielen physikalischen Besonderheiten zu kämpfen. So besitzt der Wind bei 8,5 Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit pro Quadratmeter (einem sinnvollen Wert für die Nennleistung einer Kleinwindenergieanlage) eine Leistung von etwa 375 Watt. Jedoch können am selben Standort maximale Windgeschwindigkeiten von über 52 m/s vorherrschen. Da die Windgeschwindigkeit über die dritte Potenz in die Leistungsberechnung eingeht, ergibt sich eine maximale Windleistung von etwa 86 000 Watt. Das heißt: Zwischen dem Arbeitspunkt (Nennleistung) und der Maximalleistung liegt der gewaltige Faktor von 230.
Mit diesen Besonderheiten der Windenergie muss man umgehen. Es ist daher offensichtlich, dass eine Windenergieanlage ein ausgefeiltes Regelungssystem benötigt, um bei Nennleistung die maximale Leistung aus dem Wind zu nehmen. Diese Regelung darf bei höheren Windgeschwindigkeiten nur die Nennleistung entnehmen, muss die höhere Leistung jedoch ohne wesentlich erhöhte Lasten auf die Anlage durchströmen lassen.
Dieses Problem lösen große Windenergieanlagen mit einem aktiven Pitch-Regelungssystem: Die Rotorblätter werden mit elektrischen oder hydraulischen Antrieben aus dem Wind gedreht, die entnommene Leistung wird so sukzessive reduziert. Durch diese Regelung wird ab dem Erreichen der Nennleistung die Leistung bei steigenden Windgeschwindigkeiten konstant gehalten. Natürlich steigen auch bei solchen Regelungssystemen die Belastungen. Queranströmungen, Böen sowie Windlasten auf alle Bauteile erhöhen die Windlasten statisch und dynamisch.
Für eine kleine Windanlage wäre ein so aufwändiges Pitch-Regelungssystem allerdings viel zu teuer. Enbreeze hat deshalb ein passives Pitch-Regelungssystem entwickelt, welches die Luftkräfte am Rotorblatt gegen das Generatordrehmoment setzt. Hält man ab Erreichen der Nennleistung das Generatordrehmoment konstant, so pitchen sich die Rotorblätter passiv aus dem Wind – immer genau so weit, dass die Nennleistung erreicht wird. Nimmt man die Generatorleistung komplett weg, pitchen die Rotorblätter automatisch aus dem Wind - die Anlage geht in den sicheren Leerlauf über.
Taeseong Kim, ein Wissenschaftler der TU of Denmark in Rygby, sagt zu der Innovation: „Das könnte ein Game-Changer für die Kleinwindenergieanlagen werden“, sagt der Windkraft-Experte. Das System reduziere die Komplexität und damit die Kosten der Anlagen. Viele kleine Windenergieanlagen werden zerstört, wenn ihr Regelungssystem versagt. Die Anlagen gehen dann in einen unkontrollierten Zustand über und die hohen Kräfte im Wind beschleunigen die Anlage weit über die maximal zulässige Drehzahl, bis hin zur Zerstörung. Das passive Enbreeze-Regelungssystem verringert die Lasten auf die Anlage. Das spart Kosten, denn die Komponenten konnten günstiger ausgelegt werden. Die Funktion dieser Regelungstechnik wird bei Enbreeze schon vor dem Bau einer Anlage in umfangreichen Simulationen bestätigt. Dazu kooperiert das Unternehmen mit der Danish Technical University, die das Programm HAWC2 entwickelt hat. Es wird üblicherweise für die aeroelastische Simulation von großen Windenergieanlagen eingesetzt.
Für die nun in Berlin gestartete Anlage mussten die Windlasten der kompletten Anlage berechnet werden – das geschah in vielen tausend Simulationen, um die Maximalkräfte zu untersuchen. Der Anbieter weiß damit schon vorab für jeden Windfall, welche Kräfte am Standort wirken. Im Wettbewerbsvergleich zeigt sich: Durch diese wissenschaftlich untermauerte Auslegung kann die Enbreeze-Anlage effizienter arbeiten als vergleichbare Rotoren.
Besondere Anforderungen gelten bei der neuartigen Anlage auch für die Rotorblätter. Sie unterscheiden sich ebenfalls deutlich von denen an Großanlagen. Zwar stehen Enbreeze-Rotoren nicht in unmittelbarer Nähe von Hausdächern und Bewuchs. Bei einer Nabenhöhe von 20 bis 25 Metern ist aber noch immer mit sehr turbulentem Wind zu rechnen. Gemeinsam mit der Firma Aerodesignworks wurden daher optimierte Rotorblätter entwickelt. Bei einem Spitzenwirkungsgrad von 52 Prozent können sie zusätzlich besonders gut mit turbulenter Anströmung umgehen.
Autorin: Susanne Frank