Die Idee vom Multirotor erlebt dieser Tage eine Renaissance. Woran liegt das?
Peter Dalhoff: Mit Multirotoren hat sich schon Hermann Honnef vor 100 Jahren beschäftigt. Aber eigentlich wurde das nie wirklich intensiv untersucht. Erst mit dem Vestas-Demonstrator hat der Multirotor 2016 eine große Aufmerksamkeit erreicht. Es gab schon vorher ein großes EU-Vorhaben namens Innwind, in dem Peter Jameson und andere Forscher sich mit Multirotoren beschäftigt haben. Damals hat er uns gefragt, ob wir ihm mit Strukturanalysen und Studien zum Azimutsystem aushelfen können. Das war dann an der HAW unser Einstieg in die Multirotortechnik. Die physikalischen Skalierungsgesetze sprechen dafür, dass man viele kleine Rotoren statt einem großen einsetzt. Das sogenannte Square Cube Law besagt, dass wenn wir eine Anlage vergrößern, der Ertrag quadratisch mit dem Durchmesser steigt. Aber das Materialvolumen und damit auch die Kosten steigen kubisch. Wenn wir Anlagen immer größer bauen, laufen uns eigentlich die Kosten gegenüber dem zusätzlichen Ertrag davon. Das hieße aber, die Entwicklung der letzten Jahrzehnte mit immer größeren Windturbinen hätte zu teureren Anlagen führen müssen. Und das ist nicht der Fall. Grund: Ingenieure und Wissenschaftler haben es immer wieder geschafft, Kosten und Materialvolumen zu drücken, indem sie bessere Auslegungsmethoden und Werkstoffe gefunden haben, Lasten genauer simuliert, verborgene Reserven entdeckt wurden. Die Windindustrie hat leider noch keine Erfahrungen gesammelt, wie das ist, wenn wir von einer großen Anlage kommend wieder kleinere Baugruppen mit heutigen Technologien bauen. Wir würden natürlich nicht so bauen wie in den 90ern. Aus dem Square Cube Law folgt, dass der Multirotor nur noch 1/√n in Relation zum großen Einzelrotor wiegt. Dann würde zum Beispiel bei 16 Rotoren das Gewichtsverhältnis der vielen kleinen Rotoren in Summe geteilt durch das Gewicht der großen Anlage nur noch ein Viertel betragen. Ein Teil dieser enormen Volumen- und Kostenersparnis muss allerdings mit der Tragstruktur bezahlt werden. Die Rotoren müssen an einem Spaceframe aufgehängt werden, der wiederum bindet an einen Turm oder eine schwimmende Tragstruktur an. Die Multirotoranlage kann damit nachhaltiger produziert werden wegen der geringeren Masse an Rotorblättern und Gondeln. Das Mehr an der Tragstruktur ist gewöhnlich aus Stahl und damit gut recyclebar.
Wie sieht der Wake-Effekte aus?
Peter Dalhoff: Wir haben uns die Forschungsergebnisse anderer Universitäten angeschaut, da liegen auch erste Lidar-Messungen von dem Vestas-Prototyp sowie CFD-Simulationen vor. In beiden Fällen ist zu erkennen, dass sich der Nachlauf schneller regeneriert wegen der veränderten Turbulenzstruktur der vielen kleinen Rotoren. Der ungestörte Wind von der Seite durchmischt sich schneller mit der Nachlaufdelle. Wir können dadurch mit weniger Strömungsverlusten bzw. einem besseren Windparkwirkungsgrad rechnen. Außerdem wurde in anderen Studien mit Hilfe von Windkanalmessungen an Multirotormodellen und mit CFD-Analysen ein Blockage-Effekt festgestellt. Dieser führt zu einer leichten Anhebung des Leistungsbeiwerts, aber leider auch des Schubbeiwerts.
Warum hat Vestas eigentlich so lange nichts hören lassen zu dem Prototyp?
Peter Dalhoff: Die Forschung eines Unternehmens wird nie breit gestreut. Die Vermessung des Demonstrators selbst war reine Vestas-Angelegenheit. Es ist normal, dass der Demonstrator einer solchen Testanlage wieder abgebaut wird, wie hier geschehen. In Seminaren haben wir uns mit Vestas ausgetauscht, und da war unser Eindruck, dass sie da durchaus positive Erfahrungen gesammelt haben.
Wissenschaftler aus der Windkraft predigen seit Dekaden, dass sich der Dreiflügler eindeutig durchgesetzt habe.
Peter Dalhoff: In der Automobilindustrie hätte man auch 100 Jahre sagen können, da wird sich nichts verändern. Es wird für immer und ewig Verbrenner geben. Da tut sich auch gerade eine Menge. Solche revolutionären Veränderungen ereignen sich naturgemäß selten und dann in Sprüngen. Ich gebe auch zu, dass die Dreiblatttechnologie, die man weiter optimieren soll, sehr ausgereift ist. Der Multirotor kann gern mit einer ausgereiften Dreiblatttechnologie betrieben werden. Und das Square Cube Law ist tatsächlich auch unter Experten umstritten. Wenn wir jetzt mal die letzten 30 Jahre nehmen und wir tragen auf der x-Achse den Rotordurchmesser auf und auf der y-Achse das Gewicht der Rotorblätter und dann legt man da eine Kurve durch. Dann sieht man, die steigt nur mit 2,5 statt mit 3. Diesen Vorwurf lasse ich nicht gelten, denn dabei wird vergessen, dass wir in den vergangenen 30 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht haben. Es überlagern sich in dieser Darstellung also die Skalierungsgesetze und die Innovationsfähigkeit. Beim Hochskalieren darf man gerne mit dem Exponenten 2,5 rechnen, also die weitere Innovationsfähigkeit unterstellen. Beim runterskalieren würde ein Exponent von 2,5 jedoch bedeuten, dass wir technologisch wieder rückwärts gehen.
Wie verhält es sich mit den Lasten?
Peter Dalhoff: Wir haben eigene Lastsimulationen gemacht. Und die bestätigen, dass es einen starken Lastglättungseffekt gibt. Wenn wir uns eine 20-MW-Anlage vorstellen mit einem Durchmesser von 260 Metern, dann muss dieser Einzelrotor durch ein riesiges turbulentes Windfeld pflügen. Das Rotorblatt sieht während einer Umdrehung sehr viele unterschiedliche Windgeschwindigkeiten. Entsprechend hat man an so einem großen Einzelrotor hohe Ermüdungslasten. Beim Multirotor hat jeder dieser kleinen Rotoren eine eigene Regelung mit einem eigenen kleinen Windfeld. Daraus ergibt sich eine Lastenglättung, die sich vor allem an Turm und Spaceframe zeigt. Wenn ich zum Beispiel oben schon Windgeschwindigkeiten oberhalb Nennwind habe, dann regeln die oberen Anlagen vielleicht schon ab, während die unteren Anlagen noch voll produzieren. Eine Einzelrotor-Windenergieanlage wird selbst mit individueller Pitchregelung nicht diese Lastglättungsmöglichkeiten erzielen können.
Wie sähe ein 20-MW-Multirotor aus?
Peter Dalhoff: Die Anzahl der Rotoren für den optimalen Multirotor - das ist derzeit ein Teil unserer Forschung. Wir haben zunächst eine einstellige Anzahl von Rotoren untersucht, also bis zu neun. Unser vorläufiges Fazit ist, dass eine einstellige Anzahl schon Kostenvorteile haben kann. Neunmal zwei oder 2,5 MW, so dass man etwa auf 20 MW kommt. So könnte man Turbinen nutzen, die es am Markt gibt. Es produziert ja derzeit keiner mehr eine 500-kW-Gondeln. Baut man eine optimierte Gondel im 500-kW-Bereich und setzt 40 davon ein, dann könnte das näher am Optimum sein, weil man aufgrund der Skalierungsgesetze noch größere Materialeinsparungen bei den Rotor-Gondel-Baugruppen hat. Wir müssen aber auch auf die Betriebskosten schauen. Das haben wir noch nicht erforscht. Qualitativ kann man sich da Vorteile vorstellen. Bei 40 Rotoren mit je 500 kW, die in der Nordsee drehen, wird man entspannt sein in der Leitwarte, wenn eine ausfällt, weil nur ein Vierzigstel Energie verlorengeht. Man kann warten bis mehrere Rotoren ausgefallen sind oder das Wetter gut ist. Da könnte man die Serviceeinsätze eventuell besser clustern. Aus der Werkstofftechnik ist bekannt, dass kleinere Bauteile seltener versagen. Auch unsere Analysen kleiner alter Anlagen bestätigen das. Eine Gondel für den Multirotor müsste verstärkt auf Zuverlässigkeit ausgelegt sein, statt auf Gewichtsoptimum. Wir haben einen Forschungsantrag auf den Weg gebracht zusammen mit EnBW und gehen davon aus, dass wir ab Frühjahr 2021 mit dem Projekt „X Multirotor - Design for Maintenance“ beginnen können. Das derzeitige BMBF-Forschungsprojekt mit Siemens Gamesa läuft Ende 2021 aus.
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Dies Interview zum Multirotor ist eine Kostprobe aus unserem Print-Magazin 7/2020. Hier erhalten Sie ein kostenloses Probeheft unserer aktuellen Ausgabe.