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Wirtschaftliche Lösung durch Quartiersplanung

Nicole Weinhold

Wie kann künftig die Energieversorgung in einem Neubaugebiet aussehen? Diese Frage wurde von der Gemeinde Kressbronn an uns herangetragen“, erinnert sich Matthias Weise, Rechtsanwalt aus Meckenbeuren, Bodenseekreis. Inzwischen geht die Gemeinde Kressbronn mit ihren Projektpartner:innen bereits in die Umsetzung: 120 neue Wohneinheiten, ein Kinder- und Familienzentrum, ein Ärztehaus und eine Wohn- und Gewerbeimmobilie werden bis 2025 am Bodensee entstehen. Zu einem späteren Zeitpunkt entstehen weitere ca. 80 kommunale Wohnungen und ein neuer Feuerwehr- und Rotkreuz-Standort. Das Quartier wird zu 100 Prozent durch ein hocheffizientes kaltes Nahwärmenetz versorgt; durch das gemeinsame Energieerzeugungs- und Versorgungsnetz wird ein Strom-Autarkiegrad von rund 70 Prozent erreicht. Der im Quartier erzeugte günstige Photovoltaikstrom kommt den Bewohnern über eine Mieterstromlösung zugute.

Wir bringen Wärme mit Strom und Mobilität zusammen.

Lisa Oechsle, Projektleiterin, ­Terra Consulting GmbH

Bis es so weit war, ist viel passiert: Die Firma Terra Consulting hat zunächst eine Vorstudie erstellt. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie war, dass eine zentrale Versorgung innerhalb des Quartiers wirtschaftlicher ist als eine dezentrale Versorgung pro Haushalt. Lisa Oechsle, Projektleiterin der Terra Consulting GmbH, erinnert sich, ihre Firma sei beauftragt worden, verschiedene Versorgungsvarianten für das Neubaugebiet zu untersuchen. „Und dabei zeigt sich wie gesagt, dass eine zentrale Versorgung eines Quartiers ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist.“ Vor ein paar Jahren habe noch jede:r den eigenen Kessel ins Haus geholt. „Das ist heute nicht mehr so. Es gibt jetzt eine zentrale Versorgungseinheit, von wo aus die Wärme auf das ganze Gebiet verteilt wird“, erklärt Oechsle.

Zentrale Versorgung im Fokus

Grafik: Terra-Consulting

Zentrale Versorgung im Fokus

Die Gemeinde hatte auf der Vorstudie aufbauend die Terra Consulting GmbH mit der Durchführung einer Machbarkeitsstudie im Sinne der Förderung über Wärmenetze 4.0, der jetzigen BEW-Förderung, beauftragt. Mit den Ergebnissen wurde schließlich in einer Ausschreibung ein geeigneter Quartierdienstleister gefunden. Das war die Firma Integrierte Quartierslösung, IQ, deren Geschäftsführer Thomas Booch erklärt, für das Heizen mit bodennaher Geothermie sei dann ein zentrales Erdsondenfeld für das ganze Baugebiet erschlossen worden. „Sonst hätte für jedes Gebäude eine eigene Sonde gebaut werden müssen. Das wäre wesentlich teurer geworden. Wir brauchen nicht so viele Sonden, wie wenn jeder für sich selbst baut. Und: Wir hatten die Möglichkeit, auf öffentlichem Grund Sonden zu platzieren.“ IQ baut diese Art der Quartiere an mehreren Orten und lag mit dem zentralen Prinzip immer zirka 15 Prozent unter dem Ergebnis, wenn jeder für sich selbst eine Wärmeversorgung anlegt. „Ohne energetische Vorgaben hätte sich jeder in dem Neubaugebiet in Kressbronn eine Luft-Wasser-Wärmepumpe zulegen können. Aber dann hätte es vielleicht Nachbarschaftsstreit gegeben wegen Lärm“, gibt Booch zu bedenken. Er stellt aber auch fest: „Wir haben die Erfahrung, dass die Leute froh sind, ein Grundstück zu bekommen, aber es wird tief in die Eigenständigkeit der Bauherren eingegriffen. Darum müssen wir da erst mal für Begeisterung sorgen.“ Neben den 86 Sonden für die Wärme gibt es auf den Dächern Photovoltaik mit der Vorgabe der Gemeinde, 80 Prozent der Dachfläche müssten genutzt werden. Das ist strenger als die Solarpflicht in Baden-Württemberg, die nur 60 Prozent vorsieht. Zudem gibt es Batteriespeicher. Im Rahmen des Mieterstromgesetzes haben die Mieter Gelegenheit, günstigen Strom zu beziehen.

80 Prozent der Dachflächen sollen durch Photovoltaik genutzt werden, 20 Prozent mehr, als die Solarpflicht in Baden-Württemberg vorschreibt.

Die Gemeinde vom Vorhaben überzeugen

Die Technologien sind nicht neu. Die Herausforderung liegt eher darin, dass man sie in einem großen Quartier umsetzt. Am schwierigsten sei es gewesen, die Gemeinde zu dieser Vorgehensweise zu bewegen, sind sich die Initiatoren einig. IQ als regionaler Partner investiert komplett eigenständig in das Projekt. Energieversorger EnBW sei mit einer Minderheit und die Stadtwerke TWS mit der Mehrheit an der Gesellschaft IQ beteiligt, erklärt Melanie Gaßner, Referentin Quartiersentwicklung bei EnBW. „Das Besondere ist, dass alle Wohneinheiten im Quartier miteinander vernetzt und zusammengeschlossen sind und durch das Mieterstrommodell vor Ort die erzeugte Energie für Haushaltsstrom und Heizung genutzt und im Batteriespeicher für alle gespeichert wird“, fügt sie an. Durch diese Maßnahmen und künftig auch Ladesäulen für E-Mobilität sollen 70 Prozent Autarkiegrad erzielt werden.

Für Lisa Oechsle ist das auch ein wichtiger Teil der Sektorenkopplung: „Verschiedene Formen von Energie werden dabei zusammengeführt. Wir bringen Wärme mit Strom und Mobilität zusammen. Bei der Photovoltaik gibt es im Sommer oft einen Überschuss. Anstatt den überschüssigen Strom zu meist unrentablen Konditionen in das öffentliche Stromnetz einzuspeisen, nutzen und speichern wir diesen im Quartier durch die hohe Anzahl an Nutzern mit unterschiedlichem Verbraucherverhalten und den Einsatz von Batteriespeichern, Wärmepumpen und Wärmespeichern. So halten wir die Energie im Quartier“, so Oechsle.

Sectors4Energy

Konferenz: ERNEUERBARE ENERGIEN und Lorenz Kommunikation laden die Branche am 2. und 3. Juli zur Sectors4Energy nach Köln. Im Fokus stehen dabei Geschäftsmodelle rund um die Sektorkopplung. Auch die Firma Terra Consulting wird dort mit einem spannenden Vortrag erwartet.

Weitere Informationen:
www.sectors4energy.com