„Von wegen unerschöpfliche Windkraft: Maximal 26 Prozent der natürlichen Windenergie lassen sich für Strom nutzen. Das zeigt eine aktuelle Berechnung.“ So schreibt beispielsweise die Wochenzeitung Zeit auf ihrem Online-Portal – und kaum ein großes Nachrichtenmedium in Deutschland scheint die Schlagzeile über die vermeintliche Neuheit gestern oder vorgestern ausgelassen zu haben. So zeigt es die Suche mit der Internet-Suchmaschine Google. Die Erkenntnisse aus der zitierten Studie sind im Fachjournal der amerikanischen Akademie der Wissenschaften zu lesen, wo die Autoren am 24. August ihre Ergebnisse publiziert hatten. Sie schreiben über das in der Windenergiebranche inzwischen unumstrittene Phänomen, wonach immer mehr Windparks unter dem wachsenden und starken Zubau in Deutschland zu geringeren Erträgen der Einzelanlagen führen. Denn die Windturbinen greifen sich gegenseitig im Wortsinne den Wind ab. Hinter jeder Windenergieanlage ist der Luftstrom energieärmer – und zwar deutlich im Energiegehalt reduzierter als bisher angenommen, so argumentieren die Forscher. Die Dreiflügler reduzierten den Wind um bis zu 40 Prozent.
Im Detail schlussfolgert der Artikel in dem US-amerikanischen Fachmagazin unter dem Titel „ Two methods for estimating limits to large-scale wind power generation “: Bisher habe die Fachwelt angenommen, dass Windturbinen in der realen Energielandschaft mit einer Effizienz von sieben Watt pro Quadratmeter Strom erzeugen könnten. Nun hätten ihre Berechnungen aber ergeben, dass in einer dicht mit Windturbinen bestückten Landschaft nur ein Watt pro Quadratmeter realistisch sei. Große Windparks, würden damit nur noch 26 Prozent der Energie aus dem Wind in Strom umsetzen können. Als physikalische Größe gilt allerdings bisher der so genannte Betz´sche Leistungsbeiwert von 0,59: bis maximal über 50 Prozent der Energie aus dem Wind können Windturbinen demnach ernten – allerdings gilt der Betz´sche Wert von 59 Prozent aufgrund unvermeidlicher Effizienzverluste im Antrieb und in der Stromübertragung der Anlage selbst als unerreichbar.
Höchstens 357 Gigawatt möglich
Wenn ganz Deutschland gemäß dieser Erkenntnis mit Windenergieanlagen bestückt würde, ließen sich höchstens 357 Gigawatt (GW) Windenergieleistung betreiben, schlussfolgert Zeit Online. Derzeit erzeugen in Deutschland Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 39 GW Windstrom. Rein rechnerisch auf eine von den Windenergieverbänden in aktuellen Diskussionen beanspruchte Fläche von zwei Prozent der Bundesrepublik heruntergebrochen ergäbe sich für eine effektive Windkraft dann aber nur ein Erzeugungspotenzial von 7 GW. Ist damit die Windkraft schon heute nicht mehr nachhaltig effektiv? Verbraucht sie zu viel Wind?
Clou der Forscher ist die Simulation der Windentwicklung unter dem Einfluss großer Windparks mit dem US-amerikanischen sogenannten Mesoskalen-Modell WRF. Mit diesem branchenbekannten Windströmungs-Recheninstrument für Computer-Simulationen beobachteten die Forscher als Besonderheit, wie schnell und wie sehr sich von Windparks abgegriffene Luftzonen wieder mit neuer Energie auffüllen können. Dabei stellten sie fest, dass der dafür verantwortliche Austausch oberer Luftschichten mit den für die Windkraft entscheidenden Luftschichten in der Nabenhöhe der Turbinen unerwartet gering sei.
Die branchenfremden Autoren sorgen für Wirbel
Bei den Autoren der Studie handelt es sich allerdings keineswegs um ausgewiesene Windenergieexperten, sondern um deutsche, US-amerikanische und französische Wissenschaftler unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena.
In der Windbranche hat die Studie dennoch angeblich einigen Wirbel ausgelöst. Von mehreren aufgeregten Anrufen auch aus Branchenverbänden berichtet ein Branchenexperte im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN, dessen Firma gewöhnlich den Windkraftinvestoren die möglichen Erträge neuer Projekte berechnet.
Antwort aus der Windbranche: "Sommerlochdebatte"
Zu echter Besorgnis über eine längere Debatte zur angeblich mangelnden Effizienz der Windenergie reicht es nach Ansicht von Experten, die ERNEUERBARE ENERGIEN hierzu befragt hat, dann doch nicht: „Sehr viele Vereinfachungen und Annahmen. Eine Diskrepanz zu realen Messungen wird sogar selbst in dem Paper erkannt“, urteilt Stephan Barth. Der Geschäftsführer des Windenergieforschungszentrums Forwind der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen urteilt, es handele sich nach erstem Anschein um eine Nachricht für die in manchen Feldern wie der Wissenschaft immer noch nachrichtenarme Zeit, „Sommerloch“ genannt. Forwind ist indes eine der führenden Wissenschaftsorganisationen in Deutschland, wenn es um die Windschatteneffekte großer Windparks in Deutschland geht.
Der Ingenieur des Erneuerbare-Energien-Beratungsunternehmens Cutec, Werner Siemens, urteilt: „Sie ( die Forscher, von der Redaktion eingefügt) berechnen den Einsatz vertikaler Luftströmungen auf einen Windpark, also kilometerweise Windanlagen hintereinander, und kommen darauf, dass zum einen wenig Wind aus der oberen Atmosphäre nachkommt, und sich die Anlagen gegenseitig den Wind wegnehmen. So baut man ( aber, von der Redaktion eingefügt) keinen Windpark. Der steht in Hauptwindrichtung und zwar im horizontalen Luftstrom und verschattet (Windschatten) sich nicht selbst. Dann haben die einzelnen Windparks ja auch noch Abstand zwischen einander.“ Weiterhin werde das Unternehmen Cutec mit tatsächlichen Flächenerträgen von 44 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr und Quadratmeter Grundfläche in einem Windpark rechnen.
Zum Vergleich: Würde die Erzeugung bei nur einem Watt pro Quadratmeter ununterbrochen stattfinden, ergäbe das eine jährliche Erzeugung von 8,75 kWh.
Weiteres Urteil: Ein bizzares Szenario
Auch der Lüneburger Windgutachter Herbert Schwartz winkt ab. Die Forscher ließen zu viele Dinge unklar wie etwa, welche Parametereinstellungen sie bei der Verwendung des sogenannten Mesoskalenmodells gewählt hätten und warum diese. „Die Mesoskalenmodelle berechnen Windströmungen in einem Maßstab von ein paar Kilometern mal wieder ein paar Kilometern“. Um hier zu Windpark-genauen Annahmen zu kommen, sei eine transparente Verwendung solcher Parameter aber entscheidend. Außerdem gehe die Studie offenbar von einem komplett mit Windturbinen vollgestellten Deutschland aus, dessen Nachbarländer ebenso mit Windenergieanlagen vollgestellt seien – um dann nur noch 26 Prozent nutzbarer Energie aus dem Wind zu ermitteln. Das sei sehr realitätsfremd.
Allerdings hält Schwartz eine schnelle und oberflächliche Widerlegung der These für schwierig: Bei den Wissenschaftlern handele es sich gemäß Recherchen aus seinem Unternehmen um „hochkarätige Wissenschaftler an sich“, die freilich in windenergiefremden Sachgebieten zu Hause seien. Dennoch sei die Studie damit „personell hoch aufgehängt“. Sie werde zudem als Reviewed Paper bezeichnet: Ein auf wissenschaftlich saubere Methodik von anderen Wissenschaftlern hinreichend geprüftes Dokument. Allerdings sei die Herleitung wohl „höchst theoretisch“. Hier hätten wohl Forscher einmal die theoretische Annahme einer maximalen Windenergienutzung durchgespielt.