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„Europäisches Marktdesign“

Nicole Weinhold

Kaum ein Projektierer hat in Deutschland so viel Erfahrung mit Offshore-Wind-
energie wie Irina Lucke. Sie hat für EWE den ersten Nordseewindpark Alpha Ventus mit realisiert und war bis Ende 2020 Managing Director der EWE Offshore Service & Solutions GmbH, EWE-OSS. Das ist sie auch weiterhin. Nur wurde die EWE-OSS in die Omexom Renewable Energies Offshore GmbH umfirmiert, nachdem Vinci Energies die EWE-Tochter übernommen und in Omexom integriert, der Marke für Infrastrukturen von Vinci Energies. ERNEUERBARE ENERGIEN sprach mit ihr über Märkte und Politik.

Frau Lucke, was ist die größte Herausforderung für den weiteren Offshore-Ausbau? 60 GW ist das neue Ziel.

Irina Lucke: Offshore wie Onshore gehört der Netzausbau zu den größten Herausforderungen. Gerade wurde von Tennet der Windstrom-Booster vorgestellt, ein Konzept, das auf vermaschten Gleichstromnetzen basiert. Das ist ein sehr guter Ansatz, der mehr Tempo bringt und dabei Gelegenheit bietet, Strom da hin zu leiten, wo er gebraucht wird. Ein weiteres Riesenthema ist die Flächenausweisung. Wir haben die Nutzungskonflikte, die intensiv diskutiert werden, wir brauchen gemeinsame Konzepte für den Arten- und Naturschutz. Ich hatte gerade das Vergnügen Karen Wiltshire vom Alfred-Wegener-Institut kennenzulernen, die mir bestätigt hat, dass wir mit unseren Interessen gar nicht weit auseinander sind. Nun müssen wir das Thema im nächsten Schritt gemeinsam anpacken.

Zum Netzausbau: Einige Projektierer würden sich hierzulande ein englisches System wünschen, in dem jeder Planer selbst für seinen Netzausbau verantwortlich ist.

Irina Lucke: Ich kann das englische nicht mit dem deutschen System vergleichen. Wir haben beim Offshore-Testfeld Alpha Ventus Anfang/Mitte der 2000er selbst angefangen, die Trasse zu planen. Daran werden sich nur wenige erinnern. Das war aufwändig, teuer und der Zeitplan wäre so nicht umsetzbar gewesen. Darum waren wir froh, dass der Vorgänger von Tennet, Transpower, das übernommen hat.

Beim Windstrom-Booster geht es darum, drei Offshore-Netzanschlusssysteme so miteinander zu vernetzen, dass sechs Gigawatt Leistung gebündelt werden können, und den Strom dahin zu lenken, wo er gebraucht wird. Der Strom vom Offshore-Windpark Riffgat geht nur nach Emden. Wenn ich aber die Chance habe, Strom auch umzuleiten an andere Anlandungspunkte, dann bin ich viel flexibler. Dann kann ich auch viel besser regulieren, was die Netzstabilität anbetrifft. Das Regulieren ist ureigenstes Interesse von Tennet, aber das ist auch clever und zukunftsträchtig.

Wie stehen die Chancen, dass dieses Ansinnen Gehör findet?

Irina Lucke: Offensichtlich sind es recht große Chancen. Die Umweltminister Olaf Lies aus Niedersachsen und Philipp Albrecht aus Schleswig-Holstein haben das Modell mit vorgestellt und tragen es mit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand etwas dagegen hat.

Kann das denn schnell umgesetzt werden?

Irina Lucke: Tennet spricht von drei Jahren Zeitgewinn durch dieses Konzept. Statt 2035 nun 2032.

Dann hatten Sie von Flächenkonkurrenz als Herausforderung gesprochen.

Irina Lucke: Ja, Nutzungskonflikte haben wir. Aber auch die Genehmigungsverfahren dauern noch viel zu lange. Seit 2006 werden die ersten Genehmigungen abgearbeitet. Wir haben bei Planern und Behören inzwischen so viel Erfahrungen, dass wir viel mehr Standards und Automatismen ermöglichen sollten. Bei einigen Projekten wird das Rad gefühlt immer wieder neu erfunden. Das sollte dringend geändert werden.

Die größte Herausforderung ist aber das generelle Umdenken. Der Ansatz von Tennet geht in die richtige Richtung. Energiewirtschaft ist kein regionales Thema, sondern ein globales. Wir müssen uns auf den europäischen Markt konzentrieren und entsprechend die Netze länderübergreifend verbinden. Wir benötigen ein europäisches Marktdesign, das klar und verständlich ist, damit über die Landesgrenzen hinaus investiert werden kann.

Momentan fährt Deutschland einen Sonderweg – und das auch noch in Schlangenlinien. Wir haben viel Kontakt zum europäischen Wettbewerb. Die fragen mich: Was macht ihr da? Ihr wart mal Vorreiter der Energiewende. Das Wort Energiewende ist ein deutsches Wort und wird auf der ganzen Welt verwendet. Aber momentan verlässt sich keiner auf das deutsche Vergütungssystem oder Marktdesign.

Die EU hat ja schon vor zehn Jahren darüber gestritten, welches Vergütungssystem nun einheitlich in Europa gelten sollte.

Irina Lucke: Erstmal muss ich aufzeigen, wie sicher das Geschäftsmodell ist. In den letzten 20 Jahren wurde das EEG circa zehnmal verändert. Aktuell haben wir haben ein Auktionssystem, das zwar einen Gebotspreis von Null Cent zulässt. Aber wenn zwei oder drei Planer auf eine Vergütung von null Cent geboten haben, entscheidet das Los. Da wird jeder Offshore-Entwickler sagen: Ich gebe doch nicht zwei oder drei Millionen Euro für die Vorentwicklung des Standorts aus, um nachher vor einem Losverfahren zu stehen.

Da gab es zum Beispiel den Vorschlag, Systemdienstleistungen einfließen zu lassen.

Irina Lucke: Es gab unterschiedliche Ansätze. Es gibt Energieversorger in Deutschland, die sagen, wir zahlen selbst drauf. Nur, wir reden über eine nachhaltige Energieversorgung und nicht über ein neues Produkt des Zeitgeistes.

Was würde es heißen, wenn man sich an die anderen europäischen Länder angleichen würde?

Irina Lucke: Ich persönlich befürworte sehr stark das CFD-Modell. Genauso wie PPAs. Nur bedarf es eines Systems, das klar ist und verlässlich ist.

Viele verstehen auch den Contract for Difference, also CFD, nicht…

Irina Lucke: Der ist einfach. Ich möchte vier Cent pro Kilowattstunde. Wenn der Strompreis 4,5 Cent bietet, muss ich 0,5 Cent zurückzahlen. Liegt er bei 3,5 Cent, dann bekomme ich 0,5 Cent. Ich habe immer eine rote Linie, und entweder ich bekomme etwas dazu, oder ich muss etwas zurückzahlen.

Warum wehrt sich die Regierung dagegen?

Irina Lucke: Die scheidende Regierung hat jetzt im Endspurt verstanden, dass das CFD-Modell sinnvoll ist. Die wollten den Wettbewerb noch mehr forcieren, um die EEG-Kassen endgültig zu entlasten und den Markt aufzufordern, mit eigenen Kräften, ein Vergütungssystem aufzubauen.

Das würde sich mit den PPAs jetzt anbahnen. Oder steht dem etwas im Weg?

Irina Lucke: Das ist ein gutes Instrument, aber da ist der Markt noch in der Entwicklung. Wir haben selbst im Haus einen PPA im Verhandlungsprozess. Bei diesen Stromlieferverträgen gibt es jede Menge Variablen. Wir wissen nicht, wie sich der Strompreis in Zukunft entwickelt. Damit beschäftigen sich ganze Think Tanks. Wir wissen nicht, wie und wann sich die CO2-Preise entwickeln und wie groß der Energiebedarf sein wird. Die einen sagen, dass wir gigantische Strommengen brauchen durch die Elektrifizierung und damit einen großen Markt für PPAs, die anderen sagen, die EE werden sich kannibalisieren, so dass der Markt zwar da ist, aber die Preise unattraktiv sein werden. Wir haben die sogenannten Herkunftsnachweise, deren Bepreisung sehr unterschiedlich ist. Und dann kommt noch die Besteuerung oben darauf. PPAs sind ein gutes Instrument, die Variablen bergen jedoch noch zu viel Unsicherheit. Es wäre meines Erachtens sinnvoll, zunächst eine systemverbindende Lösung in Form eines CFDs zu schaffen. Dass man sagen kann: Ich habe Planungssicherheit für alle, aber auch die Entscheidungsmöglichkeit, aus dem CFD rauszugehen. Es ist unser gemeinsames Interesse, keinen insolventen Offshore-Windpark zu sehen.

PPAs sind ja in vielen Ländern wie etwa USA längst Gang und Gäbe. Aber nicht für Offshore. Und dort wird es wahrscheinlich auch nicht die Unruhe bei den Energiepreisen gegeben haben.

Irina Lucke: Stromabrechnungen der Amerikaner und Engländer sind nicht so komplex wie unsere. Bei uns steht da: EEG-Umlage, Haftungsumlage, Steuer 1, Steuer 2, Steuer 3. Deshalb ist ein PPA in Deutschland nicht so ganz vergleichbar mit anderen Ländern. Wir brauchen noch Erfahrungswerte und eine klare rechtliche Einteilung. Wenn ich zum Beispiel real Strom liefere – etwa an eine Fabrik und dafür eine extra Leitung baue, entfallen die Netz-entgelte, EEG-Umlage, Haftungsentgelte. Unter den Begriff PPA würde aber auch ein virtueller PPA fallen. Ich habe einen Windpark, der beliefert bilanziell auf dem Papier eine Fabrik. Beide PPAs sind grundverschieden.

Mehr Risiko, bessere Verdienste.

Irina Lucke: Das ist die Denke des Windparkbetreibers, der Abnehmer denkt: Wie bekomme ich eine stabile Lieferung hin, damit ich meine Fabrik nicht stilllegen muss, wenn kein Wind weht. Ein PPA bedarf einer gewissen Intelligenz. Dass BASF in einen Vattenfall-Offshorepark Millionen investiert, ist ein guter Ansatz. Dennoch ist es vorerst nur ein Projekt. Das Ganze ist noch nicht reif, um das jetzige System abzulösen.

Muss die neue Bundesregierung neue Weichen stellen?

Irina Lucke: Definitiv. Erstmal muss sie einen Fahrplan entwickeln, der den gesamten Energiemix berücksichtigt. Und dann eine entsprechende Regulatorik schaffen. Bei Speichern fehlt zum Beispiel das Geschäftsmodell. Wenn ich Strom speichere, zahle ich Netzentgelte. Ziehe ich die Energie wieder raus, zahle ich wieder Netzentgelte. Das kann sich nicht rechnen. Da muss nachgebessert werden. Wir sehen die steigenden Energiekosten, die viele Gründe haben. Insbesondere muss die Besteuerung überprüft werden. Insgesamt wünsche ich mir, dass die Bundesregierung zur Macherin wird. Wir haben viele Ideen gesehen, aber auch viele Dinge, die die Erneuerbaren abgewürgt haben. Denken Sie an die Strompreisbremse.

Die hat vor allem die Erneuerbaren gebremst. Die ganzen Vorschläge zur Abschaffung von Netzentgelten für Speicher, die liegen dem Bundeswirtschaftsministerium seit Jahren vor.

Irina Lucke: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat eine Task Force vorgeschlagen, die fragen soll, wie erreichen wir die CO2-Neutralität 2045? Und welche Schritte müssen wir dafür gehen? Das ist ein einfacher, aber richtiger Ansatz. Hoffentlich vereint diese Task Force Experten. Kurzum: die Regierung muss handeln.

Irina Lucke hofft, dass die neue Regierung die gesetzlichen Hürden für Offshore aus dem Weg räumt.

Foto: Omexom

Irina Lucke hofft, dass die neue Regierung die gesetzlichen Hürden für Offshore aus dem Weg räumt.

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