Die versprochene Einigung mit den Länderchefs war es wohl noch nicht, anders als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am gestrigen Mittwoch in seiner Bundestagsrede glauben machen wollte. Wie den Gesichtern der Länderchefs von Bremen und Sachsen-Anhalt, Sieling und Haseloff, sowie der Mimik von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Gabriel auf der Bundespressekonferenz zu entnehmen, war keiner nach dem Treffen am Vortag wirklich glücklich. Dabei war es nicht unwesentlich, was sie da an Rahmenbedingungen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2016 vorlegen konnten. 90 Prozent auf dem Weg zu einer endgültigen Einigung seien zurückgelegt, ließ Bremens Bürgermeister Carsten Sieling verlauten.
Allerdings formulierten die Verhandlungspartner ihre Reformbestandteile so vage, dass diese Eckpunkte noch viel Raum für Interpretation im weiteren Gesetzgebungsverfahren lassen. Und hier wird es heikel, aber nicht hoffnungslos.
Was ist verabredet?
Mit einer je nach vortragender Person unterschiedlichen Intonation bestätigten die Verhandlungspartner die vom Bundeswirtschaftsministerium geplante Festlegung eines Ausbaukorridors – und zwar des im EEG-Referentenentwurfs genannten Korridors: bis 2020 zwischen 40 und 45 Prozent Erneuerbaren-Anteil an der Stromversorgung zu erreichen. Ob es nun „etwa“ 40 bis 45 Prozent sein sollen oder höchstens 45 Prozent – und diese noch gesetzlich festgelegt, ließe sich bis zum Kabinettsbeschluss Anfang Juni noch beeinflussen, kann man den jeweiligen Worten der Ministerpräsidenten glauben.
Doch vielleicht spielt das auch keine Rolle mehr: 2.800 Megawatt (MW) jährlich soll der Zubau der Windkraft betragen – brutto: Der Tausch alter gegen neue Windenergieanlagen, das Repowering, soll zu Lasten ganz neuer Windparks angerechnet werden – ohne die abgebauten Erzeugungskapazitäten wieder abzuziehen. Im EEG von 2014 war für das ab 2017 geplante Ausschreibungssystem ein Zubauwert von nur 2.500 MW vorgesehen, mit einer Toleranz bis 2.600 – allerdings netto, ohne die repowerte, also ersetzte Leistung alter Windenergieanlagen. Die 2.800 Euro sind mehr, als zuletzt im Referentenentwurf zu lesen war. Und sie sind wahrscheinlich spätestens im kommenden Jahrzehnt weniger, als die im EEG 2014 und auch im Eckpunktepapier des Wirtschaftsministeriums vom November noch notierten bis zu 2.600 MW. Denn bald wird wohl so viel repowert werden müssen, dass die effektive Zubauleistung unter 2.500 MW sinken wird.
Künftig zwei Ausbauzonen
Gänzlich neu aber ist die Aussage, dass für die Ausschreibungen künftig zwei Zonen gelten sollen – eine südliche und eine nördliche. Und den meisten Interpreten der Vereinbarungen nach werden an Land künftig zwei Drittel der neu ausgeschriebenen und danach auch installierten Leistung sich auf Süddeutschland verteilen. Gabriel, der sich in der Pressekonferenz einige Versprecher zu leisten schien, sagte, es werde in der Nordzone im Endeffekt künftig wohl noch etwas über 60 Prozent dessen installiert werden, was dort bisher üblich war. Diese Aussage bestätigt inzwischen auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der das Konzept der zwei Zonen nach eigenen Aussagen vorliegen hat: Demnach ist allerdings nicht streng von einer Zoneneinteilung in Nord und Süd auszugehen. Vielmehr fasst die eine Zone demnach die nordwestdeutschen Windkraftspitzenländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen inklusive Bremen und Hamburg - plus Nord- und Mittelhessen zusammen. Zur anderen Zone gehören komplett Süd- und Norddeutschland sowie Nordrhein-Westfalen.
Auch die in den letzten Tagen vor der jetzigen Einigung plötzlich aus dem Kabinetts-Hut gezauberte einmalige Absenkung der EEG-Vergütung 2017 um 7,5 Prozent ist noch Bestandteil des neuen EEG-Reformrahmens. Allerdings ist sie nun auf 5 Prozent abgemildert und soll erst im Juni 2017 statt im April 2017 zuschlagen.
Doch nun gilt es zu interpretieren: 2.800 MW klingen zunächst besser als die noch im November genannten 2.500 MW. Und sie könnten in den ersten Jahren ab 2017 noch für mehr Zubau sorgen, als dort vorgesehen. Sobald das Repowering zunimmt, gliche es sich wieder aus.
Vieles noch nicht abschätzbar
Entscheidender werden Faktoren sein, die sich noch gar nicht einschätzen lassen. Einer der wichtigsten: Explizit einigten sich die Länderchefs mit der Kanzlerin auf die Aussage, dass der Windenergie-Zubau mit Netzausbau und Netzkapazitäten im Einklang stattfinden soll. Daraus begründen diese auch den erhöhten Onshore-Zubau in Süddeutschland. Doch ob der stockende Netzausbau schlimmstenfalls auch die 2.800 MW Jahresvolumen abbremsen kann, oder ob dann halt auch ohne ausreichend Netzkapazitäten zugebaut wird, blieb offen.
Last but not least: Der Ausbau der Offshore-Windkraft auf See soll bis 2030 auf 15 Gigawatt (GW) erfolgen. Das entspräche knapp weniger als zwei Windparks mit je 400 MW jährlich, wie es noch vor kurzem hieß.
Wichtig ist auch: Die sogenannte Weltformel erwähnten die Verhandlungspartner nicht mehr. Sie sollte laut Referentenentwurf künftig für jedes Jahr neu berechnen, wie viel Windenergie-Ausbaupotenzial zulässig ist, damit der Anteil der Grünstromversorgung auf dem Weg zum 45-Prozentziel im Jahr 2025 nicht zu schnell vorankommt. Die Formel war so gestrickt, dass sie der Windenergie nur noch gestattet hätte, was nach dem für zwölf Monate absehbaren Erzeugungsplus von Photovoltaik, Offshore-Windkraft und anderer Erneuerbarer übrig geblieben wäre. Kritiker hatten vorgerechnet, dass damit für Onshore-Windkraft nur unter 1.000 MW jährlich übrig bliebe.
Gut möglich, dass es in den Verhandlungen vom Dienstag gekommen ist, wie es der Linke-Abgeordnete im Bundestag, Ralph Lenkert, gestern interpretierte: Die Ministerpräsidenten seien vor die Alternative gestellt worden, entweder die Weltformel zu akzeptieren, oder die jetzt vorgesehenen Maßnahmen zur Begrenzung des jährlichen Zubaus.
Alles hängt nun an Gestaltungswillen und guter Absicht der Regierung
Nun ist vieles dem weiteren Gestaltungswillen und der Redlichkeit des Kabinetts und des Bundestags überlassen. Denn etwa die noch vor wenigen Wochen neu in Aussicht gestellte leichte Bevorzugung von Bürgerwindprojekten bei den Ausschreibungen in einem ganz begrenzente Rahmen wurde jetzt nicht erwähnt. Wird sie bleiben?
Vieles hängt nun an vielem. Wie würde die Energiewende mit diesen Rahmen-Eckpunkten aber gut werden können?
Entscheidend ist erstens, dass die Weltformel tatsächlich gestrichen bleibt. Dann wären 2.800 MW Bruttozubau eine ordentliche Onshore-Marke, zumal ja jährlich noch rund 780 MW auf See hinzukämen. Dadurch bekämen auch die Nordländer noch reichlich etwas ab – eben vom Meer.
Entscheidend ist zweitens, dass der Netzausbau die 2.800 MW nicht beschränken darf, sondern dass sich die Bundesregierung im Gesetz dazu verpflichtet, entsprechend der zugesagten Zubaumenge das Netz mit auszubauen – und mit den EEG-Ausschreibungen nur noch die räumliche Verteilung der 2.800 MW neuer Windkraft jährlich zu steuern.
Drei Extras, um das EEG gut werden zu lassen
Drei wichtige Ergänzungen aber müssten noch vorgeschlagen werden:
Dass erstens auch noch der Ausbau von Speichern gefördert wird, damit die Netzengpässe abnehmen und die Projekte daher reibungsloser und mit weniger Planungsaufwand oder Genehmigungsbürokratie verlaufen können.
Dass zweitens die Steuerung von Industrielasten zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage gefördert wird.
Im Besten Fall könnten mit lokalen Industrielastenvereinbarungen und Speichern verbundene Projekte in den Ausschreibungen sogar Vorteile erringen – was eventuell auch kleineren Projektierern oder Stadtwerken eine besondere Chance ließe. Sie sehen sich bisher gegenüber großen Planern und Stromkonzernen als benachteiligt im kommenden Ausschreibungssystem.
Dass drittens beim verstärkten geplanten Ausbau in Süddeutschland – was laut Regierung die Not beim Netzausbau mildern soll und die verbrauchernähere Erzeugung ermöglichen – Bayern nicht ausgespart werden darf. Hier sorgt eine Bannmeilenregelung namens 10-H rings um alle menschlichen Siedlungen dafür, dass künftig kaum noch Windparks gebaut werden können. Das neue EEG müsste Druck auf die Landesregierung in München entfalten, pragmatische Ausnahmen im Sinne des EEG 2016 zu ermöglichen.
(Tilman Weber)