Wenn der Bundeswirtschaftminister seine erste energiepolitische Grundsatzrede des Jahres nutzt, um auf das zurückzublicken, was er drei Jahre zuvor an gleicher Stelle erzählt hat, dann wird klar: Hier will jemand Bilanz ziehen und vermitteln, dass er seinen Job gemacht hat – besser: gut gemacht hat. Genau das tut Sigmar Gabriel dann auch. Wie an einer Perlenschnur reiht der Minister all die Gesetzesvorhaben und Regulierungen auf, die sein Haus in der ablaufenden Legislaturperiode angepackt hat: EEG, Strommarkt, Netze, Digitalisierung. Sein Fazit: Zuvor lief manches schief, weil es zu viele nebeneinander drehende Räder gab, aber nun habe man „ein kraftvolles Getriebe an den Motor Energiewende angeschlossen“. Das neue EEG mit dem Wechsel zu Ausschreibungen werde dafür sorgen, dass die „Preise fallen“. Erneuerbare wolle man künftig nicht mehr möglichst schnell, sondern „systematisch“ ausbauen. Erdverkabelung sei zwar teuer, aber es wäre doch viel kostspieliger für Überlandleitungen „10 bis 15 Jahre vor dem Bundesverwaltungsgericht zu streiten“. Über den Aussteig aus der Kohlekraft will er nicht reden, sondern lieber über Wertschätzung für die Arbeit der Kohlekumpel. Neue Zielmarken weist er von sich. Wohin das führe, habe die Elektromobiltät gezeigt. Eine Million E-Mobile hat die Bundesregierung für 2020 ausgegeben. Offiziell ist die Zahl noch nicht kassiert, Gabriel erklärt sie aber für unerreichbar: „Selbst wenn wir alle Fahrräder dazu zählen, erreichen wir nicht mal die Hälfte.“
Bei den anstehenden Aufgaben zur Reform des Strommarkts und einer Regelgung für Sektorkopplung bleibt er zwar wolkig, lässt aber eine Richung erkennen: Er findet alles „richtig“, was „in Richtung Markt geht“ und alles „falsch“, was auf mehr staatliche Intervention herausläuft. Sektorkopplung ließe sich nicht allein über Erneuerbare oder das EEG lösen. An einer weiteren EEG-Reform komme man dennoch nicht vorbei.
„Jetzt müssen die Profis ran“
Die von Gabriel ausgegebene Devise – mehr Ordnung, mehr Markt, Fokus auf Wirtschaftlichkeit – wird von dem einen oder anderen Vertreter der Energiewirtschaft dankbar aufgegriffen. Florain Bieberbach, Chef der Stadtwerke München, zeigt Genugtuung, dass die bisherige „Rundum-Sorglos-Strategie“ bei der Erneuerbaren-Förderung jetzt beendet sei. Denn das habe dazu geführt, dass sich zu viele Player ohne Kenntnis vom Strom- und Energiemarkt in das Feld begeben hätten. BDEW-Chef Stefan Kapferer pflichtet ihm mit seiner Forderung bei: „Jetzt müssen die Profis ran.“ Bieberbach und Kapferer legen damit den Schluss nahe, dass die bisherigen Akteure der Energiewende im Stromsektor eher Amateure sind. Es wäre schön gewesen, wenn die Moderatoren da nachgehakt hätten. Haben sie aber leider nicht getan.
Und so plätschert die Debatte dahin. Die Rolle des Regierungskritikers übernimmt ausgerechnet Andreas Kuhlmann, der Chef der halbstaatlichen Deutschen Energie-Agentur. Ihm fehle der „Blick nach vorn“ und die „Orientierung bei vielen grundsätzlichen Fragen“, sagt er. Die von Gabriel so gelobte Ordnung bei der Energiewende mag er auch nicht ganz erkennen. Da gäbe es in Deutschland noch zu viel „Gefrickel“ und „Klein-Klein“.
Als pragmatisch erweist sich da eine der wenigen Frauen in der Gesprächsrunde: Susanna Zapreva, Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke Hannover. Sie erwartet auch für die nächste Legislaturperiode nicht, dass der Gesetzgeber alles regelt. Sie erwartet aber, dass die Branche selbst ihre Hausaufgaben erledigt und die Herausforderungen der Transformation annimmt. Zum Beispiel: „Wir denken immer noch vom Zähler weg, nicht vom Kunden“, konstatiert Zapreva. Die Transformation könne nur dann gelingen, wenn „die Betroffenen zu Beteiligten“ gemacht werden.
Zugegeben – das ist alles nicht neu, aber ein Lichtblick in der bräsigen Ruhe, die sich in den Debatten breit macht. So manch einer scheint sich das Motto des Fast-Wahlkämpfers Gabriels zu eigen zu machen: Nicht zu viel versprechen, dann kann auch nichts schief gehen. „Gebrochene Wahlversprechen sind kleine Verbrechen an der Demokratie“, sagt der Wirtschaftsminister.
Zum Glück mischt der Wirtschaftsphilosoph Anders Indset kurz vor der Mittagspause mit einem spritzigen Vortrag zum digitalen Wandel die gemütliche Herren-Runde auf dem Podium und im Saal auf: Vergesst es, es wird nicht einfacher. Digitale Technologie kann auch euer heute hoch dotiertes Expertenwissen ersetzen! Weiter auf geordnetes Gefrickel zu setzen, wäre da also absolut fatal.
Der Aufreger des Tages kommt wenige Stunden später. Neuigkeit zum Eröffnungsredner: Gabriel will vom Wirtschaftsministerium ins Außenministerium wechseln. Er bekommt es also künftig mit der neuen Administration von Donald Trump und dessen Ex-Öl-Außenminister zu tun. Da muten seine Sätze vom Morgen wie sein Vermächtnis und die neue Botschaft nach außen: „Volkswirtschaftlich hat sich die Energiewende sehr gelohnt“, sagt der Noch-Wirtschaftminister.
(Hanne May)