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Kommentar

Die Wahrheit über Sigmar Gabriel und Tönnies

Nicole Weinhold

Das war jetzt wieder ein Aufreger: Der Sigmar Gabriel, vorübergehender Hoffnungsträger der SPD, hatte über drei Monate einen Beratervertrag bei Tönnies, dem Fleischverarbeitungsbetrieb, der zulässt, dass rumänische Hilfsarbeiter wie Sklaven zusammengepfercht werden und deshalb Covid-19 bekommen. Die 55.000 Schweine, die dort täglich geschlachtet werden, sowieso.

Wir haben es hier mit zwei Phänomenen zu tun: die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft auf der einen Seite. Und eine Landwirtschafts-Industrie, die zu den größten Klimaschädigern Deutschlands gehört, auf der anderen Seite. Beides ist nicht neu, sondern seit Jahrzehnten Gang und Gebe. Kein Wunder: Nach jedem Skandal gibt es eine kleine Aufregung und Empörung. Und dann läuft alles weiter wie zuvor. Landwirtschaftsministerin Klöckner schimpft ein bisschen mit den Fleischkonzernen - und die beteuern ihrerseits, dass sich nun alles grundlegend ändern werden. Dann wächst Gras über die Sache.

Bauern in der Union

Ich lese gerade das empfehlenswerte Buch Die Klimaschmutzlobby von Susanne Götze und Annika Joeres. Sie verweisen auf weit engere Beziehungen als die zwischen Gabriel und Tönnies: "In der an Bauern besonders reichen CDU/CSU-Fraktion sitzen vornehmilich Landwirte mit Hunderten von Hektar Land oder Hunderten von Tieren(...). Von den Mitgliedern im Agrarausschuss der Bundestages der CDU/CSU-Fraktion haben 85 Prozent einen direkten Bezug zur Land- und Agararwirtschaft, also etwa zu Düngeherstellern oder Fleischproduzenten." (...) "Über die Hälfte der CDU-Mitglieder im Agrarausschuss des Bundestages hatte 2018 zugliech ein Amt beim Bauernverband inne. Ohne größere öffentliche Kritik über offentliche Interessenkonflikte konnten sie im Bundestag und im Europäischen Parlament Platz nehmen."(...) Die Liste an Landwirten an den Schaltstellen der Macht sei noch langer: Ein Beispiel sei Peter Bleser (CDU). "Der Bauer war im Kuratorium der Heinz-Lohmann-Stiftung, die vom größten deutschen Hähnchenmäster PHW mit der Markte Wiesenhof gegründet wurde. Zugleich war er zehn Jahre lang Vorsitzender im CDU-Bundesfachausschuss Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und anschließend sieben Jahre lang Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium; Franz-Josef Holzenkamp ist Landwirt in der Schweinehochburg Vechta-Cloppenburg und Chef des Raiffeisenverbandes - ein Megaverband von Agrarunternehmen. Er war bis 2017 Vorsitzender der Arbeitgruppe Ernährung und Landwirtschaft und Obmann im Agrarausschuss der CDU-Fraktion."

Im Landwirtschaftsverband und gleichzeitig im Landwirtschaftsausschuss der CDU

Weitere Beispiele folgen, etwa Johannes Röring, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes und CDU-Bundestagsabgeordneter. Er sitzt im Präsidium des Bauernverbandes, ist Chef eines Schweinemastbetriebes und einer Düngemittelfirma - und er sitzt im Landwirtschaftsausschuss der CDU, verfügt also über Informationen über geplante Gesetzesänderungen etc. Er wird zitiert mit dem Hinweis darauf, dass eine Rückkehrmöglichkeit in einen Beruf die Unabhängigkeit von Abgeordneten gewährleiste. Er ist also offenbar anders als Sigmar Gabriel - nicht auf Beraterverträge nach Ende der Politikkarriere angewiesen. Wie wir sehen, ist die direkte Nähe - gleichzeitig im Lobbyverbands-Präsidium und im passenden Politikausschuss - doch noch Besorgnis erregender als Gabriels Berater-Job. Das wäre etwa so, als würden im Energieausschuss der Bundesregierung statt Joachim Pfeiffer und Co. nun Hermann Albers, Chef des Bundesverbands Windenergie, Simone Peter, Chefin des Bundesverbands Erneuerbare Energie, Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig und einige andere führende Leute aus der Regenerativbranche.

Was das Thema Klimaschutz in der Landwirtschaft anbelangt, so gibt es seit Jahren die Forderung, die EU-Subventionen für die Landwirtschaft so zu verändern, dass kleine Ökohöfe gefördert werden und nicht wie seit Jahren der Betrieb die meisten Subventionen bekommt, der am größten ist. Und zum Thema Fleisch: Laut Umweltbundesamt kann eine vegetarische Ernährung den CO2-Ausstoß in der Landwirtschaft um 1/3 senken, vegane Ernährung sogar um die Hälfte. Gleichzeitig würde das Grundwasser nicht weiter mit nitrathaltigen Abfällen aus der Tierhaltung verseucht. Alles in allem müsste die Regierung endlich handeln, zum Beispiel durch einen CO2-Preis für Tierprodukte. Und wenn sie nicht handelt und nur redet, dann sollte sich nicht wiedergewählt werden.

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