Karl-Heinz Remmers, Vorstand der Solarpraxis AG, vergleicht zum Auftakt der gut besuchten Veranstaltung von Conexio auf der Intersolar die Absenkung des festen Einspeisetarifs in China mit der Situation in Deutschland im Jahr 2012. Die Solarbranche in der Volksrepublik ist nun ebenso unter Druck wie die deutsche Solarbranche damals, als über 70.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Damals machten chinesische Billigimporte es den Herstellern zusätzlich schwer. „Viele in der Industrie haben die Auswirkungen damals nicht kommen sehen“, so Remmers. Gleichwohl, Deutschland hat sich entwickelt. Einfach nur einspeisen war gestern. Jetzt sei die Solarbranche in Deutschland so weit, systemisch zu denken. Remmers stellt in dem Zusammenhang ein Konzept vor, ehemalige Braunkohleabbaugebiete für die Errichtung großer PV-Kraftwerke mit Speicher zu nutzen.
Remmers fordert Technologieoffenheit
Bezüglich dieses sogenannten Gigawatthybrids erklärte Remmers, die Kohlekommission habe ihre Arbeit aufgenommen. Vom Kohleausstieg seien, was die Arbeitsplätze angeht NRW, Sachsen-Anhalt und die Lausitz in Brandenburg und Sachsen betroffen. „Was machen wir mit den Regionen? Warum nicht dort weiter Energie produzieren?“, fragt er mit Verweis auf den Gigawatthybrid als Lösung. „Das Potenzial ist größter, als das was jetzt aus den Regionen an Kohlestrom im Netz ist.“ Er spricht sich in dem Zusammenhang für die von den Verbänden kritisierte Technologieoffenheit aus und warnt davor, an der falschen Stelle politische Forderungen zu stellen. Stattdessen müsse man sich vergegenwärtigen, dass der Ausbaudeckel bald erreicht ist. „Wer glaubt, dass man den Deckel einfach weg bekommt, der irrt sich.“ Diejenigen, die die Situation in Berlin realistisch einschätzen, machten sich nach seiner Ansicht keine Hoffnungen. Es könne sein, dass das letzte große Solardach Mitte 2020 gefördert werde. Remmers fordert daher Regeln für PPAs und lehnt – wie fast jeder in der Branche - Zölle auf asiatische Importe ab. Diese Einstellung teilt inzwischen auch der BSW Solar, der sich lange nicht festlegen wollte. Für Innovationen sei der Preisdruck durch asiatische Produkte wichtig, so Remmers.
32 Prozent Erneuerbare heißt 20 Gigawatt Solar pro Jahr
Bezüglich des neuen EU-Ziels von 32 Prozent stellte der Solarpraxis-Vorstand klar, dass er dieses neue Ziel positiv bewertet – anders als viele Brancheninsider. Warum? Weil es für Deutschland eine deutliche Erhöhung der Ausbaumengen bei Wind und Solar bedeutet. Deutschland lag 2016 bei 14,6 Prozent und muss entsprechend bis 2030 beim Endenergieverbrauch aus Erneuerbaren um rund 17 Prozent zulegen – 17 Prozent von 2.542 Terawattstunden (TWh/a) müssen durch Erneuerbare ersetzt werden. Zum Verständnis: derzeit kommt PV auf 40 TWh/a bei 43 Gigawatt (GW). 432 TWh/a müssen nun zusätzlich durch Wind und Solar ersetzt werden. Kommt die Hälfte von der PV, heißt das 216 TWh bis 2030. Dafür müssen 230 GW neu installiert werden, jährlich 20 GW.
Als weitere positive Entwicklung auf EU-Ebene bewertet Remmers, dass der Eigenverbrauch in Europa jetzt allgemein erlaubt und sogar gewollt ist. Und auch der Einspeisevorrang der Erneuerbaren bleibe erhalten. „Die neuen Ziele werden helfen, die Regenerativmärkte in Europa weiter auszubauen.
Saubere Luft für Peking
Andreas Liebheit von Heraeus gab in seinem Vortrag einen Überblick über neue Entwicklungen in China. Vorweg schickt er die Message seiner Präsentation: Was China macht, erscheint mir äußerst bedrohlich. Auf der anderen Seite sei es gut, dass China seine Regenerativziele rigoros verfolgt. Das Ziel von 60 Prozent Erneuerbaren in der Volksrepublik bis 2024 hält er für vorstellbar. Als Beispiel für die schnellen Veränderungen nennt er das Projekt Blue Sky, das 2014 in Peking startete mit dem Ziel, die Luftverschmutzung dort zu reduzieren. Seither wurde die Kohle dort um 35 Prozent reduziert, Erdgas hat um 35 Prozent zugelegt. Die fünf Kohlekraftwerke im Großraum Peking wurden abgeschaltet. „Das zeigt, welche Dynamik in China möglich ist.“
Neben Kohlesmog in den Städten stehen auch die Verbrennungsmotoren der Fahrzeuge auf der Abschussliste. In Peking und Shanghai muss man inzwischen rund 15.000 Dollar draufzahlen, wenn man ein Auto mit Verbrennungsmotor neu zulassen will. Ein E-Auto wird einem dort übrigens nur dann verkauft, wenn man nachweisen kann, dass man eine Ladestation hat. Oft heißt die Antwort der Chinesen: Verlängerungskabel aus dem Fenster. Zehn Prozent E-Autos werden ab 2019 für Händler Pflicht in China. „Das ist ein Bedrohungspotenzial für deutsche Autobauer“, so Liebheit.
Die saubere Technologie steht in der Volksrepublik im Fokus. „China wäre aber nicht China, wenn es nicht exportieren würde“, fügt Liebheit an. 44 Milliarden US-Dollar investiert China außerhalb des Landes in Erneuerbare und Sektorkopplung. Dazu gehört auch, dass China sich die Rohstoffe für die entsprechenden Technologien sichert. Bei Batterien sind es vor allem Lithium und Kobalt, die benötigt werden. China hat laut Liebheit fast 60 Prozent des weltweiten Kobaltvorkommens, das vor allem im Kongo liegt, gekauft. Investiert haben die Chinesen aber auch in den Ausbau von Hochspannungsleitungen weltweit. „Brasiliens Übertragungsnetze sind fast vollständig in chinesischer Hand“, berichtet er. Aber auch im eigenen Land wird gebaut, etwa eine 6.000 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstromleitung nach Peking.
Batteriehersteller Catl: viermal so groß wie Tesla
Die chinesische Regenerativindustrie ist in Europa zum Teil wenig bekannt. Etwa der Batteriehersteller Catl, der viermal so groß sei wie Tesla und der im Raum Erfurt eine Fertigung plant. Insgesamt drei große chinesische Batteriebauer wollen in Osteuropa Produktionsstätten aufbauen. In Nigeria investiert China in den Bau eines Wasserkraftwerks mit drei Gigawatt Leistung. Investitionsvolumen: sechs Milliarden US-Dollar. Großprojekte werden aber auch in Dubai, Australien, Griechenland und vielen weiteren Ländern voran gebracht. China investiert beim Thema Speicher nicht nur in Batterietechnik, sondern auch in Wasserstoff: dort sind 16 Milliarden US-Dollar Investment geplant. China ist allerdings vor allem in Asien aktiv, dann in Afrika, es folgt Südamerika und dann erst kommen Investments in Europa und Russland.
In Sachen Solar Solar hat China übrigens einen rasanten Wechsel von multikristalliner Technologie auf effizientere Monozellen hingelegt. Die Firma Longi gibt bereits 14 Prozent Preissenkungen bekannt.
(Nicole Weinhold)