Tilman Weber
Betreiber müssen Steuer und Umlage auf sämtlichen Strom zahlen, den ihre Windturbinen nicht selbst erzeugt haben und zugleich unmittelbar für die Anlagensteuerung, den Aufzugbetrieb oder den Aufbau des Generatorfeldes verbrauchen. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Strom statt aus dem Netz direkt von benachbarten Turbinen anderer Betreiber zufließt. Die Berliner Rechtsanwältin Bettina Hennig im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN über die neue Aufmerksamkeit der Behörden und zur Frage, wie sich die Herkunft dieses Strom vermessen lässt. Lesen Sie hier Teil 2 des im aktuellen gedruckten Magazin erschienenen Interviews (hier bestellen).
Auf der Konferenz Service, Instandhaltung, Betrieb in Hamburg lautete der Titel Ihres Vortrags zum Thema Stromsteuer: „Rechtliche Unklarheiten: Wie können sich Anlagenbetreiber gesetzeskonform verhalten?“ Klingt provokativ.
Bettina Hennig: Provokativ, ja. Ganz viele in der Branche müssen nun bildlich gesprochen herumrudern, um angesichts unklarer Regelungen noch vielleicht irgendwie rechtskonform zu bleiben. Es geht den meisten gar nicht darum, bestimmte Abgaben und Umlagen nicht zu zahlen. Aber sie müssen eine Strommengenabgrenzung für unterschiedliche Stromnutzungszwecke hinbekommen, ohne dass sich diese Strommengen mit vertretbarem Aufwand genau zuteilen ließen. Einerseits sollten für Betreiber von Windparks die ihnen auferlegten Stromsteuern und die EEG-Umlage rein finanziell gesehen ein relativ geringes Problem sein. Große Teile ihres Anlagen- und Parkstrombedarfs sind ohnehin davon befreit. Bisher ist es auch niemandem so recht aufgefallen, wenn sie in der Rechtspraxis ihren Pflichten hier nicht ausreichend nachkommen konnten. Doch leider haben wir eben einen Rechtsrahmen, der für die Praxis beim Betrieb und Stromverbrauch von Erneuerbare-Energien-Anlagen nicht wirklich passt und viele darüber rätseln lässt, wie sie sich rechtskonform verhalten können.
Das Energiesammelgesetz hat eingeführt, dass die Betreiber bei nicht zumutbaren Eich- und Messanforderungen die verschiedenen Stromverbrauchsmengen mit Schätzungen abgrenzen dürfen. Kann das nicht zumindest mittelfristig zu einer Vereinfachung führen?
Bettina Hennig: Leider hilft diese Regelung nicht so richtig. Was sie sehr eindeutig sagt ist, dass alle Strommengen mit irgendeiner möglichen Belastung durch die EEG-Umlage geeicht zu messen sind, und auch geeicht abzugrenzen sind, sobald es um verschieden hohe Beteiligungen an der EEG-Umlage geht. Nur wenn diese Abgrenzung technisch unmöglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar sei, sei diese Abgrenzung durch eine Schätzung erlaubt. Allerdings sagt die Regel auch noch, dass die Schätzung trotzdem nicht erlaubt ist, wenn es mir als Anlagenbetreiber dennoch wirtschaftlich zumutbar wäre, wegen meiner mangelhaften Mengenabgrenzung für die gesamte vor Ort verbrauchte Strommenge die volle Umlage zu zahlen. Auch diese Wirtschaftlichkeitsnachweise und die Abklärung der einzelnen Voraussetzungen mit dem zuständigen Netzbetreiber können aber wiederum einen Riesenaufwand bedeuten. Aus der Nummer, beim Thema parkinterner Verbräuche einen gewissen Aufwand betreiben zu müssen, komme ich also nicht raus … Viele Anlagenparkbetreiber sehen sich daher derzeit vor einer schlechten Wahl: sich entweder wegzuducken und einzureden, es gebe kein Problem; oder die Büchse der Pandora zu öffnen und sich dann aber auch um die abgabenrechtliche Bewertungen ihres Anlagen-Stromverbrauchs zu kümmern.
Eine Falle also?
Bettina Hennig: Ja. Irgendwie schon.
Könnte dann aber nicht doch die einfachste Lösung sein, dass Betreiber für jeden Wind- oder Solarpark einen eigenen Stromspeicher anschaffen, mit dem sich dann eine Innerparkversorgung mit 100 Prozent Eigenverbrauchsstrom absichern lässt?
Bettina Hennig: Wäre es so einfach, wäre das die tolle und phantastische Superlösung. Doch das Erzeugungs- und Lastmanagement mit Speichern – also zum Beispiel Stromspitzen vor der Einspeisung abzukappen und zur Verstetigung der Einspeisung den Speicher anzuzapfen – oder auch die Optimierung des Park-Eigenverbrauchs kann leider je nach Einzelfall energierechtlich auch eine relativ komplexe Angelegenheit werden. Denn Stromspeicher gelten bei der Stromaufnahme bekanntlich als Letztverbraucher – und die Abnahme von Strom aus den Speichern wird als Strom-Wiedererzeugung eingestuft. Beim PV-Eigenverbraucher mit der Solaranlage auf dem Dach ist das zwar auch so. Doch im Hausspeichersegment bleibt man häufig unterhalb der Bagatellgrenzen – ein Windpark und ein dortiger Speicher überschreiten aber diese Grenze typischerweise.
Sie raten also von Speichern in oder für Windparks ab?
Bettina Hennig: Auf keinen Fall! Ich rate nur davon ab, es einfach irgendwie zu machen ohne zu bedenken, was das energierechtlich heißt. Man braucht auch beim Speicher ein vernünftiges Messkonzept, muss die Bagatellgrenzen und Spezialregelungen kennen, muss zwischen Betreiber und Verbraucher unterscheiden, zwischen den unterschiedlichen Betreibern, zwischen Grau- und Grünstrom und so weiter.
Würde eine Abschaffung der Stromsteuer und dafür eine Einführung der CO2-Steuer, wie jetzt wieder vom Bundesverband Erneuerbare Energie vorgeschlagen, all diese Probleme lösen?
Bettina Hennig: Zumindest winkt hier ein erhebliches Vereinfachungspotenzial und ein deutlich kohärenteres Klimaschutzkonzept. Die Stromsteuer war ja einmal eingeführt worden, um eine ökologische Lenkungswirkung zu erzielen und eingenommenes Geld aus dem Stromverbrauch in die Sozialversicherungssysteme rüberschieben zu können. Ein Problem ist es nur geworden, weil das bereits entstandene gesamte Abgaben- und Steuersystem ausgerechnet den am meisten ergrünten Energieträger Strom zum teuersten Energieträger macht. Insbesondere für die Sektorkopplung ein sehr hinderliches Signal. Eine gezielte Verteuerung von CO2-Belastungen wäre natürlich absolut das sinnvollste, weil es automatisch wieder eine klare ökologische Steuerungswirkung hätte – und zwar im gesamten Energiesystem, dessen umfassende Dekarbonisierung wir noch vor uns haben.
Was war Ihr markantestes Erlebnis mit der Stromsteuer-Fehlentwicklung?
Bettina Hennig: Da gibt es einige. Ich führe manchmal außerhalb des Protokolls sehr interessante Gespräche mit den Hauptzollämtern, die mir manchmal sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Auch dort sind die Mitarbeiter teilweise regelrecht verzweifelt, weil sie der Sache kaum noch sinnvoll Herr werden können. Stichwort: Die Geister, die man rief…
ZUR PERSON
Bettina Hennig ist Partnerin der Berliner Rechtsanwaltskanzlei von Bredow Valentin Herz. Bereits seit 2007 ist die ausgebildete Umwelt- und Energierechtlerin zudem Mitglied der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik.