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Energiesystemwende

Von der Energie- zur Wirtschaftssystemwende

Annegret Jatzkewitz

Change the System – not the Climate” fordern Teilnehmer der Fridays for Future Demonstrationen. Dabei geht es vielen „nur“ um die Reform des Energiesystems. Die Klimakrise erfordert eine weitreichendere Systemwende. Immer mehr Menschen begreifen, dass unser globales Wirtschafts- und Gesellschaftssystem kaum Anreize setzt, mit den Lebensgrundlagen auf dem blauen Planeten nachhaltig umzugehen.

Bald 50 Jahre „Grenzen des Wachstums“

Dabei ist die Erkenntnis keineswegs neu. Schon vor rund 50 Jahren beschrieb der Club of Rome „die Grenzen des Wachstums“. In dem Buch von 1972 ging es vor allem um Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und die Endlichkeit der Ressourcen. Heute ist der Fokus der öffentlichen Debatte auf die Treibhausgase und da allen voran das CO2 gerichtet. Aber im Mittelpunkt steht dieselbe Frage: Wie verträglich ist unser Lebensstil für die Erde und letztlich für die Lebensgrundlagen der Menschheit?

Kapitalistischer Raubbau verhindert Klimaschutz

Es klingt platt, aber unserer kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist der Raubbau an Ressourcen inhärent. Wachstum ist ein Begriff, der in keiner Debatte fehlen darf. Dabei wird übersehen, dass an vielen Stellen der Erde der fortbestehende Imperialismus die Lebensgrundlage der Bevölkerung zerstört, und das zum Teil unwiederbringlich. Naomi Klein brachte es in ihrem letzten großen Buch auf den Punkt: Entweder Kapitalismus oder Klimaschutz. Beides zusammen steht, nicht nur aus ihrer Sicht, im Widerspruch.

Verzicht ist ein Teil der Aufgabe

Meiner Meinung nach geht nachhaltiger Klimaschutz nur mit einer drastischen Einschränkung des generellen Konsums in den Industrieländern. Begriffe wie „Sparen“, „Verzicht“, „Schrumpfen“, oder noch schlimmer „Verbote“, sind nicht sexy. Auch bei den Energiewende-Verfechtern gilt oft die Meinung: Mit den Erneuerbaren können wir unseren generellen Lebensstil beibehalten, und das mit einem guten, “grünen“ Gewissen. Wir dürfen uns nicht davor verschließen, dass auch wichtige Anteile des erneuerbaren Systems mit massiven Umweltschäden einhergehen. Ein Beispiel: Die Lithium-Ionen-Batterien, die für die e-Autos und zum Teil für stationäre Energiespeicher verwendet werden, bedingen Kollateralschäden in dem Gebiet der Salzseen der Anden. Es werden einzigartige Ökosysteme zerstört und der indigenen Bevölkerung geht das Trinkwasser aus. Süßwasser ist neben Luft aber der wichtigste Stoff für unser Leben. Umwelttechnisch ist die beste Wahl zwischen herkömmlichem Auto und e-Auto: kein Auto. Das heißt dann aber auch: kein Umsatz. Damit steht unser Wirtschaftswachstum auf dem Spiel. Und ohne das gibt es nach den aktuellen Spielregeln keinen Fortschritt. So aber eben auch keinen (globalen) Umweltschutz.

EnergieSystemWende als Impuls nutzen

Vielleicht kann die Energiewende einen Beitrag zum Umdenken leisten. Nutzen wir die EnergieSystemWende als Chance für den Übergang in ein Wirtschaftssystem, das den Begriff „Nachhaltigkeit“ wirklich verdient! In eine Kreislaufwirtschaft, die den Erhalt der Schätze dieser Erde für alle anstrebt und in der es eben nicht um Profite für wenige Mächtige (z.B. die großen Energiekonzerne, die Übertragungsnetzbetreiber oder die Automobilindustrie) geht.

Energiewende ist auch Energiedemokratie

Die Energiewende in Deutschland entstand aus einer Bewegung “von unten“. Es waren kleine Ingenieurskollektive (wie z.B. Wuseltronick, das Reiner Lemoine mitgegründet hatte) sowie lokale Initiativen, die die ersten Technologien und Anwendungen für erneuerbare Energien vorangebracht haben. Auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) war nicht, wie sonst üblich, das Ergebnis von Regierungshandeln, sondern ist dem Engagement einiger Parlamentarier zu verdanken (z.B. Hermann Scheer, Hans-Josef Fell).

Und auch bei der Umsetzung der Energiewende waren es in den Anfangsjahren vor allem die Bürgerinnen und Bürger, die Kommunen, Landwirte und lokale Betriebe, die in Solar- und Windkraftwerke investiert haben. Während das Konventionelle Energiesystem von Großkonzernen geprägt war, verkörpert die Bürgerenergie den Aufbruch in das Erneuerbare Energiesystem.

Ideelle Motive sind oft Treiber der Erneuerbaren

Interessant ist dabei, dass die Motive oftmals nur in zweiter Hinsicht materieller Natur waren und sind. Wer sich in einer Energiegenossenschaft engagiert, tut dies insbesondere, um gemeinschaftlich den Klimaschutz vor Ort voranzubringen. Und Betreiber von kleinen Photovoltaikanlagen, die oft auch auf Speicher, Wärmepumpen und Elektromobilität setzen, empfinden häufig Autonomie als wichtigen Anreiz. Genauso, wie die Ernte aus dem eigenen Garten stolz macht und vermeintlich am besten schmeckt.

Natürlich sind es große Konzerne und Projektierungsgesellschaften, die inzwischen weltweit für die skalierte Massenproduktion von PV-Anlagen oder die Realisierung von großen Windparks sorgen. Aber das Rückgrat der Energiewende war im Ursprung dem Engagement der Vielen zu verdanken. Wenn diese gesellschaftliche Teilhabe wieder zur Leitlinie für die Regulierung des Energiesystems wird, kann die EnergieSystemWende ein bescheidener, aber wichtiger Impuls für die Wirtschaftswende sein.

Wirtschaftssystemwende angehen

In den Sustainable Development Goals von 2015 ist der Anspruch formuliert, allen Menschen weltweit ein Leben in Würde zu ermöglichen. Der „Mutterkuchen“ der Erde ist aber begrenzt. Und jeder muss ihn inzwischen mit 7,7 Milliarden Menschen teilen. Woher sollen die Grundlagen für ein weiteres Wirtschaftswachstum des globalen Nordens kommen? Ohne die radikale Forderung nach einer Abkehr von einem Wirtschaftssystem mit impliziertem Konsumismus und übermäßigem Ressourcenverbrauch bleibt alles halbherzig.

Mit einem “Weiter so“ wird die Menschheit den Kampf ums Überleben nicht gewinnen. Und als erstes sterben die Armen.

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Dieser Beitrag ist in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen und ist Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.

Dr. Annegret Jatzkewitz ist Vorstandsvorsitzende der Reiner Lemoine Stiftung und war die Frau von Reiner Lemoine.

Bisher erschienen sind:

- Fabian Zuber: Energiewende in der Sackgasse

- Dr. Kathrin Goldammer: Kein Widerspruch: Erneuerbare und energiewirtschaftliche Ziele

- Clemens Triebel: Speichertechnologien entfesseln

- Paul Grunow: (Keine) Innovationsfähigkeit der Konzerne

-Eberhard Holstein: Energiesystemwende ganz sicher: Ohne Atomenergie

-Mascha Richter: Ein Energiesystem im Wandel

-Eberhard Holstein: 10 Jahre Abschaffung der physikalischen Wälzung

Weitere Informationen finden Sie hier. Weitere Informationen und Kolumnenbeiträge weiterer Autor:innen finden Sie hier.