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Halbzeitbilanz Schwarz-Rot

Shakehands oder bye-bye

Tilman Weber

Üppig gespickt mit klima- und energie­politischen Zielen ist der Regierungsvertrag der regierenden Koalition aus den Unionsparteien CDU/CSU und SPD. Wer sich die Mühe macht, findet leicht zwei gute Dutzend mehr oder weniger großer und vor allem tatsächlich konkreter Zielsetzungen in dem am 12. März 2018 unterzeichneten Programm für die Legislaturperiode. Zweifel am Wert des gemäß den Parteifarben schwarz-roten Bündnisses gab es allerdings in breiten Teilen der Koalitions­parteien sowie in der politischen Beobachterszene von Anfang an. Es ist die binnen 14 Jahren dritte Regierungszusammenarbeit beider politischer Lager. Vor allem die SPD, teilweise aber auch die Union leiden unter dem dauerhaften Zwang zu jeweils schmerzhaften Kompromissen und verloren seit 2005 bis zur letzten Bundestagswahl 2018 Wählerstimmen. Die SPD musste sogar ein um 44 Prozent schlechteres Wahlergebnis verkraften.

Um die sozialdemokratische Partei vor einem weiteren Absturz ins Nichts zu bewahren, baute die sogenannte Groko auf Betreiben der SPD eine Sicherung ein: Wenn nach der Hälfte der Legislaturperiode zu wenig der von der Koalition vereinbarten Ziele erreicht oder zumindest handfest angepackt wurden, können die SPD-Mitglieder in einer Abstimmung ihre Parteifreunde in Berlin zum Ausstieg aus der Koalition zwingen.

Wie muss diese Bilanz speziell bei den energie- und klimapolitischen Zielen der Koalition also aussehen? Diese dürfte für die SPD umso wichtiger sein, als besonders sie diese Ziele formuliert hatte.

Wir haben dies für Sie schon einmal vorgeprüft - anhand der folgenden zehn von uns ausgewählten Kriterien:

10 Prüfsteine fürs Klima

Diese zehn ausgewählten energie- und klimapolitischen Ziele der schwarz-roten Regierungskoalition könnten wichtige Knackpunkte für die Fortsetzung der Zusammenarbeit sein:

  1. Klimaschutzgesetz

  2. zielstrebig, effizient, netzsynchron, markt­orientiert mit Akteursvielfalt

  3. mehr für Naturschutz und Bürgerinteresse

  4. konsequentes Nein zu Atomkraft

  5. Smart Revolution

  6. Technologie, Wachstum und Beschäftigung

  7. internationale Energiekooperationen

  8. Erneuerbaren-Offensive für Klimaziel 2020

  9. Deutschland wird Flüssiggasstandort

  10. verbindlicher Ausstieg aus der Kohlekraft

Und was hat die Koalition hierzu erreicht?

Urteilen Sie selbst:

  1. Anfang 2019 hatte das Kanzleramt das Klimaschutzgesetz aus dem Umweltressort durch Nicht-Weiterleiten ans Regierungskabinett zu verschleppen versucht. Im Mai schickte Bundesumweltministerin Svenja Schulze den Referentenentwurf an der Kanzlerin vorbei direkt an die betroffenen Ministerien. Am 20. September mussten sie Klimaschutzmaßnahmen in ihren Politikfelder bestimmen. Teils heftige Gegenwehr kam aus Reihen der CDU/CSU. Sie richtete sich nicht zuletzt dagegen, dass das Gesetz die Ministerien bezahlen ließe, wenn in ihrer Verantwortung stehende Klimaschutz-Etappenziele verfehlt werden und Strafen an die Europäische Union (EU) drohen. Vorgesehen war, dass das Gesetz noch 2019 in Kraft tritt. Tatsächlich hat sich das Kabinett nun auf ein Klimaschutzgesetz geeinigt, das genau diese finanzielle Haftung der Ministerien nicht mehr vorsieht.

  2. „Zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und marktorientierter Ausbau der erneuerbaren Energien“, lautet die Prämisse zum Kapitel Energiepolitik. Davon kann keine Rede sein, nicht bei Windenergie an Land: Die Ausschreibungen erreichen kaum noch Beteiligung von Projektierern, also keinen Markt. Zielstrebig ist der Ausbaus so nicht. Und Zuschläge betreffen immer weniger Bundesländer, was dem netzsynchronen Ausbau – Ausbau, wo genug Netz vorhanden sein wird – widerspricht. Die Photovoltaik (PV) erlebt zwar starken Zubau mit leicht sinkenden Preisen. Nicht marktorientiert blieb bis zuletzt, dass 2020 ein PV-Ausbaudeckel von 52 Gigawatt (GW) greifen sollte und keine neue gesicherte Vergütung erhältlich ist, obwohl der Markt PV-Strom nachfragt. Erst im September beschloss die Koalition nun, dass sie den Deckel entfernen will. Allerdings bleiben weitere Hürden für den Photovoltaikausbau bestehen - beispielsweise die finanzielle Benachteiligung des Eigenverbrauchs von Solarstrom: Bei Photovoltaik-Anlagen mit mehr als zehn Kilowatt müssen die Betreiber sogar bei Eigenverbrauch des Stroms die EEG-Umlage von derzeit weit über sechs Cent pro Kilowattstunde bezahlen.

  3. Mehr Naturschutz und Bürgerinteresse setzen sich in Klagewellen tatsächlich oft gegen Erneuerbaren-Projekte durch und verhindern oder blockieren diese. Regeln wie Anwohnerbeteiligung an Windparkeinnahmen und Naturschutzreformen lassen warten. Sie sollen die Akzeptanz des Windparkausbaus erhöhen und damit die Klagen reduzieren. Die Naturschutzreformen sollen zu einem pragmatischen, einfacheren und transparenteren Genehmigungsverfahren führen. Das gilt auch nach dem sogenannten Wind-Krisen-Gipfel unter der Leitung des Bundeswirtschaftsministerium von Anfang September noch. Immerhin hat das Bundeswirtschaftsministerium Anfang Oktober inzwischen einen 18-Punkte-Maßnahmenplan als Ergebnis des Windgipfels vorgelegt. Nun soll beispielsweise erst einmal die Bundesumweltministerin von der SPD, Svenja Schulze, die Bestimmungen für den Naturschutz im Zusammenhang mit der Windenergie lockern, so lautet die Planung des CDU-Ministers Altmaier. Die meisten der Maßnahmen sollen erst 2020 zu Regelungen führen. Sofort umzusetzen ist allerdings eine neue bundesweite Vorgabe für größere Abstände neuer Windparks zu Wohngebieten. Sie müssen mindestens 1.000 Meter betragen, was nach Meinung vieler Akteure der Windbranche das Potenzial des Ausbaus um einen deutlich zweistelligen Prozentbereich verkleinert.

  4. Das Nein zur deutschen Atomkraft ist stabil. Der vereinbarte Widerstand gegen EU-Finanzierung neuer Kraftwerke im Ausland war bei jüngsten Projekten aber nicht erkennbar.

  5. Der Ausbau der Smart Meter stockt auch aufgrund von Datenschutzfragen – trotz seit 2017 gültigen Pflichteinbaus für intelligente Zähler. Ein Strommarkt, der intelligente Verbraucher belohnt, fehlt. Für Smart Cities gibt es ein Förderprogramm im Wirtschaftsministerium.

  6. Technologieführerschaft, Wachstum, Beschäftigung: Ein Neuaufbau der abgewanderten Solar-Industrie ist nicht abzusehen, die Windkraft verlor schon 2017 27.000 Jobs, schlimmer erwartet es die Branche für 2018 und 2019. Zur Technologieführerschaft ist bislang eine geförderte Autobatterieproduktion in Münster geplant. Die Kanzlerin kündigte nur persönlich eine Wasserstoffproduktion für Flugverkehr an. Speicher, Sektorenkopplung, Energiewende in Wärme und Verkehr kommen kaum voran, weil breitbandige Neuregelungen ausblieben.

  7. Internationale Energiekooperationen, die der Koalitionsvertrag auch als bilaterale Energie­partnerschaft vorsieht, treibt nur die EU im Rahmen des Energiepakets 2020 voran. Ansonsten bleiben Energiepartnerschaften bloße Willensäußerungen wie im deutsch-französischen Vertrag von Aachen im Januar.

  8. Die Erneuerbaren-Offensive, um dem verpassten Klimaziel 2020 näherzukommen, fand Ende 2018 auf dem Papier statt: durch Festlegung von Sonderauktionen für Windkraft und PV. Die fehlende Projektierer-Beteiligung an Ausschreibungen für Windkraft betrifft auch die Sonder-Tender. Bei PV bleibt hingegen abzuwarten, ob die Wegnahme des 52-GW-Ausbaudeckels eine Wirkung für beschleunigten Ausbau zeigt.

  9. Deutschland wird Flüssiggasstandort, um die Optionen zur Brückentechnologie Gasenergie zu erweitern. Es fördert den Bau von Terminals für Flüssiggas, das wohl besonders klimaschädliches US-Frackinggas sein wird.

  10. Dem Kohleausstieg gab im Januar eine Kommission der Regierung einen Fahrplan. Allein: Das Kabinett hat ihn nicht beschließen lassen. Zudem stehen noch Verhandlungen mit der Energiewirtschaft über Details aus.

Einen weiteren Überblick zu den im Oktober konkretisierten Vorhaben der Bundesregierung beim Klimaschutz erhalten Sie hier.

Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus unserem Print-Magazin vom September. Aktualisiert wurde er um neuere Beschlüsse des Kabinetts vom Oktober. Sie können bestimmte Hefte wie dieses nachbestellen, falls Sie kein Abonnement besitzen. Falls Sie sich generell ansonsten einen Eindruck von unserem Heft machen wollen, erhalten Sie hier ein kostenloses Probeheft unserer nächsten Ausgabe.