Der Solardeckel ist gefallen. Damit hat die Branche ein Stück Planungssicherheit zurückgewonnen. Welche Auswirkungen wird das auf den Zubau im kommenden Jahr haben – mit welchem Marktwachstum rechnen Sie im kommenden Jahr?
Carsten Körnig: Einen massiven Markteinbruch bei Solardächern kann der BSW durch Beseitigung des 52-Gigawatt-Deckels in letzter Minute hoffentlich abwehren. Auch durch die Realisierung erster Solarparks aus den Sonderausschreibungen wird sich der deutsche Photovoltaikmarkt 2020 voraussichtlich weiterhin positiv entwickeln. Sprünge im klimapolitisch notwendigen Umfang sind aber nicht zu erwarten. Schließlich ist der 52-Gigawatt-Deckel nur eine von mehreren Hürden, die den Ausbau der Photovoltaik noch immer massiv behindern.
Welche Baustellen administrativer Art sind mit Blick auf den Photovoltaikzubau noch vorhanden?
Wir werden uns 2020 mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Ausbauziele für Solartechnik deutlich nach oben korrigiert werden, um eine Erzeugungslücke infolge des Atom- und Kohleausstiegs zu vermeiden und die weit klaffende Klimaschutzlücke in den 20er Jahren zu schließen. In einem ersten Schritt muss das im Klimaschutzprogramm fixierte 100-Gigawatt-Ausbauziel für Photovoltaik nun schnell zu einer Aufstockung der Ausbaukorridore und Auktionsvolumen im EEG führen. Diese Zielmarke darf nicht erst 2030 erreicht werden. Wir müssen sie bereits in der Hälfte der Zeit erreichen!
Was ist noch notwendig?
Zudem macht die EEG-Umlage auf selbstverbrauchten Solarstrom viele Geschäftsmodelle unnötig teuer und kompliziert. Und schließlich hindert ein völlig übertriebenes Standortkorsett viele Investoren daran, ihre geplanten Solarparks umzusetzen. Daneben gibt es viele weitere Baustellen, die den Betrieb einer Solarstromanlage und den netzfreundlichen Vorortverbrauch nicht gerade vereinfachen, zum Beispiel beim Mieterstrom oder bei der solaren Direktversorgung.
Das sind ja viele Hürden. Aber trotzdem hat der Zubau wieder ein bisschen an Fahrt aufgenommen. Doch um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss der Ausbau schneller gehen. Welche Hürden sehen Sie – jenseits der administrativen Rahmenbedingungen – für die Branche und welche Möglichkeiten sehen Sie, den Zubau zu beschleunigen?
Die Branche hat in den vergangenen Jahren Außergewöhnliches geleistet. Solarstrom ist heutzutage günstiger als Strom aus jeder anderen Energiequelle und im Kraftwerksmaßstab wettbewerbsfähig. Unser BSW-Geschäftsklimaindex zeigt, dass die Unternehmen äußerst zuversichtlich und hoch motiviert sind – doch sie agieren nicht im luftleeren Raum. In einem stark regulierten Markt wie der Energieerzeugung werden die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen immer eine zentrale Rolle spielen. Unsere Aufgabe besteht darin, für faire Spielregeln im Solar- und Speichermarkt zu sorgen, damit sich förderfreie Geschäftsmodelle zum Beispiel mittels Stromlieferverträge (PPA) möglichst schnell durchsetzen können. Wir versuchen, staatliche Eingriffe auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren, unnötige Marktbarrieren abzubauen und so Investitionsrisiken zu verringern.
Die ersten Städte und Bundesländer habe eine Solarpflicht eingeführt oder wollen dies tun. Unterstützen Sie die Einführung einer solchen Pflicht bundesweit und welche Vorteile und welche Risiken sehen Sie dabei?
Eine Solarpflicht führt sicher dazu, dass in einzelnen Bereichen mehr Photovoltaikanlagen gebaut werden. Sie garantiert aber nicht, dass für jedes Gebäude, für jedes Grundstück auch die beste Lösung gefunden wird. Wichtiger als eine Pflicht erscheint uns, dass die oben angesprochenen politischen Hürden fallen. Vorrangiges Ziel sollte es sein, private und professionelle Investoren dazu zu bewegen, allein schon aus wirtschaftlichen Gründen noch mehr Photovoltaikanlagen zu errichten und je nach baulicher Situation und Strombedarf die besten individuellen Lösungen umzusetzen. Schließlich ist die Photovoltaik äußerst beliebt und akzeptiert, was durch die Einführung von Pflichten nicht unbedingt befördert wird. Statt einer Pflicht für Solaranlagen auf Bundesebene plädieren wir eher dafür, bei klimaschädlichen Energiequellen ordnungsrechtlich aktiv zu werden und die Folgekosten fossiler Energieträger diesen endlich in vollem Umfang in Rechnung zu stellen.
Wann wird eine Pflicht aber relevant?
Funktioniert das weiterhin nicht, so dürfen Baupflichten aber auch auf Bundesebene kein Tabu sein. Für diesen Fall empfiehlt sich ein gestuftes Vorgehen: Im ersten Schritt sollte der Staat vorangehen. Bund und Länder müssen sicherstellen, dass Neubauten obligatorisch mit Photovoltaikdachanlagen in ausreichender Größe errichtet und mit Speichern ausgerüstet werden. Parallel sollte die Baugesetzgebung in jedem Fall so angepasst werden, dass Neubaugebiete die Ausrichtung der Neubauten auf die Sonneneinstrahlung bei der Planung berücksichtigen. Der rechtliche Rahmen für große Gebäude, insbesondere Gewerbehallen ist so zu entwickeln, dass die Statik geeignet ist, Photovoltaikanlagen aufzunehmen. Eine Baupflicht bei allen Neubauten, wie sie im Wärmebereich auf maßgebliches Betreiben vom BSW seit zehn Jahren bereits vorgesehen ist, sollte Mitte der 20er Jahre kommen, wenn der Markt bis dahin nicht die notwendige Fahrt aufgenommen hat und alle anderen Register zu seiner Beschleunigung weiter klemmen oder aber nicht die gewünschte Wirkung erzielen.
Derzeit wird diskutiert, dass der Fachkräftemangel das Nadelöhr bei Ausbau der Photovoltaik ist. Welche Rückmeldungen bekommen Sie dazu als Verband aus der Branche?
Der Fachkräftemangel macht sich auch in der Solarbranche bemerkbar. Auch sind die Nachwehen der harten politischen Einschnitte mit dem Verlust zehntausender Arbeitsplätze noch immer zu spüren. Für viele unserer Mitgliedsunternehmen sind jedoch die ungünstigen politischen Rahmenbedingungen das entscheidende Nadelöhr.
Mit welchen Strategien oder Möglichkeiten reagiert die Branche darauf?
Im Wettbewerb um begehrte Nachwuchskräfte hat die Photovoltaikbranche vergleichsweise gute Karten, schließlich steht sie wie kaum eine andere für die auch von vielen jungen Menschen geforderte ökologische Transformation. Wir sind zuversichtlich, die Personalkapazitäten in relativ kurzer Zeit erhöhen zu können, wenn die Politik für stabile Investitionsbedingungen sorgt und keinerlei Zweifel mehr an der Ernsthaftigkeit ihrer Klimapolitik aufkommen lässt. Helfen würde aber sicherlich auch eine Imagekampagne, die mehr jungen Menschen die Attraktivität des Berufsfeldes vor Augen führt. Auch eine gezielte Anwerbung und Qualifizierung von Fachkräften aus dem Ausland kann helfen, Engpässe abzubauen. Die hoffentlich schnelle Umsetzung der Regelungen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes verspricht ebenfalls Linderung. Bei der Umsetzung sollte beruflich qualifizierten Einwanderungswilligen ebenso attraktive Bedingungen geschaffen werden, wie sie im Bereich Studierender mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst bereits bestehen.