Die Koalition der Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD hat ihre noch ausstehenden energiepolitischen Entscheidungen wie gewohnt im letzten Moment im Bundestag durchgebracht. Bis zur Bundestagswahl im Herbst lässt der parlamentarische Zeitplan hierzu kaum weiteres zu. Danach wird das nach den Parteifarben benannte schwarz-rote Bündnis erklärtermaßen enden. Fast hätte die Koalition auch ihren Kurs beibehalten, neue fortschrittliche Instrumente einzuführen, ohne bestehende Hürden zu beseitigen. Doch einige Neuregelungen werden dem Erneuerbarenausbau tatsächlich Wege freiräumen.
Die letzte Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause spiegelte die Dramatik des koalitionsinternen Ringens um widerstreitende energiepolitische Interessen wider: Am 24. Juni, angesetzt als Tagesordnungspunkt TOP 13 für 16 Uhr, stand die Beschlussfassung zu 28 Unterpunkten an. Sie klären bisher verschobene Sachfragen einer großen inhaltlichen Bandbreite. Dazu gehören im Groben die Verschärfung der Klimaschutzziele sowie – zunächst nur für 2022 – größere Ausschreibungsvolumen für Sonnen- und Windenergie-Anlagen. Im Detail schnürte die Koalition zudem mehrere neue Pakete: die Einführung eines Energiemarktes für klimaneutral aus Regenerativstrom erzeugten grünen Wasserstoff, die einjährige Weiterförderung von Windkraft-Altanlagen, die Akzeptanzförderung bei großen Freiflächenparks der Photovoltaik (PV), eine flexibilisierte Speichernutzung sowie der Austausch alter gegen neue Energieanlagen durch Repowering.
Gerade beim Repowering erreichten die Befürworter einer schnelleren Energiewende einen überraschenden Erfolg. Noch eine Woche vor der Abstimmung bat SPD-Energieexpertin Nina Scheer im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN um Geduld. Inwiefern Nachbesserungen am Regelungsentwurf der Regierung für die Beschleunigung des Repowering zu erwarten seien, werde noch geklärt. Offenbar mussten die Koalitonäre da noch einiges austarieren. Nach einer Sitzung im Umwelt-ausschuss meldete die für Repowering zuständige SPD-Verhandlerin aber am 22. Juni mehr als den bloßen Vollzug: Der neue Paragraf 16 b im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImschG) gewährleistet einen wesentlich erleichterten Turbinenaustausch.
Repowering: Nur das Belastungsdelta zählt
Neu ist das Prinzip der Delta-Prüfung, das so konkret vor der Umweltausschusssitzung nicht absehbar war: In Genehmigungsverfahren für die dringend anstehende Modernisierung des Anlagenbestands dürfen die Behörden nur noch prüfen, inwieweit eine Mehrbelastung droht im Vergleich zu Lärm und Gefährdungen von Vögeln durch die Altanlagen. Sogar wenn die neuen Anlagen einzelne Schallwerte der maßgeblichen Richtlinie TA Lärm übertreffen, bleibt Repowern erlaubt – nur muss der Windpark nach dem Anlagentausch insgesamt leiser sein. Und der neu eingesetzte Turbinentyp muss aktuellem Stand der Technik entsprechen. „Wir haben damit erreicht, dass Repowering-Anliegen als Änderungsantrag und nicht als Neuantrag für die grüne Wiese behandelt werden“, sagt Nina Scheer.
Den Regierungsentwurf hatten Energiewendevertreter noch als bloße Willensbekundung kritisiert. Dessen vage Formulierungen hätten die Genehmigungsbehörden die Repowering-Projekte weiter so umfangreich, streng und langwierig prüfen lassen wie bisher, um sich nicht laxen Umgang mit Anwohner- und Vogelschutz vorwerfen zu lassen und Gerichtsverfahren zu riskieren. Im neuen BImschG dürfen aber nur noch Auswirkungen durch Repowering auf den Prüfstand, „soweit“ sie erhebliche Nachteile im Vergleich zum Altwindpark bedeuten. Um Repowern vielerorts zuzulassen, definiert das Gesetz sogar, wie fern von den Altwindparks die Neuinstallationen stattfinden dürfen. In den von der Regionalplanung oft großräumig neu abgesteckten Windparkeignungszonen sollten sie weder in beliebig anderer Umgebung entstehen, noch unrealistisch eng an die alten Standorte gebunden bleiben, lautete das Ziel der Nachbesserung. So dürfen Neuanlagen nun bis zum Doppelten ihrer Gesamthöhe vom Standort der Altturbine abweichen.
Darüber hinaus bewirkt die BImschG-Anpassung allgemeine Genehmigungserleichterungen bei Erneuerbare-Energien-Anlagen und damit auch Bürokratieabbau im Genehmigungsprozess: Beteiligte Behörden dürfen für Stellungnahmen zu einem Erneuerbaren-Vorhaben nicht mehr länger als einen Monat brauchen – sonst wertet das Verfahren dies als Zustimmung. Und wenn sie vom Projektierungsunternehmen weitere Dokumente brauchen, dürfen sie diese nur einmal gemeinsam nachfordern.
Während sie die Repowering-Reform durch ein Gesetz „zur Umsetzung von Vorgaben“ einer EU-Richtlinie von 2018 anschieben, lassen die Koalitionäre den Markt für grünen Wasserstoff mehrgleisig starten. So macht das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungsquote“ Wasserstoff zum kommerziellen Produkt, weil Tankstellenbetreiber nun an einer wachsenden Handelsquote mit klimaneutralem Treibstoff interessiert sind. Mit der Treibhausgasminderungsquote dürfen sie Jahr für Jahr bezogen auf die energetische Menge der von ihnen in den Verkehr gebrachten Kraftstoffe immer weniger klimaverändernde Emissionen riskieren. Um 25 Prozent müssen sie die durch ihren Sprit in Umlauf gebrachten CO2-Emissionen bis 2030 zurückfahren. Zulässig sind grüner Wasserstoff, gewonnen aus Elektrolyse durch überschüssigen Wind- und Sonnenstrom, Biokraftstoffe – und orangener Wasserstoff: Er entsteht durch Elektrolyse mittels Überschussstrom aus der Verbrennung gemischter Siedlungsabfälle in Müllheizkraftwerken sowie aus der Umwandlung von Biogas aus organischem Abfall.
Grüner Wasserstoff ohne EEG-Umlage
Außerdem wird Elektrolyse für grünen Wasserstoff von der EEG-Umlage befreit. Um nicht Grünstrom zu verbrauchen, der sonst die Stromkunden versorgt, soll die Befreiung gemäß einer Verordnung zur Umsetzung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2021 nur für die ersten 5.000 Volllaststunden des Elektrolyseurs bezogen auf 8.760 Jahresstunden gelten. Dabei darf für Elektrolysestrom keine Einspeisevergütung gemäß den erhöhten EEG-Grünstromtarifen geflossen sein, deren Mehrkosten sich die Netzbetreiber über die EEG-Umlage zurückholen. So beziehen die Elektrolyseure künftig wohl entweder Strom aus Altanlagen, denen keine EEG-Vergütung mehr zusteht und die ohne neue Vergütungskanäle abschalten würden. Oder sie beziehen ihn im Handel in Momenten geringer Strommarktwerte, wenn Grünstrom im Überfluss entsteht. Der Bezug soll über an Anlagen gekoppelte Herkunftsnachweise weit überwiegend aus dem Inland erfolgen.
„Unter diesen Voraussetzungen könnte das Geschäft mit Wasserstoff bereits rentabel sein“, bewertet Erneuerbare-Energien-Unternehmen Abo Wind aus Wiesbaden die Neuregelung. Vielleicht gelinge es so, die Produktion von grünem Wasserstoff „in größerem Stil zu ermöglichen“, sagt Unternehmenssprecher Alexander Koffka. Dafür müsse aber „natürlich eine entsprechende Nachfrage entstehen und zum Beispiel der Wasserstoffantrieb von Lkw sich durchsetzen“. Abo Wind bereitet „einige Wasserstoffprojekte in Deutschland und auch international“ vor.
Für wen der Markt wann rentabel wird, mag auch von der Unternehmensstruktur abhängen. Der eher größere Unternehmen vertretende Energiewirtschaftsverband BDEW hatte das 5.000-Stunden-Limit für die Umlagebefreiung kritisiert, weil es die Effizienz von Elektrolyse-Großanlagen etwa zur Verwertung von Offshore-Windstrom schmälert.
Akzeptanzabgabe für Freiflächen-PV
Derweil sieht sich Energieversorger EnBW bei PV-Großanlagen durch ein Instrument zur Akzeptanzförderung gestärkt. Ihre Betreiber dürfen wie seit Januar bei neuen Windparks zulässig bald bis zu 0,2 Cent pro Kilowattstunde (kWh) freiwillig an die Standortkommune zahlen. Das könnte wertvolle regionale Unterstützung für Projekte anregen. Während Windparkprojektierer den Abschlag sich vom Netzbetreiber zurückbezahlen lassen können, ist dies bei PV nicht immer möglich. Ohne Ausschreibungen und somit ohne EEG-Vergütung realisierte Freiflächenparks, für die zum Beispiel mehrjährige Stromlieferverträge mit großen Abnehmern abgeschlossen sind, erhalten den 0,2-Cent-Obulus nicht zurück. Unternehmen, die PV-Großprojekte planen, werten dies gemäß erster von ERNEUERBARE ENERGIEN aufgezeichneter Reaktion als Vorteil: So ließen sich Anwohner leichter überzeugen, dass ein Projekt aus sich heraus ihrer Region nutzt.
Während die Europäische Union (EU) indes beihilferechtliche Genehmigungen für einige In-
strumente des EEG 2021 erst noch prüft – etwa zu Südquoten für Windenergie-, Bioenergie- und Biomethanausschreibungen oder zur Befreiung der Elektrobusse von der EEG-Umlage –, ist auch die Altanlagen-Übergangsförderung scheinbar gelöst. Die zuerst geplante Weitervergütung von mehr als 20 Jahre alten Windturbinen an Land bis maximal Ende 2022 über eine Ausschreibung im Bereich von 3 bis 3,8 Cent pro kWh untersagte die EU im April als unerlaubte Beihilfe. „Ü20-Anlagen“ seien ausgefördert. Nun lässt Berlin die Übertragungsnetzbetreiber 2021 anfangs 1 Cent pro kWh als Plus auf den derzeit etwa drei Cent pro kWh betragenden Stromvermarktungspreis bezahlen, das stufenweise auf 0 Cent abschmilzt: als „Corona-bedingter Ausgleich“.
Bei so viel konkreter Förderung gerät die Verschärfung der Klimaziele durch ein überarbeitetes Klimaschutzgesetz fast in den Schatten. Die Regierungsparteien haben nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts von Ende April die Zielsetzungen deutscher Klimapolitik sofort neu festgelegt. Die Richter monierten, das Klimaschutzgesetz von 2019 bürde die Lasten aus dem Kampf gegen den Klimawandel kommenden Generationen auf und verschweige Maßgaben für die Zeit ab 2031. Schon Anfang Mai hatte der Bundestag entschieden: Deutschland muss schon 2045 und nicht erst 2050 klimaneutral wirtschaften. Bis 2030 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 nicht um 55, sondern um 65 Prozent zurückgegangen sein. Für 2040 stehen minus 88 Prozent auf dem Fahrplan. Und während das Klimaschutzprogramm ab 2023 die jährlichen Minderungsziele bis 2030 jeweils für Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft oder Abfallwirtschaft heraufschraubt, steht 2024 die sektorenweise Festlegung zu den 2030-er Jahren an.
Ausschreibungen: mit Leerstelle ab 2023
Die Grünen-Energiewendepolitikerin im Bundestag, Julia Verlinden, stellt den weitreichenden Klimazielen allerdings wie andere Regierungskritiker auch fehlende Ziele der Energiewende entgegen. Tatsächlich einigte sich die Koalition nur auf erhöhte Ausschreibungsvolumen für 2022. „Es passt vorne und hinten nicht.“ Die Regierung mache vorgezogenen Wahlkampf für Klimaschutz, aber ohne konkrete Maßnahmen, heißt es aus Verlindens Büro.
So erhöhen sich 2022 die Ausschreibungsvolumen für Windparks an Land um 1,1 Gigawatt (GW) auf 4 GW und für PV um 4,1 auf 6 GW. Doch außer den Vereinfachungen fürs Repowering und den neuen Anti-Bürokratie-Regeln reichen die Koalitionspolitiker keine Instrumente aus, mit denen sich die Branche die knappen Projektflächen sichern könnte. Im Gegenteil behält sie die Regelung im EEG 2021 bei, wonach eine Unterdeckung der ausgeschriebenen Wind-Onshore-Volumen durch zu wenig Angebote der Projektierer in der folgenden Bieterrunde zu einem reduzierten Tender führt. Und erhöht die PV-Branche wie gewünscht den Leistungszubau, bremst der atmende Deckel: Je mehr die Branche im Jahr oberhalb der Marke von 2,6 GW installiert, desto rascher geht das Vergütungsniveau zurück – was das Investoreninteresse dämpft.
Diese Inkonsequenz erkennt Julia Verlinden auch im GW-Genehmigungsstau für Windparks um Flughäfen. So ließ das Bundeswirtschaftsministerium im Juni wissen, es werde die Umrüstung einiger älterer Flugsicherungsanlagen zu funktionsstärkeren Doppler-Drehfunkfeuern bis 2025 finanzieren. So lasse technischer Fortschritt 700 Megawatt blockierte Erzeugungskapazität rings um Flughäfen freisetzen. Doch vor allem blockiert die restriktive deutsche Handhabung, die Windparks im Umkreis von 15 Kilometer um Flugsicherungsanlagen verbietet, um deren Signale nicht zu stören. Europaweit ist nur eine 10-Kilometer-Distanz üblich, damit wäre ein Großteil der 4,8 GW blockierter Erzeugungskapazitäten um Flughäfen sofort freigeben. So hieß es aus Verlindens Büro: „Hier wird nur die ohnehin anstehende Ausrüstung mit Drehfunkfeuern gefördert – ohne dass es bei Projektvolumen einen Durchbruch verspricht.“
Branchenverbände würdigen die Beschlüsse in Berlin als gut gemeint. Doch der Bundesverband Windenergie warnt, dass die neuen Klimaziele nur bei einem sofort massiven Ausbau von Windkraft und PV glaubwürdig seien. Energiewirtschaftsverband BDEW lobt, dass eine Anpassung im Messstellenbetriebsgesetz nun die Einführung der Smart-Meter zur intelligenten Stromverbrauchssteuerung fortführen lässt – und dass die doppelte EEG-Umlagebelastung bei Multi-Use-Speichern abgeschafft sei. Speicher können so zwischen Stromaufnahme zum Eigenverbrauch oder zur bedarfsgerecht gesteuerten Einspeisung ins Netz wechseln und wertvolle Flexibilisierungsdienste im Stromsystem leisten. Und den Verband BSW Solar freut die Auffanglösung für ausgeförderte PV-Anlagen durch die Weiterleitung des Stromhandelspreises durch den Netzbetreiber: Dies lasse die Kosten der Direktvermarktung wegfallen. So blieben auch PV-Altanlagen ohne Zulassung zum Eigenverbrauch wirtschaftlich.