War die Regenerativbranche Zielscheibe einer gezielten Kommunikationskampagne?
Nun, es gibt Fragen, die verlangen nach einer Antwort. Im Jahr 2009, genauer gesagt am 15. Oktober 2009, als mit der EEG-Umlage 2010 die EEG-Umlage das erste Mal nach der neuen Berechnungsmethode bekanntgegeben wurde, stieg die EEG-Umlage um etwas mehr als 70 Prozent. Dies wurde zwar in den Medien erwähnt, aber nicht breit getreten, sondern war eher eine Randnotiz im Wirtschaftsteil. Die Info war sofort wieder aus den Nachrichten verschwunden und wurde nicht zur täglichen Hauptschlagzeile über die folgenden Wochen und Monate.
Ein Jahr später löste der gleiche Sachverhalt, sprich ein Anstieg der neuen EEG-Umlage 2011 von etwas mehr als 70 Prozent in den überregionalen Leitmedien eine tägliche Schlagzeilenflut und Dauerhetze gegen das EEG und insbesondere die PV aus, dass einem schwindlig werden konnte. Diese endete zunächst ziemlich abrupt. Genau im März 2011, als es in Fukushima zu einer Reaktorkatastrophe gekommen war und die vorher beschlossene Laufzeitverlängerung deutscher Kraftwerke auf immer größeren Protest stieß.
Was war 2009 anders als 2010? In beiden Jahren stieg die EEG-Umlage um mehr als 70 Prozent.
Im Jahr 2009 gab es zwar auch täglich wiederkehrende Dauerschlagzeilen, doch diese lauteten: Ohne Kernenergie explodieren die Strompreise. Ohne Kernenergie gibt es Blackouts. Kernenergie ist die unverzichtbare, alternativlose Brückentechnologie für den Einstieg in das erneuerbare Energien Zeitalter. Diese täglichen Dauerschlagzeilen, Talkshows, permanenten Beiträge, die ab 2008 begonnen hatten und zum Wahlkampfthema wurden, waren nicht zufällig, wie sich später herausstellte. Sie waren Teil einer breit angelegten Kommunikationskampagne, die dank Whistleblower, die die Originaldokumente der Agenturen zuspielten, bewiesen ist.
Wie sieht der Beweis aus?
Eine Kommunikationskampagne mit „Dauerslogans“ über alle Kanäle, deren Auftragsziel lautete: „Bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen“, bzw. „die politische-öffentliche Debatte um die Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke positiv beeinflussen”. Die Kampagne, die von den Betreibern deutscher AKWs in Auftrag gegeben wurde, war äußerst erfolgreich. Im Oktober 2010, also zu dem Zeitpunkt, ab dem plötzlich tägliche Dauerschlagzeilen gegen das EEG und die PV begonnen haben und das mediale Abschlachten seinen Startschuss hatte, wurde die Laufzeitverlängerung beschlossen.
Wer im Internet die Suchbegriffe „public affairs“ eingibt, findet eine große Zahl an Agenturen, die es in Deutschlands Großstädten gibt. Wer zu den Begriffen „agenda setting“ oder „campaigning“ recherchiert, erfährt, worin das Dienstleistungsangebot dieser noch recht jungen, sehr stark boomenden Branche besteht: Durch Beeinflussung der Medienagenda Unternehmensthemen zu öffentlichen Debatten machen. Durch Dauerberieselung über alle Kanäle mit einer Fülle an Studien, Experten und Umfragen, die auf Anfrage geliefert werden und den Anschein von Neutralität suggerieren sollen, Meinungshoheit in einer Debatte herbeiführen. Entlang einer Zeitachse werden sich nach und nach steigernd, kommunikative Pflöcke eingeschlagen. Solange, bis das gewünschte Thema in der politischen Agenda angekommen ist und vor allem der dazugehörige Parlamentsbeschluss beschlossen wurde.
Wer nimmt diese kostspieligen Dienstleistungen in Anspruch?
Soviel steht fest: Der Arbeitslosenverein oder die ehrenamtlich arbeitende Bürgerenergiegenossenschaft ist es nicht! Die Dauerschlagzeilen gegen das EEG und die PV, die im März mit der Fukushima-Katastrophe abrupt endeten, kehrten nach dem Kurswechsel, genauer gesagt dem beschlossenen Atomausstieg ab November 2011 wieder zurück. Penetranter und aggressiver als zuvor. Sie spitzten sich besonders zu während der Diskussion um die Solarausstiegsbeschlüsse 2012, rissen aber auch nach dem bewirkten Totalschlag gegen die Photovoltaik nicht ab, sondern wurden zum Wahlkampfthema und steigerten sich in einem Crescendo in der heißen Phase zur EEG Novelle 2014.
Inzwischen ist das Thema aus dem Interesse der Medien verschwunden, oder?
Ab Beschluss der EEG-Novelle im August 2014 spielte das Thema Strompreis und Energiearmut in den Medien dann plötzlich überhaupt keine Rolle mehr – abgesehen von den vernachlässigbaren 0,07 Cent/kWh Preissenkung, die Gabriel allen Ernstes einer Novelle, die gerade mal vor einigen Wochen in Kraft getreten war, zuschrieb, statt einem EEG-Konto, das zuvor zu dick gefüllt worden war. Für die Verbraucher hat sich auf ihrer Stromrechnung nicht wirklich was geändert. Das Thema scheint aber offensichtlich nicht mehr relevant zu sein. Jetzt, wo das Ruder bei den erneuerbaren Energien durch die EEG-Novelle 2014 und das Ausschreibungsmodell an große Energiekonzerne übergegangen ist.
Während hingegen – abgesehen von einer kurzen Zeitdauer von einigen Monaten 2011 nach der Reaktorkatastrophe – fast die gesamten vier Jahre durch, als die Energiewende noch maßgeblich durch Bürgerhand vorangetrieben wurde, der Anschein erweckt wurde, das ganze Land stünde aufgrund der Strompreise vor der unmittelbaren Verelendung und es gäbe kein wichtigeres Thema für Deutschland als die Strompreise, die unbezahlbare Energiewende und eine explodierende EEG-Umlage.
Diese Beobachtungen werfen Fragen auf. Zum Teil sind sie auch schon beantwortet. Die aggressive Plakat- und Anzeigenaktion ab September 2012 „EEG stoppen“, sowie die Zuspitzung der Debatte zur Veröffentlichung der EEG-Umlage 2013 als Wahlkampfthema zur Bundestagswahl und Vorbereitung zur EEG-Novelle 2014 und dem Ausschreibungsmodell wurde von der Agentur „serviceplan public opinion“ durchgeführt. Auftragsziel: Abschaffung EEG, Ablösung durch ein Quoten/Ausschreibungsmodell.
Was lernt die Regenerativszene aus diesen Ereignissen?
Es reicht nicht, sich bestens mit den regelungstechnischen Finessen des MPP-Trackings, der Eigenverbrauchsoptimierung durch Lastmanagement oder Strömungsbeiwerten von Windrotorflügeln auszukennen. Wer in der Erneuerbare-Energien-Branche tätig ist, muss sich auch damit beschäftigen, was das für eine Branche ist, in der er tätig ist. Hier muss viel umfassender gedacht werden und sich klar gemacht werden, welche politische Dimension das Ganze hat.
Folgende Fragen müssen gestellt werden: Welche Bedeutung hat Energie in unserer Welt? Was umfasst die Energiebranche? Wer sind die Marktakteure, Wem schwinden Marktanteile? Durch wen oder was? Bewirke ich durch meine Tätigkeit einen Strukturwandel? Gibt es Interessenskonflikte? Gibt es Besitzstandsbemühungen? Gibt es Gewinner der Energiewende durch das EEG, gibt es Verlierer? Gab es bereits Versuche, den Strukturwandel zu verhindern? Über welche Wege? Mit wessen Unterstützung? Mit welchen Mitteln? Welche Kommunikation findet statt? Welche Widersprüche gibt es?
Es wäre bestimmt hilfreich gewesen, neben VDE-Normen auch zum Beispiel den „energetischen Imperativ“ von Herrmann Scheer gut zu kennen, über den rein technischen und ökonomischen Tellerrand hinauszublicken und die Hintergründe und Angriffe auf diesen dezentralen Strukturwandel zu begreifen.
Ist die Branche zu unpolitisch?
Die Photovoltaikbranche erlebte ich lange Zeit als überwiegend unpolitisch oder auch unzureichend informiert über Hintergründe zum EEG. Das mag auch daran liegen, dass diese Branche durch das schnelle Wachstum in kurzer Zeit zum beträchtlichen Teil aus Neu- und Quereinsteigern bestand und die Pioniere, die aus energiepolitischen Gründen und als Überzeugungstäter mit diesem Berufsfeld begonnen hatten, eine eher seltene Rarität waren. Wer von Beginn an in dieser Branche war, noch vor EEG-Zeiten, wusste, wie sehr die Erneuerbaren und vor allem das EEG von Beginn an bekämpft wurden. Wer während des PV-Zenits in die PV-Branche kam, wusste das hingegen nicht. Für dessen Wahrnehmung war das EEG schon immer da, eine Selbstverständlichkeit, die niemals beendet werden würde. Man ließ sich beschäftigen mit etlichen Kürzungsrunden und drehte sich ausschließlich um die eigene Vergütungshöhenachse, während unbemerkt bereits Vorbereitungen zum Beenden des EEGs und der Energiewende in Bürgerhand getroffen wurden.
Man ist also ohne Vorwarnung ins offene Messer gelaufen?
Warnungen ab 2009 von Hans-Josef Fell, dem eigentlichen Initiator und Hauptautor des EEG 2000, dass Vorbereitungen im Gange sind, das EEG komplett zu kippen, wurden von der breiten Masse in der Branche nicht ernst genommen. Ich erinnere mich selbst auch an zahlreiche Situationen, in denen ich ab Ende 2010 davor warnte, dass die EEG-Umlage aufgebläht wird, die Akzeptanz des EEGs torpediert wird und ein schnelles Ende der Bürgerenergiebewegung forciert wird. Meine Warnungen verhallten leider. Sie wurden als übertrieben eingestuft oder als paranoid abgetan. Leider hatte ich mit meinem selbsterstellten Zeichentrickfilm, den ich 2010 begann und kurz vor Fukushima ins Netz stellte, ziemlich Recht behalten. Die Voraussagen sind größtenteils eingetroffen. Es wäre mir lieber gewesen, dass diejenigen, die meinen Appell als übertrieben und unbegründet betrachteten, Recht behalten hätten. Von daher: Die Zerschlagung der „Energiewende von unten“ fiel nicht vom Himmel. Sie erfolgte auf Ansage. Eine Ansage, die leider nicht wahrgenommen und überhört wurde.
Wieso hängen Sie sich da so rein in das Thema? Was ist Ihre Motivation?
Durch mein Zusatzstudium „Energiewirtschaft“ beschäftige ich mich seit bereits 20 Jahren mit dem Thema Energie. Auch wenn die Studienbezeichnung anderes vermuten lässt, hatte das Studium nicht die konventionelle Energieerzeugung im Fokus, sondern entwickelte nach den Erfahrungen und Erkenntnissen durch Tschernobyl, sowie des ersten Umwelt- und Klimagipfels in Rio, als auch der Diskussion um die Grenzen des Wachstums andere Lösungsmodelle.
Spätestens Tschernobyl und Fukushima zeigten, dass eine Technologie, die über so lange Zeiträume Regionen unbewohnbar macht, über das Erbgut auch noch Folgeschäden etliche Generationen später mit sich bringt, sowie zugleich tagtäglich neuen Atommüll produziert, dessen Endlagerungsproblematik bis heute ungelöst ist, der falsche Weg ist. Gleichzeitig sind bei wachsendem Energiehunger weltweit die fossilen Ressourcen begrenzt, nehmen Verteilungskämpfe und Kriege zur Sicherung von Energietransportwegen zu und werden die Folgen des Klimawandels immer deutlicher. Wer Kinder hat, fragt sich unwillkürlich: In welcher Welt werden meine Kinder leben?
Was muss sich ändern?
Wir sind gezwungen, Antworten auf diese Herausforderungen zu haben. Die Kombination aus einer Effizienzrevolution, sowie Energieerzeugung der Restenergie aus erneuerbaren Energien ist für mich der Weg, der viele Probleme auf einmal lösen kann. Die erneuerbaren Energien haben mich von Beginn an fasziniert.
Henrik Paulitz von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW brachte es für mich auf den Punkt. „Die richtige Technik kann Rückwirkung haben auf Gesundheit, Sicherheit, Demokratie, Teilhabe, Wohlstand und Frieden“. „Die Erschließung und Sicherung von Bodenschätzen, Märkten und weiten Energietransportwegen mit militärischer Gewalt erübrigt sich, wenn die erneuerbaren Energiequellen vor Ort genutzt werden“ Der Titel des IPPNW Faltblatts zu einer dezentralen, erneuerbaren Energieversorgung lautet nicht umsonst: Was ist sicher, preiswert und fördert den Frieden?
Wer hat sie energiepolitisch besonders beeindruckt oder mitgeprägt?
Ich lernte Hans-Josef Fell kennen oder erlebte auch immer wieder Herrmann Scheer auf seinen mitreißenden Vorträgen. Und mir wurde klar, dass es bei der Energiewende um eine Energiequelle geht, die dezentral auftritt und demnach dezentral gesammelt werden muss. Diese Dezentralität bewirkt zugleich auch eine Demokratisierung unserer Energiewirtschaft. Während von einer dezentralen Energiewende alle wirtschaftlich profitieren können, machen bei zentralisierten Großkraftwerken mit Energie-Ferntransporten nur wenige Konzerne das Geschäft. Ich halte es bei einem so wichtigen Schlüsselelement unserer heutigen Gesellschaft, wie Energie, für fahrlässig, diese einer demokratischen Kontrolle zu entziehen und zunehmend weltweit verteilten Großaktionären großer Aktiengesellschaften und beteiligter Investmentfonds zu überlassen.
Daher engagiere ich mich so stark für eine Energiewende in Bürgerhand, bei der meiner Meinung nach kommunale Stadtwerke eine besonders wichtige Rolle haben.
Was ist Ihr Hintergrund? Woher kommt Ihr energiepolitisches Engagement?
Ich bin in der Nähe eines Atomkraftwerkes aufgewachsen. Als ich acht war, hörte ich von meinem Grundschullehrer zum ersten Mal das Wort Atomkraftwerk. Als ich 15 war, ging es ans Netz. In dieser Woche schrieben wir passend zur Inbetriebnahme einen Schulaufsatz über Atomenergie, in dem wir dazu angehalten waren, Vor- und Nachteile darzulegen, als auch abschließend klar unsere eigene Meinung argumentativ darzulegen. Dies war im Rückblick beachtet, mein erster energiepolitischer Fachartikel.
Mein Deutschlehrer war verzückt und wunderte sich sehr über die vielen Detailinformationen, die im Aufsatz enthalten waren. Damals gab es noch kein Internet und kein Google. Ich war regelmäßige Besucherin der Stadtbücherei und vergrub mich in Fachliteratur.
Als einige Jahre später die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war, stand ich genau wie viele andere jungen Menschen meines Alters regelrecht unter Schock, als wir ängstlich den Wetterbericht verfolgten, wann der Fallout der über Europa wandernden Wolke kommt, als wir genau an diesem Tag dann doch prompt in den Regen kamen, als diese herunter regnete, als wir keine frische Milch mehr trinken durften, Kinder nicht auf die Spielplätze durften und das Gemüse auf den Feldern aufgrund der Kontamination vernichtet werden musste.
Kein Wunder, dass Sie beruflich in die Solarwirtschaft gegangen sind, oder?
Ich weiß sehr genau, warum ich mich vor mehr als 20 Jahren entschloss, mich nicht mehr nur ehrenamtlich für eine atomenergiefreie Zukunft einzusetzen, sondern auch beruflich am dezentralen, erneuerbaren Umbau der Energieversorgung mitzuwirken. Mein „Heimat-AKW“, kam 2011 kurz vor Fukushima zu trauriger Berühmtheit, als herauskam, dass der Betreiber Eon seine Kenntnisse über einen Mikroriss in einer Leitung des Primärkreislaufs - also in unmittelbarer Nähe des Reaktorkerns - der Bevölkerung ganze zehn Jahre verschwiegen hatte. Die Kinderkrebsrate ist in dieser Region - genau wie an vielen anderen AKW-Standorten auch – erhöht. Sie erreichte zeitweise einen Wert von 20 Prozent über dem Landesdurchschnitt.
Ende Teil 2, gestern erschien Teil 1. In unserer gedruckten April-Ausgabe finden Sie eine stark gekürzte Version des Interviews.