Wie sehr, wie schnell und wie tief in technologische Details eingreifend die Digitalisierung die Windkraft modernisieren und ihre Kosten senken kann, lernten Teilnehmer des Branchentages Windenergie NRW in der letzten Oktoberwoche in Gelsenkirchen beispielweise bei Ussamah Hanif.
Automatisierte Lagerschmierung
Der Key Account Manager der Schmiertechnologieabteilung des Drehlagerherstellers SKF rechnete es zur Eröffnung der Tagung in Gelsenkirchen vor: Eine automatisierte Lagerschmierung gemäß digital ausgelesenen Belastungsdaten ließe die Ausgaben zur Fettversorgung bis auf weniger als ein Drittel reduzieren. Denn bisher schmierten vielerorts Betreiber oder Betriebsführer von Windenergieanlagen oder deren Wartungsdienstleister die Dreh- und Angelpunkte der Anlagen bei sechsmonatigen Wartungsintervallen von Hand nach, argumentierte der SKF-Experte. Bei 30 bis 140 Schmierstellen sei schon alleine bei den Wartungspersonaleinsätzen viel Aufwand abzubauen. Zusätzlich lasse die Digitalisierung mit Hilfe echter Lastdaten die Schmierung nach Zeit auf eine Schmierung nach Bedarf umstellen. Das beabsichtigte Ergebnis: Der Austausch der Fettfässer muss nur noch einmal im Jahr statt im Sechs-Monats-Takt stattfinden. Mit sogenannten Upgrade-Kits bietet das Unternehmen die Umstellung auf diese Automatisierung inklusive der Installation einer dafür notwendigen Zentralschmieranlage an.
Solche teureren Schmieranlagen sind bisher ganz überwiegend nur in Offshore-Windparks eingebaut, wie SKF-Mann Hanif erklärt, wo aufgrund des hohen logistischen Aufwands auf See jeder Wartungseinsatz mehr die betrieblichen Kosten empfindlich hochtreibt. Forschungen aber zielten bereits in die Richtung, auch bei Vibrationen in Windparks eine angepasste Bedarfsschmierung zu erreichen. Soll heißen: Bei den aufgrund besserer Anlagentechnik und zunehmender Dichte der Anlagenstandorte immer häufigeren turbulenten Windlagen wird die Investition in eine automatisierte Zentralschmierung trotz Preisdrucks in den Projektausschreibungen rentabler.
Workforce-Management für den technischen Service
Eine ganz andere Digitalisierung der Instandhaltung von Windparks bringt künftig vielleicht das Workforce-Management-System des siegerländischen Anbieters Greengate ins Spiel, die an der Ressourcenplanung und damit den Reibungskosten der Wartungsdienstleister ansetzt. Der Sales Engineer für technische Betriebsführung des Unternehmens östlich von Bonn, Thomas Zapp, erklärte, wie das Arbeitskräfteplanungssystem sich in die bestehende Software-Landschaft eines Wartungs-Service-Unternehmens einpassen lässt. Als Instandhaltungssoftware beziehungsweise als Computerprogramm mit dem englischen Fachterminus Computerized Maintenance Mangement System (CMMS) lässt es sich in die bestehende Programme-Architektur der digitalen Unternehmensführung einbinden: Dokumentenmanagementsysteme, geografische Informationssysteme, Wettervorhersagesysteme oder beispielsweise weitere Dokumentenmanagementsysteme. Die Unternehmensführung werde mit dem Programm Arbeitsteams für die Einsätze in den zu wartenden Windparks zusammenstellen. Sie werde damit die Wartungstermine der Windparks je nach weniger Verluste kostender windarmer Wetterlage und je nach Dringlichkeit setzen. Und sie werde die Ersatzteilverfügbarkeiten damit sicherstellen.
Mit schematischen Illustrationen ließ Zapp sichtbar werden, wie das digitale Programm die Reibungsverluste bei größeren Instandhaltungsunternehmen intelligent vermeiden hilft: Sobald die Einsatzplanenden ihre Teams und Termine verschieben, deutet das Programm mit Einfärbungen eventuelle Konflikte an: Wo Wartungsmitarbeiter keine gültigen Schulungen haben oder wo es beispielsweise aufgrund zu langer Anfahrtswege zwischen mehreren Aufträgen zeitliche Konflikte gibt. Durch Verschieben der Einsätze und Neuzusammenstellung der Teams lassen sich die farblich markierten Konflikte dann ausräumen. Durch Installationen des Programms im Heimnetzwerk des Kunden lässt sich der Zugriff auf das System für die gesamte Belegschaft steuern.
Windfeld abtastender Laser wird marktfähig
Derweil könnte die auf Lasertechnologie basierende Lidar-Windmessung die Präzision der Stromernte der Turbinen nun doch zu neuen Effizienzwerten verhelfen – und damit zu Mehreinnahmen. So berichtete der Geschäftsführer des Lidar-Anbieters GWU-Umwelttechnik, Ludwig Wagner, von der Fortentwicklung der Lasergeräte zu kommerziell verfügbaren und auch in Windparks an Land lohnenswerten und rentablen Gerätschaften. Sogenannte Doppler-Wind-Lidare häufig mit gepulsten Laserstrahlen messen an der von Aerosolen zurückgeworfenen Strahlung deren veränderte Frequenz. Die Frequenzverschiebung gibt Auskunft darüber, wie schnell sich die Kleinstteilchen in der Windströmung fortbewegen. Nahe einer Turbine auf dem Windparkgelände positionierte – also: bodenbasierte – Lidare lassen somit Windfelder bereits 12 bis 15 Kilometer vor einer Anlage abtasten, um besonders präzise Vorhersagen für die Stromeinspeisung und damit zugunsten des stabilen Stromnetzbetriebs sowie zugunsten besserer Verdienste im kurzfristigen Börsenstromhandels zu ermöglichen. Mit dem Abtasten des unmittelbar auf die Anlage auftreffenden Windfelds schon 750 Meter vor der Nabe durch ein Lidar oben auf der Windenergieanlage lässt sich außerdem die Anlagensteuerung verfeinern. Die Abweichungen der Windströmungen innerhalb inzwischen schon enorm großer Rotorfelder mit 160 Meter Durchmesser an Land und noch mehr auf See ermöglichen eine feinere Aussteuerung der Rotorblätter. Unproduktive Lasten auf dem Material lassen sich damit reduzieren. Zudem hilft das fortentwickelte Doppler-Lidar die durch die Verwirbelungen des Rotors verfälschten Windsignale am dahinter liegenden Windsensor-Anemometer zu korrigieren, so dass die Anlage den Turbinenkopf genauer in den Wind ausrichtet. Und nicht zuletzt erübrigt die Messung der Windverhältnisse in die Höhe mit Lidaren auf dem Boden bei Gesamtanlagenhöhen bis zu 250 Meter den Einsatz von Windmessmasten.
Dass die Technologie marktfähig ist, belegt eine „Bestellung von mehreren 100 Anlagen“ zum Einsatz auf der Gondel durch den chinesischen Windturbinenhersteller Goldwind. Ein mit GWU im Wettbewerb stehendes Unternehmen meldete im Mai, dass die Zahl der mit Lidar ausgerüsteten Goldwindturbinen bereits mehr als 1.000 betrage.
Industrielle Selbstversorgungs-Windturbine
Mehr aus der natürlich vorhandenen Windenergie herausholen lässt sich allerdings auch durch angepasste Betriebskonzepte. Darauf setzt das Schweizer Unternehmen Agile Wind Power AG. Sie hatten 2020 bereits den Prototyp einer Vertikalachsen-Anlage auf dem nordrhein-westfälischen Windtestfeld Grevenbroich errichtet, deren senkrecht in den Wind gestellten 54 Meter langen Rotorblätter bei 32 Meter Rotordurchmesser um den Gittermastturm rotieren.
Das Konzept der 750 Kilowatt (kW) leistenden Turbine – einer kleinen Anlage im Vergleich zu zweieinhalb Mal so großen und acht- bis neun Mal so viel leistenden neuesten Windturbinen – zielt auf die Eigenversorgung von Industrieunternehmen oder kommunaler Versorgungsanlagen. Unternehmens-Chef Patrick Richter beschreibt die Zielrichtung so: Weil die 105 Meter hohen Anlagen aufgrund dreifach geringerer Geräuschemission im Vergleich zu klassischen Horizontalachsenturbinen bei nur 85 Dezibel des Schallleistungspegels „sechsmal näher an Wohnsiedlungen herandürfen“, seien Genehmigungen schneller möglich. Auch sollen Kunden sie damit in räumlicher Nähe zur Eigenversorgung aufstellen lassen können. Von inzwischen schon 800 Anfragen kommen demnach die meisten für Elektrolyseanlagen zur Herstellung des als emissionsfreier Treibstoff geeigneten Energieträgers Wasserstoff sowie für Kläranlagen – und ansonsten verschiedene Industriebetriebe.
Ein technisches Manko der Anlage soll inzwischen behoben sein. Im November 2020 war einer der drei Rotorblatt-Arme mitsamt des Turbinenflügels noch während der Inbetriebnahme der Anlage abgebrochen, weil Windturbulenzen beziehungsweise ein „bis dato noch unbekannter Lastfall“ dessen Lastgrenzen überreizt hatten. Auch um die Lärmemissionen gering zu halten, lassen die Schweizer die Turbine langsamer drehen, als bei Vertikalanlagen ansonsten notwendig. Dafür richtet die Anlagentechnik die Rotorblätter, die durch die Rotation ständig neu aus dem Wind drehen würden, beständig in den Wind aus. Eine Fehleinstellung dieser Aussteuerung bezogen auf eine „Verkettung mehrerer Ereignisse“ hatte den Rotor in Resonanz versetzt und den Bruch verursacht, so stellte es Agile Wind Power dar. Mit einer verfeinerten Steuerung, mehreren Sicherheitsvorkehrungen und einem leicht veränderten Rotorblattprofil wollten die Schweizer bis Ende Oktober ursprünglich einen neuen Prototyp errichtet haben. Allerdings dauerte die Entwicklung des Konzepts für den Rückbau des defekten Rotors und der damit verbundenen arbeitssicherheitstechnischen Prüfung länger als ursprünglich geplant. Agile Wind Power bereitet nun die Neuerrichtung in Grevenbroich für März 2022 vor.
Optimierte Parkplanung durch Lastenberechnung
Der Geschäftsführer des Ingenieurdienstleistungsunternehmens PE Concepts, Holger Lange, informierte zudem darüber, wie neue Kalkulationsmethoden in der Windparkplanung die unterm Strich besten Turbinenstandorte in einem Windparkareal errechnen lassen. Das Unternehmen mit 45 Mitarbeitenden berechnet im Auftrag von Windparkplanern die mit jedem Standort verbundenen Lasten und insbesondere Windturbulenzen, wo neue Windturbinen nahe zu Nachbaranlagen entstehen sollen. Wo Mindestabstände das Fünf- bis sogar nur das Dreifache des Rotordurchmessers einer neuen Turbine nicht möglich sind, wenden bei entsprechendem Auftrag die Mitarbeiter des Dienstleisters ihre fortgeschrittene Berechnungsmethodik an. Diese Optimierung der Parkplanung solle verhindern, dass die bei zunehmend dichterer Bebauung der deutschen Landschaften mit Windparks ebenfalls immer häufigeren Betriebsbeschränkungen bei Wind aus bestimmten Richtungen sich vermeiden lassen. Solche Betriebsbeschränkungen sollen vermeiden, dass zu große Turbulenzen durch beispielsweise Auswirkungen des Windschattens nah installierter Nachbaranlagen und damit verbundene Lasten die neuen Anlagen nicht mehr als vom Hersteller berechnet strapazieren.
Die Dienstleistung könne bei Nachverdichtungen in bestehenden Windparks, bei dichter Ausnutzung neuer großer Windenergie-Vorrangflächen oder beim Weiterbetrieb von Altanlagen sinnvoll sein, betont Lange.
Akzeptanz durch Systematisierung optischer Wirkung eines Windparks
Um die Widerstände regionaler Bevölkerung und Touristikbetriebe gegen neue Windparks und damit lange teure Planungszeiten zu reduzieren, arbeitet das Ingenieurdienstunternehmen Ramboll unter anderem auch an Expertisen zu Konflikten mit dem Denkmalschutz an neuen Projektstandorten. Der Senior Consultant bei Ramboll, Stefan Buscher, erklärte, wie sich negative Auswirkungen auf den Denkmalschutz systematisch ausschließen ließen. Demnach sind Auswirkungen auf das Gesamtbild eines denkmalgeschützten Ortes oder Ensembles dann hoch und damit die Chancen für den Windpark schlecht, wenn der Blickwinkel auf den markanten Bau relevant ist. Zudem gilt meistens nicht der Blick aus einem Denkmal heraus als geschützt, sondern dann nur der von außen auf das Denkmal. Allerdings sähen dies die Behörden nicht überall in Deutschland gleichermaßen, warnt Buscher vor Sorglosigkeit bei der Projektplanung. Relevant freilich ist ein Blickwinkel nur, wenn dieser häufig und für viele Menschen zugänglich ist. Wenig bekannte oder schlecht zugängliche Orte dürfen nicht den Blickwinkel auf geplante Windturbinen bieten, um sie abzulehnen.
Norm für die Bestimmung der Inhalte technischer Prüfungen
Wie sehr auch neue Standards die Sicherheit und Rentabilität von Windparks beeinflussen, stellte Holger Pasch vor. Der erfahrene Prüfer des Instandhaltungs- und Windpark-Service-Unternehmens Deutsche Windtechnik verwies auf die Arbeit an einer neuen Din-Norm DIN 18088-6, die aktuelle europäische Standards für die regelmäßig Prüfung der Reparaturbedürftigkeit von Windenergieanlagen umzusetzen zwingt und 2022 fertig werden soll.
Feinere Leistungskurvenbestimmung
Und der Leiter der Abteilung Anlagentypen-Testung der Windtest Grevenbroich GmbH, Eric Effern, berichtete von der Arbeit an einem mathematischen Modell, das die oft auch als ungenau und als für Kundenwindparks ungeeignet kritisierten Leistungskurvenangaben neuer Windenergieanlagen durch die Hersteller ersetzen soll. Das Modell entsteht derzeit aus einer Gremienarbeit mehrerer Testanbieter, Windturbinenhersteller, Projektentwickler und weiterer Windkraft-Branchenunternehmen. Auch dieses Verfahren soll 2022 abgeschlossen sein.
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