Jochen Bettzieche
Gewehrsalven krachten. Trompeten schmetterten. Trommelschläge ertönten. Das österreichische Bundesland Tirol empfing am 3. April die Teilnehmer der XV. Alpenkonferenz vor der Hofburg in Innsbruck, bevor diese zum Festakt ins Innere des Gebäudes strömten und bei alpinen Spezialitäten wie mariniertem Graukäse, Kaspressknödeln, Almrindstreifen und Kaiserschmarrn Ideen austauschten, Kontakte knüpften und Bekanntschaften pflegten. Und um über das Ergebnis der Alpenkonferenz zu sprechen, die Deklaration von Innsbruck. In dieser Deklaration verpflichten sich die Mitglieder der Alpenkonvention auf ein Ziel für die Gebirgskette: Klimaneutralität und Klimaresilienz bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Ein wichtiger Punkt dabei sind Maßnahmen im energetischen Bereich. Die Alpenkonvention ist ein internationales Abkommen zwischen den Alpenländern Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Schweiz, Slowenien und der EU. In der Deklaration von Innsbruck steht unter anderem die Forderung an alle Vertragsparteien, „dem Alpenraum im Rahmen ihrer jeweiligen Klimastrategien und Aktionspläne auf allen relevanten Ebenen Priorität einzuräumen“. Tatsächlich besteht dringender Handlungsbedarf. Denn die Gebirgskette hat die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens bereits deutlich verfehlt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben die Temperaturen in den Bergen um mehr als zwei Grad Celsius zugelegt. Die Folgen des Klimawandels schreiten hier doppelt so schnell voran wie im Durchschnitt der nördlichen Hemisphäre. Um die Region klimaneutral zu gestalten, hat die Alpenkonvention zahlreiche Klimaziele erarbeitet. Darin heißt es unter anderem: „Das Potenzial erneuerbarer Energien zur Deckung des Bedarfs an Strom, Heizung und Mobilität wird im Alpenraum voll ausgeschöpft.“ Kohlekraftwerke hingegen sollen bis 2030 stillgelegt werden, Gaskraftwerke sind nur noch als Reserve erlaubt. Ein ehrgeiziger Plan. Geothermie, Solarstrom und Windkraft allein werden den Strombedarf der Alpen nicht decken. „Wenn wir auf fossile Energien verzichten wollen, um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir auch den ökologischen Ausbau der Wasserkraft“, fordert Ingrid Felipe, Grünenpolitikerin und Stellvertreterin des Landeshauptmanns von Tirol und in der Landesregierung unter anderem zuständig für Umwelt- und Klimaschutz. Österreichs Strommix ist ohnehin vergleichsweise sauber mit einem Anteil von 75 Prozent erneuerbarer Energien. „Wir haben uns verpflichtet, bis 2030 bei 100 Prozent zu sein“, gibt Umweltministerin Elisabeth Köstinger das Ziel vor.
Wird Atomstrom zugelassen sein?
Noch off en ist, ob Atomstrom in den Netzen zugelassen sein wird. Während Deutschlands Umweltministerin Svenja Schulze das ausschließt, reagiert ihre französische Kollegin Brune Poirson auf Fragen deutlich zurückhaltender und verweist auf die derzeitigen Pläne Frankreichs, einen Teil der Atomkraftwerke stillzulegen. Auch die Slowenen wollen ihr Atomkraftwerk eigentlich ausbauen, ein Vorhaben, gegen das sich die Österreicher klar aussprechen. Poirson erklärt aber auch: „Wir haben ein klares Ziel in Frankreich, das ist die massive Entwicklung erneuerbarer Energien.“ Damit die Bevölkerung mitzieht, sieht die Deklaration von Innsbruck vor, sie stärker an der Entwicklung zu beteiligen – von der Planung bis zur Finanzierung. „Energiedemokratie“ nennen das die Verfasser des Werks. Auch soll die Versorgung dezentraler werden, eine Forderung, die den erneuerbaren Energien zugutekommt. Das hat aber nicht nur mit dem Ziel Klimaneutralität sondern auch mit der Klimaresilienz zu tun. Denn der Klimawandel bringt die Berge in Bewegung. Permafrost taut auf. Erdrutsche und Murenabgänge bedrohen die Infrastruktur. Ein dezentraler Ansatz mit Speichern und intelligenten Netzen soll hier die Versorgungssicherheit erhöhen.
Energieeffizienz in Gebäuden
Eine weitere wichtige Forderung der Deklaration: Energieeffizienz. Besonders den Gebäudebestand haben die Vertragspartner im Fokus. Lokale, nachhaltige Baustoffe wie Holz sowie passive Heizung und Kühlung sollen hier helfen, das Ziel zu erreichen. Eine Herausforderung ist der Verkehr. Für 2050 geben die Vertragspartner ein weiteres ehrgeiziges Ziel vor: „Die Fahrzeugflotte für den Straßenverkehr ist dank Elektromobilität und anderer alternativer Antriebe CO2-frei.“ Das gilt für schwere Nutzfahrzeuge genau so wie für Pkw. Damit das funktioniert, müssen in der gesamten Region ausreichend Ladestationen installiert werden. „Wir müssen die Auswirkungen des Verkehrs auf ein erträgliches Maß senken“, sagte der scheidende Generalsekretär der Alpenkonvention, Markus Reiterer, in Innsbruck. Allerdings werden bei diesem Themenkomplex unterschiedliche Sichtweisen der Mitgliedsländer der Alpenkonvention deutlich. Österreich, das als Transitland unter der Belastung insbesondere des Verkehrs über den Brennerpass leidet, geht es nicht schnell genug. Unter der Hand klagt so mancher Österreicher auf dem Empfang, Deutschland und Italien sei das Thema wenn nicht egal so doch nicht wichtig genug. „Es wird Zeit, dass sich die Nachbarn bewegen“, fordert Tirols Landeshauptmann Günther Platter.
Berechnung der Klimaneutralität
Bei allen guten Ideen und Ansätzen, auf den wichtigsten Punkt legen sich die Teilnehmer der Konferenz bislang nicht fest: die Berechnung der Klimaneutralität. Während Beobachter von Nichtregierungsorganisationen und Partnern das durchaus interessiert, geben sich die Staaten zurückhaltend. „Die Umsetzungsmaßnahmen sowie das Monitoring werden wir erst in einem nächsten Schritt diskutieren“, erklärt Silvia Jost, Leiterin Internationales beim Schweizer Bundesamt für Raumentwicklung, und mit der Schweizer Delegation in Innsbruck. Eine klare Absage kommt aus dem deutschen Umweltministerium. „Nicht vorgesehen ist eine Bilanzierung der Treibhausgas-Emissionen“, sagt Martin Waldhausen, Referatsleiter Klimaschutz und Energieeffizienz. Denn es ist nicht klar, ob die Emissionen, die beim Transport von Gemüse von Sizilien nach Frankfurt über den Brenner zum Teil Österreich gehören oder nur Italien oder Deutschland. Oder ob die Emissionen der Schiff e der Reederei Mediterranean Shipping Company, der nach eigenen Angaben zweitgrößten Containerreederei der Welt mit Sitz in Genf, der Schweiz zugeschlagen werden. Beispiele und Unklarheiten gibt es viele. Und das lässt viel Spielraum bei der Berechnung, um im Jahr 2050 zu sagen, das Ziel Klimaneutralität sei erreicht worden.
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