Tilman Weber
Die Regierungsbildungen in Deutschland werden schwieriger, das ist keine Frage. Das belegt nicht nur das Ergebnis des Urnengangs in Thüringen vom Sonntag. Zwei Mal Kenia und einmal Minderheitsregierung durch die Linkspartei könnten die Folge der drei Landtagswahlen in Ostdeutschland in diesem Jahr sein. Das verkompliziert auch das Aushandeln und Durchsetzen wichtiger politischer Weichenstellungen. Denn beide derzeit denkbaren Varianten der Regierungsbildung sind in Deutschland bisher unerprobt. Und ob eine schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen jeweils in Brandenburg und Sachsen oder eine dunkelrote Alleinregierung durch Die Linke mittels schwarzer Tolerierung durch die CDU: Egal wer künftig hier regiert, muss große Interessengegensätze überbrücken.
Für die Energiewende verheißt dies zunächst leider – wie so oft derzeit und wieder einmal – wenig neuen Fortschritt. Dabei könnten die Wahlergebnisse schlechter sein: In allen drei Wahlkämpfen spielte die Energiepolitik eine große Rolle. Der von der Bundesregierung angekündigte Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2038 hat Auswirkungen für alle drei Bundesländer, die Braunkohletagebaue unterhalten. Der Ausbau erneuerbarer Energien könnte zu großen neuen Windturbinenbeständen und Anlagenfelder der Photovoltaik (PV) führen. Und auffälligerweise müssen nun in allen drei Bundesländern diejenigen Parteien ihre ausgebliebenen Erfolge bilanzieren, die durch lautstarkes Stimmung machen gegen die Energiewende für sich Punkte erzielen wollten. Die Anti-Windkraft- und Pro-Kohle-Wahlkämpfe waren erfolglos.
Denn tatsächlich darf es eine kluge Analyse des Wahlergebnisses aus Sicht der Erneuerbaren-Branche beim oberflächlichen Eindruck nicht belassen, den ein erster Blick auf die hohen Stimmungszugewinne der energiewendefeindlichen AFD hinterlassen. Beim tieferen zweiten Blick fällt auf: Die genauso eindeutig energiewendefeindliche und kohlefreundliche FDP ist in Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und zieht nicht in die Landtage ein. In Thüringen geben ihr gerade einmal fünf Stimmen über dem Limit die Legitimation, künftig landespolitisch mitzumischen. Wo die CDU sich wie in Thüringen und Brandenburg deutlich gegen den Windkraftausbau positioniert hatte, hatten die Christdemokraten mit Verlusten von jeweils gut einem Drittel ihres Stimmenanteils eine krachende Niederlage einräumen müssen. In Sachsen hatte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer wenn auch nur vorsichtig von der bisherigen Totalverweigerung bei Kohleausstieg und Windkraftausbau sanft zurückgezogen – eine sanfte Umkehr angedeutet. Er verlor mit rund sechs Prozentpunkten nur rund ein Sechstel des bisherigen CDU-Anteils an den Wählerstimmen. Dagegen gewann die Umwelt- und Klimaschutzpartei Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen und in Brandenburg deutlich dazu, wenngleich etwas unterhalb der Umfragewerte. Die Belohnung wird vermutlich eine Beteiligung an den ersten beiden Kenia-Regierungen in Deutschland sein – und jeweils ein Neueintritt in die Regierungsverantwortung.
Und um schließlich noch die Wahlsiege von SPD und Die Linke in Brandenburg und Thüringen im Sinne der Energiewende zu bewerten: Die Sozialdemokraten verloren ebenfalls vergleichsweise glimpflich mit knapp sechs Prozentpunkten – angesichts ihrer Politik, offiziell an Energiewende und Klimapolitik festzuhalten und bei Windkraft und Kohle-Ausstieg leise auf die Bremse zu treten. Die Linke hatte hingegen über die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen bisher am Ziel schneller Energiewende-Reformen festgehalten – und bei der Landtagswahl sogar leicht hinzugewonnen.
Blieben noch die Wahlerfolge der AFD. Die rechtspopulistische Partei ist ebenso „anti“ bei Klimaschutz und Energiewende wie die FDP, wenngleich verbal noch einmal schriller. Doch dürfte bei ihr noch mehr als bei allen anderen Parteien in diesen drei Wahlen gelten: Natürlich bestimmten viele andere Themen über die Erfolge und Misserfolge der Wahlkämpfer mit. Insbesondere aber die AFD hat die Wahlen nach übereinstimmender Meinung der politischen Beobachter damit gewonnen, die einzige Oppositionspartei gegen weite Bereiche der herrschenden Politik zu sein: Gegen die Außen- und Europa-, gegen die aktuelle Finanz-, gegen die Immigrations- und gegen die Minderheitenpolitik. Das lässt sie weiter deutlich hinzugewinnen. In der Oppositionsrolle gegen die Energiewende ist sie hingegen keineswegs allein: Die vertraten nicht nur in den Landtagswahlkämpfen auch andere Parteien. Die Anti-Energiewendepolitik ist vielmehr auch in der Bundesregierung eine von wichtigen Teilen der Regierungsparteien verfolgte Linie.
Doch die bisherigen Gespräche zur Regierungsbildung in Sachsen und Brandenburg verheißen für die Energiewende dennoch keine Fortschritte. So kritisiert der Bundesverband Windenergie das Ergebnis der Sondierung in Brandenburg: Mehr als ein Bekenntnis zu einem Ausbau der Windkraft mit jährlich rund 300 Megawatt (MW) bis 2030 sei kaum herausgekommen. Die drei Verhandlungspartner würden mit keinem Wort bestimmen, wie sie denn den bereits eingebrochenen Windenergieausbau wieder beschleunigen wollten, kritisiert der BWE richtigerweise. Umso konkreter ist die Vorgabe, den Abstand des Ausbaus zu Wohnsiedlungen erstmals auf 1.000 Meter festzulegen.
Das Ergebnis der Wahl zeigt aber vor allem eines: Die Leisetreterei beim Thema Klimawandel aller Pro-Energiewende-Parteien – aus Angst vor noch größeren Wahlerfolgen der AFD – hat diesen nicht die benötigten Stimmzuwächse gebracht. Vielleicht haben sie durch die leiseren Töne ein paar skeptischen Wähler weniger abgeschreckt, als befürchtet. Doch durch zu wenig Klarheit in den Visionen und in den anschließenden Koalitionssondierungen gewinnen sie auch nichts dazu. Da nutzt dann offenbar auch keine erstmalige Beteiligung der Klimaschutzpartei die Grünen etwas. Zur Erinnerung: Der vereinbarte Ausbau der Windenergie binnen der nächsten zehn Jahr bis 2030 um ein weiteres Drittel auf dann 10,5 Gigawatt bestätigt auch nur, was die rot-rote Vorgängerregierung schon plante.