Was ist Ihre Erfahrung aus dem Test Ihres True Digital Twins an einer Gründungsstruktur im Offshore-Windpark Wikinger von vor einem Jahr?
Ursula Smolka: Unsere Analysen zeigen, dass dieses digitale Werkzeug als Sofortentscheidungs-Tool weniger Offshore-Windpark-Besuche notwendig macht. Es ergibt sich daraus ein Potenzial von 50 Prozent weniger Anfahrten für Wartungs- und Inspektionsteams, so lautet die Evidenz aus unseren Messdaten. Insbesondere für die grundsätzlich vorgesehene präventive Instandhaltung bedeutet das, dass das Service-Personal in der Praxis nicht so oft raus muss – wenn der Windpark zwar nicht Augen, aber Sensoren hat und ein digitales Analysewerkzeug wie den Digital Twin. Natürlich wird es weiterhin vorgeschriebene Inspektionen zur Gewährleistung der Standsicherheit der Turbinen geben. Auf Basis der Technologie der digitalen Zwillinge ließen sie sich aber von vornherein reduzieren. Leider sind hier die Vorschriften gemäß dem internationalen Offshore-Windenergie-Standard DNVGL-ST-0126 noch sehr lückenhaft. Um mittels des digitalen Zwillings eine anerkannte risikobasierte Analyse für Schäden und damit verbunden für die zeitliche Fälligkeit der nächsten Wartung erstellen zu können, müssen kritische Betriebszustände definiert sein. Diese sind aber leider nicht definiert, weil die Gründungsstrukturen nicht alle gleich sind, zum Beispiel ja auch nicht alle Windenergieanlagen mittels Schrauben an der Gründungsstruktur verspannt sind. Aber der digitale Zwilling lieferte schonmal die Voraussetzung für ein gutes Verständnis dafür, was kritische Fehler an den Anlagen sein dürften – indem er die Designdaten mit den realen Daten verheiratete.
Welche technische Ausrüstung brauchte es?
Ursula Smolka: Der True Digital Twin arbeitet ja immer 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche im Hintergrund mit und gleicht sich mit der Wirklichkeit ab: Welche Betriebsrisiken ergeben sich aus den Messdaten – und was wäre eigentlich gemäß den digitalen Berechnungen zu erwarten. Der digitale Zwilling schlüge sofort Alarm, wenn sich Kolk bildet – also von Dünung und Lastwechseln in den Gründungen bewirkte Senken im Meeresboden rings um das Fundament – oder entwarnt gar, sodass der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Das Potenzial des Digital Twins ist aber noch größer, wenn man bedenkt, dass Wartungsteams bisher nach einer Schadensüberprüfung im Windpark manchmal ein zweites Mal rausfahren müssen, weil sie zuerst nicht die richtigen Werkzeuge oder Austauschkomponenten mithaben und diese nachholen müssen. Dieses gesonderte Mitnehmen an Equipment macht manches Mal die Hälfte der Einsätze aus. Unser virtueller Test des digitalen Zwillings im Ostseewindpark Wikinger, mit dem wir die mehr als 20-jährige Betriebszeit des Windparks im Zeitraffer simuliert haben, hat die Tauglichkeit belegt: Während der gesamten Betriebsdauer des Windparks lassen sich auf Basis der Daten der Beschleunigungssensoren an den Gründungen, aber auch in der gesamten Anlage, und auf Basis der Computer-Berechnungen die wirklichen Standsicherheiten nachweisen. Dafür braucht es strategisch platzierte Sensoren im Windpark. In einer durch mehrere Rechner an Land erzeugten Datenwolke füttern wir den digitalen Zwilling mit Messwerten vom Betrieb sowie Umgebungsbedingungen wie Temperaturen, Luftdruck oder aktuelle Stromerzeugung für das Internet of Things. Die Sensoren liefern in einem Takt von 20 Datenpunkten pro Sekunde. Bisher allerdings mussten Sensoren an allen wichtigen Punkten in der Anlage sitzen, um ausreichend Hinweise auf kritische Betriebszustände der Komponenten zu geben. Dank des Digital Twins genügen wenige Sensoren an strategischen Punkten, die über die Mathematik ihrer Programmierung den Zustand des gesamten Turbinenkörpers an allen wichtigen Stellen errechnen. Unsere vor 30 bis 40 Jahren entwickelten Methoden der Instandhaltung berücksichtigen noch nicht die unglaubliche Revolution, die unsere 24-Stunden-7-Tage Datenerhebung ermöglicht.
Werden Digital Twins und Big Data für Windparks immer nur eine Offshore-Technologie bleiben?
Ursula Smolka: Hier vollzieht sich bereits eine Revolution durch alle Industriestrukturen und Infrastrukturbereiche – bei der Fernüberwachung von Brücken und Straßen ist die Technologie zum Beispiel schon im Einsatz. Klar ist, dass die monetären Vorteile für Windparks an Land geringer sind, weil die Anfahrten für den Service viel weniger kosten und daher weniger Ersparnis versprechen. Der Einsatz von Digital Twins und Big-Data-Algorithmen ist daher stark effizienzgetrieben. Offshore Wind ist als Vorreiter zu sehen. Vorhersagen, wann es für alle Windenergielagen so weit sein wird, sind aber schwierig.
Dies ist der zweite Teil des gerade in unserem gedruckten Magazin erschienenen Gesprächs mit Ursula Smolka über Digitalisierung im Windturbinenbetrieb. Lesen Sie auch Teil eins in unserem Heft sowie die Zusammenfassung über Forschung und Entwicklung zur künftigen Digitalisierungsfrage: Wie können einzelne Maschinen im Anlagenpark wissen, was gut für sie und für den Gesamtwindpark ist, und sich so verhalten?
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