Nicole Weinhold
Als einer der Ersten forderte der Klimawissenschaftler und Gründer des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, nachhaltige Lösungen des Klimaproblems und prägte die internationale politische Diskussion dazu maßgeblich.
Trotz aller Weltklimakonferenzen ist noch keine Trendwende beim Klimawandel zu erkennen, oder?
Hans Joachim Schellnhuber: Die Weltklimakonferenzen sind wichtig, aber sie haben wohl wenig dazu beigetragen, die gesellschaftliche Debatte um den Klimawandel vorwärts zu bringen. Was wirklich Eindruck gemacht hat und die Debatte weltweit verändert hat, das war zum Beispiel die Klima-Enzyklika von Papst Franziskus vom Juni 2015 – das war noch vor dem Pariser Klimaabkommen. Ich hatte ja die Ehre, sie zusammen mit Kardinal Turkson in Rom der Weltöffentlichkeit vorzustellen. Und dann hat natürlich seit Anfang 2019 die starke Fridays-for-Future-Bewegung um Greta Thunberg die Präsenz und Diskussion des Themas sehr geprägt. Das zeigt, dass es oft die unvorhersehbaren Interventionen aus der Gesellschaft sind, die die Lage dramatisch verändern können.
Ein anderer wichtiger Punkt sind natürlich die Innovationen. Wenn wir tatsächlich die Möglichkeit ergreifen würden, Gebäude zu einer globalen CO2-Senke zu machen, indem wir auf den Baustoff Holz setzen statt auf Zement und Stahl, dann könnten wir uns gewissermaßen aus der Klimakrise herausbauen - zumindest ein Stück weit. Solche Ideen oder subversive Innovationen muss man ständig suchen. Am Ende wird sich die Emissionskurve wohl nur durch folgendes Zusammenspiel herunterbiegen lassen: Unerwartete Allianzen aus gesellschaftlichen Akteuren, wie etwa Teenager und Papst Franzikus. Und unkonventionelle Ideen, die letztendlich die disruptiven Innovationen auslösen.
Sir Nicholas Stern hatte ja schon 2006 vorgerechnet, dass wir den Klimaschutz billiger kriegen, je schneller wir handeln. Inzwischen sind erneuerbare Energien preislich wettbewerbsfähig. Alles spricht für die weltweite Energiewende, oder?
Hans Joachim Schellnhuber: Das ist natürlich ein interessanter Punkt. Ich war damals in England tätig und habe mit Nicholas Stern viele Gespräche darüber im britischen Finanzministerium geführt. Er hat vor allem die Kosten berechnet, die durch die Klimaschäden verursacht werden, und die sind in der Tat gigantisch. Inzwischen wissen wir, dass die wahren Kosten des Klimawandels sogar noch höher ausfallen können, durch Extremereignisse, Missernten und so weiter. Stern hat damals aber auch noch nicht gewusst, dass der Preis für die erneuerbaren Energien so stark sinken würde. Diese Entwicklung hat inzwischen alle Erwartungen übertroffen. Das zeigt wiederum, dass es sich lohnt, eine Transformation anzustoßen und einen Anfang zu machen. Zunächst stockt es vielleicht noch und rumpelt. Aber ich glaube, dass wir den Innovationsraum noch in keiner Weise ausgeschöpft haben. Und jetzt tun sich etwa mit den Werkzeugen der künstlichen Intelligenz völlig neue Möglichkeiten auf. Darum bin ich relativ optimistisch, dass wir die Transformation sogar noch beschleunigen können. Aber wir müssen natürlich bereit sein, verrückte Dinge zu tun und auch mal damit auf die Nase zu fallen. Es muss eine große Bereitschaft geben, kühn zu sein und im Einzelnen vielleicht zu scheitern, um dafür im Ganzen vorwärts zu kommen. Und das geht natürlich nicht mit einer Buchhaltermentalität und Kosten-Nutzen-Kalkulation – von Jahr zu Jahr, ja, von Quartal zu Quartal. Die Zeiten sind vorbei.
Trauen Sie der Politik den Mut zum Scheitern zu?
Hans Joachim Schellnhuber: Vielleicht – aber ich traue inzwischen der Wirtschaft noch mehr zu. Aus meinen Erfahrungen aus 30 Jahren Klimakommunikation glaube ich, dass die eigentliche Bewegung immer aus der Gesellschaft selbst entsteht. Das können auch Wissenschaftler sein, die sich mit jungen Leuten zusammentun oder sogar mit der katholischen Kirche. Dann fängt die Wirtschaft an, darüber nachzudenken. Sie glauben gar nicht, auf wie vielen Investmentkonferenzen ich inzwischen spreche, wo die Anleger nervös sind und fragen: „Geht das wirklich so weiter?“ Und erst dann folgt die Politik. Wir haben die naive Vorstellung, dass die Politik führt: Sie entwickelt die Vision für die Zukunft und wir folgen dann alle. Aber es läuft oft genau umgekehrt.
Würden Umweltkatastrophen vom Ausmaß Fukushimas ein Umdenken bewirken? In Australien hat es nicht funktioniert.
Hans Joachim Schellnhuber: Australien ist in einer schwierigen Situation. Das Land hatte viele Dekaden ungebremstes Wirtschaftswachstum durch den Verkauf von Rohstoffen. Das System, ja, die Gesellschaft dort, ist träge und bequem geworden, man hat sich an einfachen Zugewinn gewöhnt. Aber ich glaube schon, dass diese großen Brände jetzt im Land die Stimmung verändert haben. Die Politik wird den Prozess zunächst noch einmal auszubremsen versuchen. Aber mit der Feuerkatastrophe ist eine bequeme Weltsicht zerbrochen. Ich bin mir ziemlich sicher: die Menschen in Australien werden nun einsehen, dass sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Vor allem werden sie hoffentlich erkennen, dass sie eigentlich die Möglichkeit hätten, einer der größten Produzenten von erneuerbarem Strom und Wasserstoff zu werden. Ich denke, der Groschen fällt jetzt mit einem gewaltigen Scheppern.
Es gab die Phase der Klimaleugner. Die sind gerade ruhiger geworden. Und jetzt gibt es die Pessimisten, die sagen: Es ist zu spät. Wie gefährlich ist diese Sichtweise?
Hans Joachim Schellnhuber: Das ist schon gefährlich. Es ist aber kein neuer Trend. Ich habe das vor vielen Jahren bei einer Klimakonferenz gesagt: Es gibt vier bequeme Unwahrheiten – in Anlehnung an den Film von Al Gore „Eine unbequeme Wahrheit“ von 2006. Die bequeme Unwahrheit Nummer Eins: „Es gibt keine Erderwärmung“. Gut, dass es doch so ist, kann man einfach zeigen und sogar am Thermometer ablesen. Die zweite bequeme Unwahrheit: „Der Mensch hat damit nichts zu tun“ – dass es doch so ist, können wir mit einem ganzen Arsenal von Methoden belegen. Die dritte bequeme Unwahrheit lautet: „Das ist aber nicht weiter schlimm, das können wir so nebenher handhaben“. Auch hier hat die Forschung längst gezeigt, dass bei ungebremstem Klimawandel die Schäden zivilisationsbedrohend wären. Damals habe ich schon gesagt, dass die vierte bequeme Unwahrheit die folgende wäre und unweigerlich popular würde: „Es ist jetzt eh’ zu spät.“ Wir leugnen, leugnen, leugnen, und dann sagen wir schließlich: Das Problem ist nun zu groß geworden! In dieser Phase sind wir jetzt angekommen. Aber da wir bereits drei bequeme Unwahrheiten überstanden und ausgeräumt haben, werden wir auch die vierte noch besiegen. Das bedeutet, siehe oben: verrückte Ideen, unkonventionelle Lösungen, ungewöhnliche Allianzen. Und vor allem müssen wir dieser bequemen Unwahrheit einen leidenschaftlichen Optimismus entgegensetzen.
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