Rotorblattdesigner entscheiden über die Effizienz, die Leistungskurve, die Lastaufnahme und die Lautstärke einer Windturbine mit sowie über Stromgestehungskosten in der gesamten Laufzeit einer Anlage. Das unter anderem erfahren die Teilnehmer im Seminar Windenergietechnik für Nichttechniker des Bundesverband Windenergie (BWE) vom 15. bis 16. Juni in Berlin. Komponenten, Stromerzeugung, Regelungskonzepte, Windpark-Betrieb und Lebenszyklus der Windturbinen sind weitere Inhalte des Seminars, das nicht-windkrafttechnische Branchen-Experten ebenfalls ins Bild setzen soll. Seminarreferent Staffan Wiens zeigt am Miniatur-Windlabor, wie alles zusammenspielt. Ein Gespräch mit ihm über kluges Blattdesign.
Sie sind ein erfahrener Designer von Windturbinenflügeln, gestalteten für den Hersteller Euros bei Längen bis 80 Meter die Profile, Blattdicken und Elastizität oder Steifheit. Warum arbeiten Sie nun mit Windkanälchen für Miniaturwindrädchen?
» Staffan Wiens: Die elf Zentimeter kleinen Rotorblätter dieser Miniaturanlage mit fünf Watt sind fast die größere Herausforderung als reale sehr, sehr große Rotorblätter. Damit sich alles effizient dreht und die Miniaturanlage verlässlich Strom erzeugt, ist bei der Aerodynamik in dieser kleinen Größe sehr genau hinzuschauen. Entstanden ist das von mir gefertigte Modell schon während meiner Tätigkeit als Rotorblattentwickler beim Blattproduktionsunternehmen Euros. Ich war zuständig für die Aerodynamik und damit die Form der Rotorblätter. Schon damals arbeitete ich nebenher als Dozent für Windenergie an der Technischen Universität Berlin und in der Weiterbildung. Ich entwickelte diesen Modell-Windkanal, um anschaulich die Technologie von Windenergieanlagen und ihre Wirkung auf Laufweise und Erträge der Windturbine zu vermitteln. Dieses Miniaturlabor habe ich immer weiterentwickelt.
Was ist zu lernen? Für wen? Und wie realitätsnah arbeitet Ihr sogenanntes Windlab?
» Staffan Wiens: Im Windlab-Windkanal arbeitet eine echte Windenergieanlage mit Pitch-Motoren zum Verstellen der Rotorblätter, eine drehzahlvariable Anlage. Das Lab lässt ihre Leistungskurven vermessen, die sich nur quantitativ von solchen bei großen Anlagen unterscheiden. Die Teilnehmenden im Seminar können in Experimenten herausfinden, welche Auswirkungen ein Drehmomentregler auf die Energieerträge hat. Oder wie sich der Pitch nutzen lässt, um die Leistung der Anlage zu begrenzen oder sie bei schwachem Wind in Betrieb zu setzen. Studierende können für die Anlage Rotorblattdesigns erstellen und diese an der Anlage im Windkanal testen. An der TU Berlin können sie mit dem Open-Source-Computerprogramm Q-Blade hierfür zuerst solche Miniaturblätter entwerfen. Ist ihr Design fertig, stellt es ein Dienstleistungsunternehmen binnen einer Woche für sie her. Es sind lasergefertigte Nylon- oder Polyamid-Rotorblättchen, aus dem 3-D-Druck. Die Studierenden können diese dann im Windlab einsetzen – und so ein Designprojekt modellhaft zu Ende bringen und messen, was in der Aerodynamik wichtig ist und was welche Effekte erzielt. Aerodynamik ist eine Wissenschaft, die sich ein wenig der bloßen Berechnung entzieht, so dass alle Schritte beim Blattdesign vom Experiment begleitet sein sollten. Am meisten profitieren vom Windlab aber die weniger technisch ausgebildeten Menschen, welche sich rasch einen Überblick über die genutzten Technologien und die Besonderheiten von Windenergieanlagen verschaffen wollen. So lässt es sogar die Eigenfrequenz des Turmes sehen, wenn Seminarbesucher oder Studierende ein Smartphone an der Kleinturbine anbringen und dessen Beschleunigungssensoren die Schwingungen anzeigen. Aber das Windlab lässt auch ganz schlicht in der Sekundarstufe der Schule physikalische Grundlagen wie elektromagnetische Induktion nachvollziehen.
Im Seminar Windenergietechnik für Nichttechniker begegnen Sie ja möglicherweise auch Managern oder Zulieferern, die mit einem durch Vorwissen unverstellten Blick anders aufs Rotorblatt schauen. Was entgegnen Sie womöglich naiven Fragen nach effizienteren Rotorblättern?
» Staffan Wiens: Tatsächlich wird gerne mal nach exotischen Windturbinen gefragt, über die Medien jüngst berichtet hatten, wie die spanische Entwicklung von Wackelanlagen. Sie erzeugen als im Wind stehende vibrierende lange Stäbe den Strom mit Piezoelektrizität, mit einer durch elastische Verformung erzeugten Spannung also. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass im tatsächlichen Windkraftausbau die Anlageneffizienz weiter steigt. Im Gegenteil haben Entwickler in den letzten Jahren weniger Wert auf Effizienz gelegt, gerade um das inzwischen bevorzugte schnelle Rotorblattwachstum zu ermöglichen. Eher zielt dieses Vorgehen darauf ab, die Rotorblätter Last-arm und kontinuierlich rotieren zu lassen. Dazu setzen die Turbinenbauer dann gerne auch optimierte Regelalgorithmen ein – also Rechenprogramme in der digitalen Steuerung zur Vermeidung unnötiger Lasten auf den Blättern. Oder sie nutzen vielleicht bessere Materialien. Hinzu kommt ein besseres strukturelles Design, um das eingesetzte Material besser auszunutzen oder die Steifigkeit der langen Komponente durch Verstärkungen der Blattschale nur an Schlüsselstellen herzustellen. Aufgrund des sehr hohen Kostendrucks streben sie auch Strukturen und Formen an, die eine einfachere und schnellere Massenfertigung zulassen. Die Kosten der Rotorblätter zu senken, hat einen viel höheren Stellenwert als die bestmögliche aerodynamische Effizienz. Dickere und somit weniger effiziente Profile zum Beispiel machen das Rotorblatt steifer, ohne dass dickere Blattschalen zur Versteifung erforderlich werden. Statt auf mehr Wirkungsgrad zielen die Designs auf Cost of Energy, auf die Gesamtkosten inklusive der Investitionen bezogen auf den Energieertrag über die Laufzeit der Anlage hinweg.
Auch, welchen Einfluss die Blätter auf die Leistungskurve haben, erklären Sie im Nichttechniker-Seminar. Lassen Sie uns vorausschauen: Was ist der aktuelle Trend?
» Staffan Wiens: Stärkster Trend ist immer noch das Größenwachstum des Rotors. Dieses ist ungebrochen. Dabei hat die aerodynamische Formung der Blätter den größten Einfluss auf die Leistungskurve. Aerodynamik entscheidet, wie schnell die Leistungswerte bei zunehmendem Wind ansteigen. Besonders effizient wären wohl spitze Kurven mit schnell bis auf Nennleistung ansteigender Leistung. Aber der Trend geht weg von früheren Effizienzrekorden von mehr als 50 Prozent. Flachere Kurven reduzieren die Belastung der Anlage. Außerdem lassen sich Anlagen kontinuierlicher betreiben, wenn sie auch schon bei kleineren Windgeschwindigkeiten ihre Nennleistung erreichen, dann aber vielleicht bei Starkwind mit Hilfe der Pitchverstellung der Blätter ein wenig die Leistung reduzieren müssen.
Ist die Branche beim Pitchen noch nicht am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten?
» Staffan Wiens: Ich weiß es nicht genau. Doch ich habe schon das Gefühl, dass in der Forschung und Entwicklung noch viel Bewegung ist. Natürlich kommt Individual Pitch Control, die Einzelblattverstellung, auch in der Praxis zur Anwendung und Sensoren liefern in Echtzeit Informationen über die Belastung der Rotorblätter. Ich glaube, dass die guten Regelalgorithmen das jetzige Rotorwachstum erst ermöglichen, indem sie die Lebensdauerbelastung reduzieren. Hier lässt sich mit den Reglern noch sehr viel erreichen.
Web-Wegweiser: bwe-seminare.de
Seminar Windenergietechnik für Nichttechniker des Bundesverband Windenergie (BWE) vom 15. bis 16. Juni in Berlin