UL 6141 ist die erste Norm des US-amerikanischen Normungsinstituts Underwriters Laboratories (UL) für große Windenergieanlagen. Das international anerkannte Sicherheitsprüfzeichen für elektrische und elektronische Anlagen und Komponenten können sich Hersteller freiwillig für ihre Produkte verleihen lassen. Es war erwartet worden, dass die Norm nach langer Vorbereitung 2012 veröffentlicht wird. Derzeit verzögert sich das und damit ihr Inkrafttreten. Doch klar ist: Sie wird kommen – und das ist insbesondere auch für die Verkabelung der Komponenten innerhalb der Windturbinen interessant.
Die Einhaltung der Norm wird für europäische und auch asiatische Windturbinenhersteller Voraussetzung für einen erfolgreichen Export ihrer Maschinen nach Nordamerika sein. Und genauso wird sie zur Voraussetzung für eine Anlagenproduktion in Nordamerika. Welche Veränderungen genau auf die Hersteller und Exporteure großer Windenergieanlagen zukommen, ist bislang nicht vollkommen klar. Sicher ist, dass UL 6141 den gesamten nordamerikanischen Markt mit den USA und Kanada betreffen wird. Geplant ist, sie in Richtung des US-amerikanischen Normungsinstituts ANSI weiterzugeben. Das ermöglicht eine Zertifizierung durch Unternehmen wie GL, ETL oder Intertek, die wiederum alle NRTL-zertifiziert sind: durch den Standard des Instituteverbundes National Recognized Testing Laboratories (NRTL), zu dem auch der kanadische Normausschuss CSA gehört.
Künftig alle US-Normen zu erfüllen
Bei jeder weiteren Beurteilung der aufgrund UL 6141 notwendig werdenden Änderungen etwa für Produktion und Installation der Kabel, aber vor allem auch für die Ausstattung der Windturbinen gilt: Gemäß dem bevorstehenden neuen Standard werden sowohl der allgemeine UL-Komponenten-Standard als auch der Abschnitt der UL 6141, der sich mit der Verkabelung befasst, erfüllt sein müssen. Das heißt, dass keine Norm an die Stelle der anderen tritt. Und falls es für die betreffende Komponente noch keinen UL-Standard gibt, müssen diese Komponenten bei der so genannten interne Verkabelung entweder der Norm UL 508 oder der Norm UL 1741 entsprechen. Dies gilt zusätzlich zum Abschnitt Verkabelung gemäß der nun also erwarteten UL 6141.
Das alles wirkt sehr komplex und unübersichtlich, so man sich mit einer in den Vereinigten Staaten häufig widersprüchlichen Windturbinen-Genehmigungspraxis noch nicht eingehender beschäftigt hat. Erst ein Blick zurück macht das Problem der Kabelnormierung in den Vereinigten Staaten verständlich.
So waren in Vorbereitung der jetzt anstehenden Normierung zwei Entwürfe präsentiert worden: Zum einen der Outline of investigation for Wind Turbine Generating Systems – zu deutsch: Entwurf für die Prüfung von Windturbinen. Und zum anderen der Outline of investigation for Wind Turbine Converters and Interconnecting Systems Equipment – Entwurf für die Prüfung von Umrichtern und Verbindungssystemen. Später waren daraus die Normen UL 6141 für große und UL 6142 für kleine Windenergieanlagen abgeleitet worden sowie eine Norm UL 6171 für Frequenzumrichter und Verbindungssysteme. Grundsätzlich plant die UL, die spezifischen Installationsvorschriften für Nordamerika und Kanada abzudecken und gleichzeitig direkten Bezug auf die IEC 61400-1 zu nehmen, also die europäische Norm für Windkraftanlagen. Denn es gilt, eine Lücke zwischen den europäischen IEC-Standards und den Anforderungen in den USA und in Kanada zu überbrücken.
UL-Standards „unverbindlich“
Der Hintergrund: In den vergangenen Jahren hatten die meisten europäischen Windenergieanlagenhersteller keinen Grund, durch UL als Standard gelistete Kabelprodukte zu verwenden. Zwar hatte UL die Kabel amerikanischer Hersteller gelistet. Doch es gab keinen nordamerikanischen Standard für Windkraftanlagen an sich, der die Verwendung gelisteter Kabelprodukte gefordert hätte. Ebenso wenig forderten die Betreiber der Anlagen von den Windenergieanlagenherstellern die Verwendung UL-gelisteter Kabel ein.
Dennoch war die Sachlage keineswegs einfach. Schon bisher mussten europäische Turbinenhersteller, Betreiber und Behörden in ganz Nordamerika Kompromisse aushandeln und sie immer neu festlegen. Ein besonderes Beispiel dafür ist der Fall der harmonisierten (HAR) torsionsfähigen Leistungskabel. Diese HAR-Kabel wurden von den Behörden deswegen auch aus europäischer Herstellung ungelistet akzeptiert, weil solche Kabel bis vor fünf oder sechs Jahren in den USA gar nicht produziert worden waren.
Wo allerdings vor der Errichtung der Anlagen solch ein Kontakt mit den örtlichen Behörden nicht zustande gekommen war, konnte die Baustelle eines Windparks schon mal vom örtlichen Inspektor oder der so genannten Authority Having Jurisdiction (AHJ) kurzerhand stillgelegt werden. Mitunter durften dann die Windenergieanlagen nicht ans Netz, bevor Kabel entsprechend der Auslegung der allgemeinen US-amerikanischen/kanadischen Elektronik-Codes NEC/CEC ausgetauscht worden waren. Das geschah häufig in Bundesstaaten, in denen erstmals große Windturbinen errichtet wurden. Dann mussten Kabel und Leitungen überwiegend gegen UL-gelistete Produkte getauscht werden.
Die Auslegung der Codes konnte je nach Inspektor oder AHJ allerdings sehr unterschiedlich ausfallen. Was beispielsweise in New York State als akzeptabel gilt, ist in New York City möglicherweise nicht akzeptabel und umgekehrt. Mit Ausnahme von Sonderfällen entschied sich die Mehrheit der Windturbinenhersteller daher letztlich für eine generelle Zertifizierung kompletter Windenergieanlagen oder von Teilen dieser nach bisherigen UL-Standards, um den Ansprüchen der Behörden in Kabeldingen entgegenzukommen.
Auswahl üblicher Kabel
Die meisten dürften dabei den Ausweg genommen haben, ihre Anlagen oder Teile davon nach der UL 508 für Steuerungsausrüstungen zu definieren – für ein so genanntes Industrial Control Equipment, also für industrieübliche Steuerungsausrüstung. Diese Praxis und ihre Norm ermöglichten es, ungeprüfte AWM-Kabel einzusetzen: Appliance Wiring Material (AWM) – Kabel, die bisher oft als Standard eingesetzt wurden. Ob in Form von Einzeladern oder als mehradrige Leitungen: AWM-Kabel sollen sich nur im geschlossenen Schaltschrank einer Komponente befinden. In diesem fast jeder Windturbinen-Komponente zugehörigen Kasten transportieren die Kabel Strom beispielsweise von einem Schutz zu einem Relais oder versorgen denSchleifring im Generator mit Strom oder einen Azimutantriebs zum Drehen der Gondel. Einzige Voraussetzung: AWM-Verkabelungen mussten komplett in den Fertigungshallen der Hersteller montiert werden.
Diejenigen Hersteller jedoch, die sich zu einer Zertifizierung der Gesamtanlage in Europa durch dafür von UL zugelassene Zertifizierer entschlossen hatten, konnten AWM-Kabel auch für externe Verkabelungen verwenden. Zu ihr zählen alle elektrischen Verbindungen einzelner Windturbinenbaugruppen oder verschiedener Anwendungen miteinander. Dazu zählte die Verkabelung eines Generators mit einem Umrichter. Vereinfacht ausgedrückt: Häufig wurden die komplette Gondel, die Nabe und der Turm jeweils als Industrial Control Equipment betrachtet und zertifiziert, wofür mit der Verwendung von AWM-Kabeln die UL/CSA-Anforderungen erfüllt sind.
Neue Norm: Kompromiss mit Europa
Bei der überwiegenden Menge aller Kabel handelte es sich damit in der Praxis um solche herstellerspezifizierte AWM-Kabel. Das galt insbesondere auch für die torsionsfähigen, also drehfähigen Daten- und Steuerkabel. Sie führen von der Gondel durch den Turm nach unten. Torsionsfähig müssen sie sein, weil Windturbinenanlagen beim Nachsteuern in die Windrichtung notfalls die Gondel dreimal in einer Richtung um die eigene Achse drehen dürfen. Erst danach muss die Anlage die Flügel aus dem Wind stellen und die Gondel wieder zurückdrehen. Für solche Manöver müssen die Kabel entsprechend den Marktanforderungen torsionsfähig sein.
Maßgabe für die erste UL-Windturbinennorm war nun, einen Kompromiss zwischen bisherigen US-amerikanischen Ansprüchen und europäischen Normen herzustellen. Klar, die Norm soll nun nicht wiederum dazu führen, dass einheimischen Herstellern im Gegenzug in Europa ebenfalls neue Bürden drohen. Ein Rechtsstreit mit Europa würde dann teuer. Andererseits will Underwriters Laboratories auch nicht die Europäer weiterhin zu freien Verhandlungen mit genehmigenden US-Behörden einladen, während einheimische Turbinenbauer sich strikt an gelistete Kabelprodukte und allgemeine US-Vorgaben für Elektrik halten.
Die UL 6141 sollte daher nun Anlass sein für Hersteller, Konstruktions- und Einkaufsabteilungen, ihre Kabelspezifikationen und ihre Liste bevorzugter Lieferanten zu überdenken. Zumal wenn es an die Verbindung einzelner Baugruppen oder Anwendungen untereinander geht, also die externen Kabel der Windturbine. So betont UL 6141:
According to the UL 6141 all wiring within a WTG that is accessible to users or service personnel or runs vertically up the tower shall be either:
- Housed in a Raceway or
- be rated for tray cable usage.
Das bedeutet sinngemäß: Entsprechend der UL 6141 muss jede Verkabelung in einer Großturbine
- innerhalb eines geschlossenen Kabelkanals verlegt werden – was sehr aufwändig ist,
- oder approbiert sein als UL-gelistetes Produkt für die Verlegung in nach einer Seite offenen Kabelpritschen.
AWM-Kabel sind demnach nicht mehr für die externe Verkabelung in Windenergieanlagen zulässig. Des Weiteren behält die UL 6141 für die interne Verkabelung aber Folgendes bei: Sollte es für die Komponenten keinen UL-Standard geben, dann sollen für die interne Verkabelung entweder Teile der UL 508 oder der UL 1741 herangezogen werden. Einige Kabelhersteller wie auch Lapp Kabel haben schon seit Jahren eigene UL/CSA-gelistete Kabelprodukte im Produktportfolio. Andere Kabelproduzenten sind dabei, nachzuziehen. Kabel künftig mehr zu schützen
Doch auch das ist noch nicht alles: Nur Kabel mit TC-ER-Zulassung können künftig nach ihrem Abgang aus einer Komponente bis zur Kabelpritsche ohne weitere Schutzmaßnahmen verlegt werden. Bei dieser Approbation handelt es sich um einen Standard für so genannte Tray Cable – Exposed Run (TC-ER) – zu deutsch: Legekabelbahnen, die nach oben offen sind und auf die Wartungs- und Reparaturmitarbeiter treten könnten und dürfen. Eine TC-ER-Zulassung gibt es grundsätzlich nur für UL/CSA-gelistete Produkte mit Höchstspannungen bis 600 Volt. Bei 1.000 Volt braucht es spezielle Wind-Turbine-Tray-Cable (WTTC), auf Windturbinen zugelassene Kabel mit der Kennzeichnung WTTC.
Für den so genannten Loop sind vermutlich keine Kabelkanäle notwendig. Beim Loop handelt es sich um jenen Abschnitt der Kabel, in dem diese unmittelbar nach dem Ausgang aus der Gondel zunächst etwas durchhängen, ehe sie durch eine Schlaufe und danach ganz nach unten geführt werden. Es darf angenommen werden, dass im Loop gelistete Kabelprodukte zu verwenden sind.
Nur Neuzertifizierungen betroffen
Die Norm betrifft zwar nur Neuzertifizierungen und dürfte keinen Einfluss auf bereits zertifizierte Windenergieanlagen, Bauteile, Anwendungen und Baugruppen haben. Trotzdem sind Diskussionen mit örtlichen Inspektoren oder den AHJs zu erwarten. Deren Auslegung der UL 6141 samt Beurteilung dessen, welche Bauteile, Anwendungen oder Baugruppen tatsächlich als Teil einer bestehenden Zertifizierung zu sehen sind, kann sicherlich von jener der Hersteller abweichen. Dann droht den Herstellern im Nachhinein womöglich doch noch eine Austauschaktion mit UL-gelisteten Kabeln. Ein möglicher Bereich für eine solche Diskussion könnte der Turm sein.
Da es zudem Absicht der UL 6141 ist, UL-gelistete Kabelprodukte durchzusetzen, dürften örtliche Inspektor keinen Grund mehr für die Zulassung von AWM-Kabeln haben. Ohnehin sind auf dem nordamerikanischen wie auch auf dem europäischen Markt geeignete UL/CSA-gelistete Kabel ohne Weiteres verfügbar. Mit der Veröffentlichung der UL 6141 wird es dann mehr denn je darauf ankommen, bereits beim ersten Entwurf, bei der Prüfung der einzelnen Bauteile oder bei Upgrades von Windenergieanlagen die richtige Entscheidung in der Kabelauswahl zu treffen.
Fazit: Definitiv geht bei Export nach oder Produktion in Nordamerika mittelfristig kein Weg an einer Anpassung an dortige Standards vorbei.
Nils Christian Frederiksen
Program Manager Wind
U.I.Lapp GmbH
Dieser Fachartikel erschien erstmals in der Februar-Ausgabe 2013 von ERNEUERBARE ENERGIEN - das Magazin.