In Mahlow, südlich von Berlin, wohnt es sich beschaulich. Die Hochhäuser der Großstadt sind längst nicht mehr zu sehen. Das Ein- und Zweifamilienhaus ist der dominierende Wohnstil. Auch das Gebäude, mit dem der britische Energieversorger Octopus Energy auf dem deutschen Markt einen neuen Weg für die Bewohner dieser Häuschen gehen will, unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von den Häusern in der Nachbarschaft. „Es ist ein ganz normales Haus aus rotem Ziegelklinker, der hier oft verbaut wurde“, erklärt Johannes Trucksäß, Digital Project Manager bei Octopus Energy Deutschland.
Auf dem Dach thront eine große Photovoltaikanlage – keine Seltenheit in der Stadt vor den Toren Berlins. Doch schon die Größe der Anlage lässt vermuten, dass hier die Sonne einen großen Anteil der Energieversorgung übernimmt. Immerhin sind auf dem Satteldach sowohl auf dem südwestlich als auch auf dem nordöstlich ausgerichteten Teil Module mit einer Gesamtleistung von fast 16,5 Kilowatt installiert. Dazu kommen noch 24 semitransparente Module mit einer Leistung von 6,6 Kilowatt, die den Eingangsbereich des Hauses überdachen.
Viel Solarleistung auf dem Dach
Doch die eigentliche Idee, ein Gebäude mit einem Energiekonzept der Zukunft zu schaffen, wird erst nach einem tiefen Blick in das Haus deutlich. Das Herz der gesamten Energieversorgung ist die hohe Solarleistung – auch wenn diese nicht Voraussetzung für das Konzept ist. „Die Häuser, die wir in unser Konzept aufnehmen, haben Photovoltaikanlagen im Leistungsbereich von zehn Kilowatt“, erklärt Johannes Trucksäß. „Das ist auch die gängige Leistung auf den Dächern von Einfamilienhäusern. Und das ist auch die Leistung, die für das Zero-Bills-Konzept gut funktioniert.“
Dabei handelt es sich um einen Ansatz, bei dem die Bewohner der Gebäude bei normalem Betrieb keine Energierechnung mehr bezahlen müssen. Grundlage ist, dass der Solarstrom vom Dach direkt vor Ort verbraucht wird – auch für die Wärmeversorgung. Reicht der Strom aus der Photovoltaikanlage nicht aus, liefert Octopus Energy den Reststrom. Überschüsse verkauft das Unternehmen als Energieversorger am Strommarkt. Die Rechnung geht auf, wenn die Überschüsse aus der Solaranlage mindestens genauso hoch oder sogar höher sind als der Reststrom, den die Hausbewohner aus dem Netz ziehen.
Gleichmäßig Strom produzieren
Grundsätzlich muss die Solaranlage aber den Großteil des Energiebedarfs abdecken. Sie ist deshalb auf den Hausverbrauch hin ausgelegt. Die Gebäude werden in der Regel mit einer Wärmepumpe beheizt. Dazu ist wiederum ein gewisser energetischer Gebäudestandard notwendig.
Gleichzeitig muss das gesamte Energiesystem des Gebäudes flexibilisiert werden. Einen Teil dieser Flexibilisierung übernimmt ein Stromspeicher.
Octopus Energy setzt aber zusätzlich sein System „Kraken“ über das Energiekonzept. „Denn wir müssen die Geräte so steuern können, dass sie dann Strom verbrauchen, wenn er günstig ist“, sagt Johannes Trucksäß. Außerdem senkt die Softwarelösung durch eine intelligente Steuerung der Komponenten auch den Energieverbrauch im Gebäude.
Arbitragehandel mit dem Speicher
So wird etwa der Speicher ein Teil des flexiblen Energiehandels von Octopus Energy. Wenn die Preise an der Strombörse niedrig oder sogar negativ sind, bekommt der Speicher ein Signal und er lagert den Netzstrom ein. Sind die Strompreise an der Börse hoch, verkauft Octopus die Energie aus dem Speicher. Dadurch kann dieser auch überdimensioniert werden, was im Normalfall bei einer reinen Eigenverbrauchsanlage unwirtschaftlich wäre. So ist in Mahlow ein Speicher mit einer Kapazität von 20 Kilowattstunden installiert, der für dieses Gebäude eigentlich zu groß ist.
Unter anderem mit dem Gewinn aus diesem Arbitragehandel mit dem Speicher finanziert sich die Energieflatrate für die Hausbewohner. Dazu kommt noch der Überschussstrom als zweites Standbein des Zero-Bills-Konzepts. „Wir starten in Deutschland zunächst mit einem Partner für die Direktvermarktung des Überschussstroms“, erklärt Johannes Trucksäß. Doch das ist erst der Anfang. „Unser langfristiges Ziel ist es, selbst komplett an der Strombörse als Händler aktiv zu werden. Wir übernehmen dann die gesamten Handelsmechanismen selbst und sind nicht mehr auf einen Partner angewiesen, der uns den Strom abnimmt“, sagt Johannes Trucksäß.
Viele Kleinanlagen vermarkten
So etwas ist nicht ganz einfach. Denn dabei muss Octopus Energy den Strom aus vielen Kleinanlagen vermarkten, was viel komplexer ist, als die Energie eines Solar- oder Windparks zu verkaufen. „Deshalb verfolgen wir im ersten Schritt den Ansatz, dass die Solaranlagen unserer Gebäude dann einspeisen, wenn es für den Strommarkt sinnvoll ist, und nicht nur, wenn er produziert wird“, erklärt Johannes Trucksäß.
Gelingt so die Integration der vielen Kleinanlagen, wird das Konzept langfristig auch für Octopus Energy zum Gewinn. „Mit jeder Anlage, die wir in Deutschland in unseren Bilanzkreis aufnehmen, wird der Pool, den wir nutzen können, größer. Dann können wir beispielsweise auch mit Verteilnetzbetreibern sprechen und ihnen Flexibilitäten für ihr Netz zur Verfügung stellen“, beschreibt Johannes Trucksäß den Ansatz.
Mit jeder Anlage, die wir in Deutschland in unseren Bilanzkreis aufnehmen, wird der Pool, den wir nutzen können, größer.
Kraken steuert die Häuser
Auch die Wärmepumpe als flexible Last spielt eine entscheidende Rolle. Denn sie speichert im Winter dann Strom in Form von Wärme ein, wenn die Preise niedrig sind, um sie später in Hochpreisphasen zu nutzen. Die Preise wiederum sind dann niedrig, wenn viel Ökostrom im Netz ist und die Verteilnetzbetreiber Abnehmer für diese Strommengen brauchen. Im Sommer übernimmt die Wärmepumpe die Kühlung der Gebäude und kann so ebenfalls zur Stromsenke werden, wenn die Solar- und Windkraftanlagen in der Region sehr viel produzieren. Das Energiesystem Kraken übernimmt an dieser Stelle nicht nur die Steuerung der Anlagen im Gebäude, sondern auch das Management aller Häuser, die im Pool integriert sind.
Für die Hausbewohner selbst ändert sich nichts – außer dass sie Octopus Energy als Versorger auswählen. Sie haben eine begrenzte Energiemenge zur Verfügung, die in der Regel für den normalen Betrieb des Gebäudes ausreicht, wie die Erfahrungen in Großbritannien zeigen, wo das Konzept bereits aufgebaut ist.
Energiebedarf abdecken
Denn in der Regel ist der Energieverbrauch des Gebäudes bekannt. Schließlich nimmt Octopus Energy auch Bestandsgebäude in den Pool mit auf. Aber auch für Neubauten oder frisch sanierte Gebäude existieren schon Erfahrungswerte. „Wir akkreditieren jedes der Häuser immer individuell und teilen den Bewohnern die Annahmen mit, die wir hinsichtlich des Energieverbrauchs treffen“, sagt Johannes Trucksäß. „Wir teilen ihnen den Freibetrag mit und sie wissen dann, wie viel Energie sie verbrauchen können.“
Auf diese Weise gelingt es, dass die Bewohner für mindestens fünf Jahre keinen einzigen Euro für den Energieverbrauch bezahlen. Die Projekte in Großbritannien funktionieren sogar so gut, dass die Bewohner sogar mindestens zehn Jahre garantiert ohne Energiekosten auskommen.
Partner gefunden
Das Haus in Mahlow ist das erste, mit dem Octopus Energy in Deutschland startet. Zusammen mit dem Gebäude hat Octopus Energy mit Roth Massivbau auch einen Hausbaupartner gefunden. Mit ihm sollen noch weitere Bestandsgebäude für das Zero-Bills-Konzept fit gemacht werden. Inzwischen ist mit dem Fertighausanbieter Kampa noch ein zweiter Partner hinzugekommen.
Derzeit sucht Octopus Energy zusammen mit der Plattform Immoscout 24 interessierte Mieter für das neue Wohnkonzept (https://octopusenergy.de/mieter-gesucht). Diese können sich über das Inserat auf der Immobilienplattform bei Octopus Energy melden. Die ersten offiziellen Mieter dürfen sich nicht nur über eine Energierechnung von null Euro freuen. Sie zahlen im ersten Jahr auch keine Miete.
3.500 Kilowattstunden setzt Octopus für den Stromverbrauch in dem Gebäude in Mahlow an. Dazu kommen noch 3.000 Kilowattstunden für den Betrieb der Wärmepumpe. Dies sollte ausreichen, um den Energiebedarf des Hauses beim erreichten Energiestandard betreiben zu können.