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Metamorphose einer Anlage

Tilman Weber

Aart van de Pol ließ den virtuellen Rundgang durch Enercons neuestes Flaggschiff dann doch zum persönlichen Erlebnis werden. Der Spitzen-Ingenieur moderierte die 20-minütige Begegnung der an ihren Bildschirmen zugeschalteten Hannovermesse-Besucher mit der E-160-Windturbine. Mit Filmsequenzen vom Aufbau und der Erstbegehung der Pilotanlage auf dem Testgelände Wieringermeer brachte der Niederländer den Zuschauern erst die Dimensionen des Windkraftwerkes und das hohe Tempo der Montage nahe. Der Prototyp mit 4,6 Megawatt (MW) Nennleistung war 2020 auf dem von Enercon entwickelten modularen Stahlturm entstanden: Dessen für den Transport auf dem Lkw stapelbare gewölbte Platten lassen sich zügig im Steck- und Schraubensystem zu Zylindertürmen montieren. Dann gab van de Pol mit mehreren Klicks 360-Grad-Sichten im Inneren der Turbine frei. Zu sehen waren technologische Merkmale der neuen Anlagenplattform EP5.

Die Messegesellschaft in der niedersächsischen Hauptstadt hatte die Industrieschau aus Rücksicht auf die Coronapandemie als fünftägige Veranstaltung mit allen politischen Ansprachen, Expertendiskussionen, Referaten und Technologiepräsentationen in Live-Videos verpackt und in mehr oder weniger interaktive Interneträume verlegt. Als einziger Windturbinenhersteller nutzte Enercon das Angebot. Aart van de Pols Auftritt ließ die Anlagenschau aber erst lebendig werden. Er war Technologiechef des ehemaligen niederländischen Windturbinenunternehmens Lagerwey, als Enercon dieses 2017 übernahm. Der damalige CTO hatte gerade die Entwicklung der 4,5-MW-Windenergieanlage L-136 abgeschlossen.

Deren Generator, passiv luftgekühlt ohne Gebläse oder Pumpen, mit Permanentmagneten und einer Statorwicklung aus Aluminium-Formspulen, dient als „Kerntechnologie“ für die neue EP5-Riesenturbine, wie Aart van de Pol betonte. Der Niederländer verkörpert damit Enercons Technologiewechsel weg von einer ganz eigenen Technologie handgewickelter rein elektrisch erregter Kupferdrahtgeneratoren hin zu einer Maschine einfacher Bauart aus weltweit industriell und kostengünstig produzierbaren Komponenten.

Doch der ostfriesische Hersteller Enercon hat noch viel mehr mit der E-160 vor. Mitte Mai tauschte das Unternehmen nun Generator und Rotornabe aus und nahm Veränderungen an der Elektrotechnik wie beispielsweise eine Aufrüstung der Umrichter-Einheiten vor. Der mit der Serienbezeichnung E-160 EP5 E1 gestartete Prototyp leistet nun als E2-Version 5,5 MW. Die wenig komplexe Architektur erlaubte die variable Umgestaltung. Weil die niederländischen Anlagendesigner wie schon bei der neuen Drei-MW-Plattform EP3 den Generator zwischen Nabe und Maschinenhaus geklemmt haben und keinen sogenannten Achszapfen zum Aufstecken des Generators auf den Hauptrahmen mehr benötigen, außerdem auf ein Gehäuse um den Generator verzichten können, war der Generator- und Nabentausch ohne weitere Designanpassungen möglich.

Die E2 behält auch das Generatoraußenmaß von sechs Metern Durchmesser bei, um die für zweispurige Autobahnen kritische Dimension beim Liegendtransport nicht zu überschreiten. Der komplett vom Maschinenhaus getrennte, gekapselte Generator lässt sich durch einen zwei Meter langen Durchgang zur Nabe durchqueren. Durch eine doppelte Stahl-Zwischenwand strahlt er hierher beziehungsweise Richtung Maschinenhaus nur minimale Wärme ab. Im Maschinenhaus finden sich sonst fast nur der runde zum Generator geneigte Maschinenträger und die zwölf Azimut-Getriebe, deren Zahnräder am Drehkranz in der Kammer darunter das Maschinenhaus mitsamt Rotor in den Wind ausrichten. Die im Turmfuß steckenden Umrichter sind in zwei Abschnitte geteilt, so dass bei einem Umrichterschaden die Anlage mit halber Leistung weiter rotieren kann.

E-Gondel-Typ E3: Pilotanlage Anfang 2022

Geplant ist nun allerdings wie voriges Jahr angekündigt die Fortentwicklung der Plattform EP5 durch das Neudesign des Maschinenhauses zur sogenannten E-Gondel. Ihr Prototyp soll im zweiten Quartal 2022 ans Netz gehen.

Die E3 wird die konsequent quaderförmige Gestalt eines klassischen Eisenbahn- oder Schiffscontainers bekommen und den Raum des jetzt noch sieben Meter langen Maschinenhauses mit Ausdehnung auf 14 Meter verdoppeln. Denn künftig verstauen die Enercon-Entwickler hier oben auch den Transformator sowie das E-Modul – die bisher im Turmfuß untergebrachte Baueinheit der Wechselrichter und sonstigen Leistungselektronik zur Generatorfeinsteuerung und zur Erhöhung der Stromqualität. Das E-Modul lässt sich direkt im Werk einbauen und einem Funktionstest unterziehen. So lässt sich auf dessen Extra-Transport zur Baustelle mitsamt dort aufwendigerem Einbau in den Turm verzichten. Und weil die Anlage den Strom schon im Maschinenhaus auf Mittelspannung transformiert, kann der Stromtransport statt über 48 Niederspannungs- über nur ein Mittelspannungskabel in den Turmfuß und direkt weiter an die Netzanschlussstelle erfolgen. Das reduziere Durchleitungsverluste, erklärt EP5-Plattformmanager Sascha Exner: „Da der Trafo direkt im Maschinenhaus hinter dem Generator angeordnet ist, reduzieren wir die Kabelverluste und generieren somit höhere Erträge.“

So steigt die Nennleistung der E3-Maschine im Vergleich zur E2-Variante der E-160-Anlagen noch um ein Prozent auf 5.560 MW. Die bei mittleren 7,5 Metern pro Sekunde Wind an mäßig guten Binnenlandstandorten zu erwartende Einspeisung erhöht sich im Vergleich zur E2 um 200 Megawattstunden (MWh) auf 21.700 MWh jährlich.

Beim E2-Prototyp kam erstmals auch eine Blatttraverse des Enercon-Partners Ematec zum Einsatz, die eine Montage aller Rotorblätter um 3 auf 1,5 Tage verkürzt. Anders als bisher muss das Montage-Team nicht mehr mit einer Hub Rotating Tool genannten Traverse erst die Nabe in Position drehen und danach mit einem Blade Hoisting Device das Blatt in die Einsteckneigung halten und in die Bolzenlöcher schieben. Jetzt heißt das Instrument Blade Gripper, drückt mit einer Vielzahl fingerartig einzeln steuerbarer Stempel das Blatt in Position und führt es ein. Im Zusammenspiel mit dem Kranhub drehen die Traversenfinger das Blatt weiter und richten so die nächste Nabenöffnung fürs nächste Rotorblatt aus.

Verkauf der EP5 E3 hat bereits begonnen

Die Fertigung soll im neuen Kompetenzzentrum Mechatronik in Aurich stattfinden. Ab etwa Mitte des Jahres sollen hier die Vorbereitungen dafür starten. Aktuell stellt das Zentrum die E2-Variante her und produziert die Modelle E-136 und E-147 der EP5-Plattform sowie die EP3-Plattform. Nach dem Ramp-up der Fertigung für die E-Gondel der E-160 EP5 E3 im Kompetenzzentrum in Aurich sollen dort in 2022 mehr als 160 Einheiten/Jahr produziert werden. Die E-160 EP5 E3 wird bereits verkauft. Erste Projekte mit ihr sind unter Vertrag.

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