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Verschobene Verabschiedung des EEG 21

Energiewende in der Klimafalle

Tilman Weber

Die Klimafalle hat zugeschnappt. Der Bundestag kann das novellierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in dieser Sitzungswoche nun doch noch nicht wie geplant verabschieden, weil der bisherige Entwurf selbst innerhalb der Regierungskoalition nicht annähernd konsensfähig ist. So kommt das geplante EEG 2021 erst in der zweiten oder dritten Dezemberwoche abschließend auf die Tagesordnung des deutschen Parlaments, damit sie gerade noch wie gewünscht zum Jahreswechsel in Kraft treten kann. Dabei ist die Verwirrung komplett: So ehrgeizige Klimaschutz-Zielsetzungen, so präzise Ausbauvorgaben für Erneuerbare-Energien-Anlagen, eine so breite (fast) ganzheitliche Herangehensweise an die Umgestaltung unserer Kohlendioxid speienden Volkswirtschaft gab es noch nie. Doch der aktuelle EEG-2021-Entwurf ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Energiewende in einem Wust vermeintlicher Weichenstellungen und zahlreicher Einzelregelungen einschnüren lässt.

"Komplexitätsfalle"

Das deutete beispielsweise am 18. November in der Sitzung des Wirtschafts- und Energieausschusses des Bundestages der Energiepolitik-Referent der Wirtschaftsorganisation DIHK an: Die Gesetzgeber seien in eine „Komplexitätsfalle“ geraten, sagte der DIHK-Experte Sebastian Bolay. Er verwies auf geplante widersprüchliche Regelungen bei der Photovoltaik (PV). Weil das EEG 21 gemäß dem bisherigen Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium die Bagatellgrenze für verpflichtende Ausschreibungen für neue PV-Anlagen auf Hausdächern auf nur ein Kilowatt Nennleistung setzen will, werde die PV-Anlage für Besitzer von Einfamilienhäusern zum unkalkulierbaren finanziellen Risiko. Und das EEG 21 erschwere gemischte Geschäftsmodelle für PV-Anlagen mit abwechselnder Einspeisung und Eigenversorgung.

Und der neue Chef des Stadtwerkeverbands VKU, Ingbert Liebing, kritisierte, dass das EEG 21 den Austausch alter Windenergieanlagen gegen neue viel leistungsfähigere Turbinen auf denselben Flächen aufgrund fehlender Ausweisung von Windkraft-Eignungszonen weitgehend blockieren wird.

Widersprüche als Prinzip des EEG 21

Dies sind nicht nur zwei von vielen sehr kritischen Expertenstimmen dieser Anhörung im Wirtschaftsausschuss. Es sind auch nur zwei von sehr vielen Punkten im EEG-Entwurf, die trotz schönster Zielsetzungen und zahlreicher neuer Regelungen mit beabsichtigter positiver Wirkung auf den Erneuerbaren-Ausbau seit Wochen zu Recht vielfaches Unwohlsein erzeugen. Der klaren Festsetzung jährlicher Ausbauziele für Windkraft- und PV-Anlagen stehen eben weiterhin ungeregelt lange Genehmigungsverfahren für neue Projekte sowie fehlende Verpflichtungen zur Ausweisung neuer Windkraftflächen entgegen. Und auch wenn die Regierung schon vorher gesetzlich geregelt hat, dass künftig sich der Emissionsrechte-Handel auf Energieverbrauchssegmente jenseits des Stromsektors wie Verkehr und Wärmeversorgung ausdehnen soll – das EEG 21 unterstützt das ganz und gar nicht. Zwar könnten die Erneuerbaren aufgrund ihrer geringeren Erzeugungskosten immer schneller sämtliche Energieerzeugung mit immer teureren CO2-Emissionen verdrängen lassen. Doch weil mit diesem wettbewerblichen Argument der freie Stromhandel im EEG 21 die Priorität über alles bekommt, sollen bei Negativpreisen an den Strombörsen künftig Erneuerbare-Energien-Einspeiser draufzahlen oder vom Netz gehen.

Den bei Erneuerbaren wetterabhängigen Stromerzeugungsüberschuss lässt die Politik so eben nicht durch weiterhin steuer- und abgabebelastete Anlagen zur Umwandlung von Grünstrom in andere Energieformen bewältigen. Sektorenkopplung mit Warmwasser- oder Wasserstoff-Erzeugung aus Grünstrom erhält zudem im neuen EEG nicht wesentlich mehr Unterstützung. Auch das noch stärkere Abschalten der konventionellen Kraftwerke bei Netzüberlastungen sieht die Regierung nicht vor. Sie überlässt die Regelung durch das EEG 21 einem vermeintlich freien Strommarkt.

Soweit sind die Widersprüche im EEG 21 längst identifiziert, ob durch energiewendefreundliche Politiker, Experten, Branchen- und Wirtschaftsverbände.

Logisches Ergebnis einer Deckmantelpolitik

Dabei ist das EEG 21 eben auch als logisches Ergebnis einer Klimafalle einzuordnen, in die sie die Politik ob absichtlich oder aus Scheu vor unbequemen Entscheidungen manövriert hat. Klimaschutz über alles, ein CO2-Handel als oberste Prämisse, Kostensenkungen beim Grünstrom zur breiten marktwirtschaftlichen Durchsetzung gegen alle andere Energieformen scheinen folgerichtig. Doch die Bekenntnisse zur weltweiten Begrenzung der Klimaerwärmung auf einen mittleren globalen Temperaturanstieg von am besten 1,5 Grad Celsius der UN-Klimakonferenz von Paris im Jahr 2015 nutzen zu viele als hübscher Deckmantel. Unter diesem können viele Staaten, Politiker und teils sehr mächtige Interessensgruppen ihre entgegen gesetzten Absichten derzeit offenbar gut verbergen.

New Deal der EU - hin zu Atomkraft?

Es sei hier kurz auf den New Deal der Europäischen Union (EU) verwiesen. Die deutsche Präsidentin der Europäischen Kommission, der obersten Verwaltungsbehörde der EU also, hat den New Deal erfolgreich als Leuchtstern für den EU-weiten Klimaschutz gesetzt. Doch scheint die von Ursula von der Leyen beförderte Aussicht auf die Reduktion der CO2-Emissionen um 50 oder gar 55 und vielleicht sogar 65 Prozent bis 2030 und hin zur Klimaneutralität im Jahr 2050 plötzlich all die schon durch europäischen Konsens eigentlich verschlossenen Sackgassen wieder zu öffnen: Das Geo-Engineering – die nachträgliche Reinigung der Luft von Klimaschadstoffen bei kaum verminderten Emissionen. Die Atomkraft – als Co2-freie Stromerzeugung mit dennoch stark umweltschädlichem radioaktivem Müll und großen Havariegefahren. Die Auslagerung der Energiewende in wirtschaftlich abhängige Nachbarregionen wie Nordafrika oder Westasien.

So erzeugte der aktuelle Plan der polnischen Regierung, Kohlenstoffneutralität mit dem Umstieg auf Windstromerzeugung im Meer und auf die Kernkraft im großen Stil zu schaffen, kaum Resonanz. Auch der nächste US-Präsident Joe Biden wird uns unwidersprochen als Hoffnungsträger verkauft, weil er die USA dem Pariser Klimavertrag wieder beitreten lassen will. Doch das lässt außer Acht, dass er die Förderung von Öl- und Gas durch besonders umweltschädliches und Naturraum verbrauchendes Fracking oder von Kohle nicht stoppen will – und vor allem den Bau vieler neuer kleiner Atomkraftwerke konventionelle Energieerzeugung plant: Die Mini-AKW sollen diese so offenbar kompatibel für die Zukunft machen.

Fluchtwege aus der Energiewende weit offen

Während die Grünen mit lauten Verweisen auf Klimaschutz die Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu verhindern suchen, lassen sie Fluchtwege aus der Energiewende sperrangelweit offen: Dazu gehören das Ausweichen auf emissionsmindernde Energieprojekte außerhalb der EU (Beispiel Wüstenprojekt Desertec) oder Wasserstoff- und Elektromobilitätsoffensiven bei Beibehaltung des für die Umwelt katastrophalen ungebremsten Individualverkehrs. Auch die von Klimaschützern inzwischen vielgerühmte Digitalisierung ist so ein klimapolitisches Ausweichfeld, das in dieselbe Falle führt.

Es geht nur so

Energiewende und damit echter Umwelt- und Klimaschutz wird aber nicht billiger oder einfacher funktionieren als so: Wer glaubt, der Markt könne die Energiewende alleine zum Erfolg der Energiewende führen, sollte sich zur kompletten Marktfreiheit bei gleichen Voraussetzungen für die Erneuerbaren und konventionelle Kraftwerke bekennen. Dann fallen komplizierte Anwohnerschutz- und Vogelschutzregeln gleichermaßen weg, wie Schutzregeln vor negativen Strompreisen für konventionelle Kraftwerke, die ihre Energie in langfristigen Lieferverträgen schon vorher verkauft haben. Auch der Schutz der Stadtwerke oder der großen Energiekonzerne vor einer zu schnellen Verabschiedung der Stromkunden in die Eigenerzeugung muss dann ganz unterbleiben. Wer andererseits glaubt, die Energiewende benötigt eine Regulierung gemäß einem Fahrplan, muss Atomkraft, Geoengineering, Energiewende-Outsourcing und ungebremste Ausweitung des Energieverbrauchs blockieren. Und ohne breitere dezentrale Verteilung der Energieerzeugung auf mehr Beteiligte verliert die Energiewende ohnehin Akzeptanz.

Sonst ist da keine Energiewende mehr - und wahrscheinlich auch kein Klimaschutz.

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