Als Robert Habeck bei der ersten Lesung der von seinem Ministerium angeschobenen drei Sammelnovellen ans Rednerpult im Bundestag tritt, benötigt er knapp zwei Minuten für die Beschreibung außenpolitischer Konflikte als Rahmenbedingung der Reformen. Nach fast einem Drittel seiner Redezeit spricht er noch ein wenig vom Osterpaket. Es sei „die größte Energiemarktreform seit Jahren – ich würde sagen: seit Jahrzehnten“. Aus dem sehr umfangreichen Osterpaket, das der Bundeswirtschaftsminister schon Anfang April als erstes Reformpaket mit 500 Seiten vorgestellt hatte, hatte die Bundesregierung zur Debatte am 12. Mai drei ebenfalls umfangreiche Gesetzesbündel eingebracht: Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die Offshore-Windenergie-Reform und die Reform zum Stromnetzausbau mitsamt Verbraucherschutz vor der Marktmacht der Energieversorger.
„Damit ist das Startsignal für den Turboausbau da“, sagt Minuten später Habecks Parteifreundin Julia Verlinden, Energiewendeexpertin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Worum es geht, hat davor der Minister mit seinem Verweis auf den Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine verdeutlicht und auf die sich rasant vollziehende Abnabelung von Russlands Rohstofflieferungen. Die Novellen des Osterpakets und eines zur Vorlage im Juli vorgesehenen Sommerpakets sollen die Energiewende daher nicht nur besonders kräftig, sondern auch besonders schnell ausfallen lassen.
Das belegt der im Bundestag gelesene Regierungsentwurf, der manche Ziele und Instrumente im Vergleich zu den ersten Referentenentwürfen der Novellen aus dem März noch verschärft. So sieht der Gesetzentwurf wie schon der Referentenentwurf des Ministeriums eine fast klimaneutrale Stromerzeugung 2035 vor sowie einen Anteil von 80 Prozent Erneuerbaren-Strom im Netz im Jahr 2030. Bisher zielt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf die Klimaneutralität der Stromversorgung lediglich „vor dem Jahr 2050“. Im neuen Entwurf rechnet die Regierung zudem mit einem Anstieg des Stromverbrauchs von heute 560 auf 750 Terawattstunden (TWh) durch Elektromobilität, Digitalisierung und synthetische Erzeugung von grünem Wasserstoff als emissionsfreiem Energieträger. Die Grünstromerzeugung muss demnach 2030 schon 600 TWh erreichen, nochmals 28 TWh mehr als im Referentenentwurf vorgegeben.
Onshore-Windenergie braucht Schnellstart
Auch wenn die Bundesregierung die Photovoltaik (PV) am stärksten ausbauen will: Am schnellsten muss es zunächst bei Windenergie an Land vorangehen. Für beide Technologien ist eine zügige Verdreifachung des jährlichen Zubaus von 2022 vorgesehen, die bei PV mit 22 Gigawatt (GW) im Jahr 2026, bei Onshore-Windenergie mit 10 GW aber schon 2025 erreicht sein soll. Um schnell auf Touren zu kommen, steht 2023 ein einmaliges Rekordausschreibungsvolumen von 12,84 GW Onshore-Wind-energie an, danach sind jährlich 10 GW geplant – zu regelmäßigen Terminen immer am jeweils ersten Februar, Mai, August und November.
Nachgebessert hat die Regierung auch bei den zulässigen Höchstgeboten der Tender. Für Einspeisetarife von bis zu 5,88 Cent pro Kilowattstunde (kWh) dürfen die Windparkprojektierer nun nicht nur in diesem Jahr, sondern auch noch in den kommenden beiden Jahren ihre Einspeisung anbieten. 2021 hatte das Höchstgebotslimit 6,0 Cent betragen. Erst 2025 würde die Degression wieder eintreten, mit der das EEG die Kostensenkungen durch technologischen Fortschritt in den Wettbewerb einpreist. Berlin will so darauf reagieren, dass „die Kostenpositionen für die Anlagen derzeit aufgrund von Kostensteigerungen, Inflation und Lieferkettenschwierigkeiten steigen“, wie es in den erklärenden Textabschnitten heißt. Wie schon im Referentenentwurf vom März erlaubt eine zusätzliche Verordnungsermächtigung, die Höchstwerte bei unvorhergesehenen Marktentwicklungen sogar nach oben zu korrigieren. Ursachen für diese Probleme sind der Krieg in der Ukraine – mitsamt Stopp von Rohstoffimporten zur Energiegewinnung oder auch von Stahl – sowie globale Wirtschaftsstreitigkeiten und Corona-Pandemie-Schutzvorkehrungen.
Wichtig dürfte daher sein, dass die endogene Mengensteuerung der Ausschreibungsvolumen durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) sich von einer Muss- in eine Kannbestimmung umwandeln soll. Diese von der EU geförderte Regelung sah bisher vor, dass die BNetzA bei zu wenig Interesse der Investoren an einer Ausschreibungsrunde den nächsten Tender verkleinern musste. Sie sollte so den Wettbewerb der Projektierer stärken.
Allerdings weiß auch die Bundesregierung, dass sie die bei Onshore-Windenergie-Projekten in Deutschland zögerlichen Investoren schleunigst gewinnen muss. Kurz vor Verlinden ist Oppositionspolitiker Klaus Ernst am Rednerpult. Der Linke-Politiker verweist an Habeck gewandt auf ein Dilemma: „Alles, was Sie vorschlagen, erfordert ein Höchstmaß an Investitionen der Privaten (Investoren)“. Insofern die Energiewende für die Bundesregierung wirklich Priorität habe, müsse die Wirtschaftspolitik auf eindimensionale Handlungen gegen Russland verzichten und negative Auswirkungen auf das Investorenverhalten im Blick behalten.
Im Entwurf für das EEG, das am 1. Januar 2023 in Kraft treten soll, sind weitere Stellschrauben erwähnt. Auf die Stärkung der örtlichen Akzeptanz zielt eine noch stärkere Beteiligung der Kommunen. Seit dem EEG 2021 dürfen Windparkbetreiber den Kommunen am Windparkstandort 0,2 Cent pro Kilowattstunde als freiwillige Beteiligung bezahlen, um kurzfristig den Nutzen für die Anwohner klar werden zu lassen. Allerdings nur, wenn die Netzbetreiber mindestens durch die Zahlung einer EEG-Marktprämie auf den im Stromhandel erzielten Marktwert beteiligt sind. Künftig sollen auch diejenigen die Kommunen-Abgabe anbieten dürfen, die zum Beispiel ihre Vergütung über langfristige Stromlieferverträge mit großen Stromkunden beziehen. Freilich bekommen nur die EEG-geförderten Windparks die 0,2-Cent-Ausgaben im Jahr darauf von den Netzbetreibern zurückgezahlt.
Sicherheitspolitische Bedeutung ist Gesetz
Auch eine Definition der Bedeutung des Erneuerbaren-Ausbaus soll nach dem Willen der Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Genehmigungen beschleunigen, weil sie den Entscheidern in den Behörden eine Abwägung zugunsten von Wind- oder Solarparks an Land erlaubt. „Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit“, heißt es dort nun. „Wichtig wäre, dass diese Definition nicht nur im EEG, sondern auch in den Gesetzen für andere Fachbereiche gilt, die über Windparkprojektierungen entscheiden“, so betonte der Geschäftsführer des Bundesverband Windenergie (BWE), Wolfram Axthelm, im April im Rahmen eines Policy Briefing für Journalisten.
Die Einweisung der Journalisten nutzte der BWE-Chef somit auch für einen Verweis auf versteckte konkurrierende Prioritäten. So ist im EEG-Regierungsentwurf vorgesehen, dass die Bundesregierung dem Bundestag jährlich einmal über die Nutzungskonkurrenz von Windkraft mit Funknavigationsanlagen zur Flugverkehrssicherung, Wetterradaren und seismologischen Messstationen berichten muss. Sie soll so überprüfen, ob die neue hohe sicherheitspolitische Bedeutung zur schnellen Freigabe der durch Radare, Funkanlagen und Messtationen blockierten Windparkprojekte mit fünf GW führt. Im Mai hatte Habeck mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP schon eine Verkleinerung der Tabuzonen für Windparks um diese Einrichtungen teilweise um bis zu zwei Drittel angekündigt.
Doch der Referentenentwurf hatte auch Nutzungskonflikte mit militärischen Belangen zur Überprüfung empfohlen. Davon steht im Regierungsentwurf nichts mehr. Im Gegenteil: Derzeit beklagen sich BWE sowie auch der Energiewirtschaftsverband BDEW über eine drohende neue Ausweisung großer windkraftfreier Schutzbereiche rings um Anlagen zur militärischen Luftraumbeobachtung.
Langsame Genehmigungen zu beschleunigen, sehen die Reformer an anderer Stelle vor. Beispielsweise in der Reform des Naturschutzgesetzes bei den Vogelschutzprüfungen. Außerdem räumen sie bei technischen Nachrüstungen wie der bedarfsgesteuerten Nachtkennzeichnung mehr Zeit ein, noch bis Ende 2023, sowie bei der Einrichtung von modernen Messstellen für Abrechnungen von Windparks.
Auch die Nutzung von Windstrom zum Eigenbedarf erleichtert das Gesetz theoretisch. Allerdings bemängeln die Verbände, dass eine gemeinsame Erzeugung und Nutzung von Windstrom in regionalen Netzen durch „Energy Sharing“ noch nicht im Gesetz steht. Zusätzlich streben die Gesetzgeber die Verbesserung für Ausschreibungen in der Südregion an, mit einem speziell nur hier zugelassenen Korrekturfaktor an besonders schwachwindigen Standorten. Auch Bürgerenergiegesellschaften will die Regierung nun gefördert sehen (siehe Seite 15).