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Energiesystemwende

Technologie-Sprung für nachhaltige, dezentrale Energiesysteme im globalen Süden

Catherina Cader

In vielen Ländern des globalen Südens ist eine Energiewende mehr als nur eine Transformation von konventionellen Energiequellen hin zu regenerativen Energiequellen. Viele Regionen leiden unter Energiearmut, d.h. Energie in Form von Strom und Treibstoffen steht den dort lebenden Menschen nur begrenzt oder gar nicht zur Verfügung. Dies erfordert daher nicht nur eine Transformation eines bestehenden Systems, sondern den Ausbau oder Aufbau zusätzlicher Energieinfrastruktur, welcher möglichst wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig erfolgen sollte.

Das konventionelle Energiesystem in Industrieländern ist durch eine zentrale Energieversorgung geprägt

Die traditionelle Stromerzeugung in den heutigen Industrieländern war geprägt durch den Ausbau von Großkraftwerken, angetrieben durch Kohle-, Atom- und Gas, sowie auch Pumpspeicher- und Wasserkraftanlagen. Ursprünglich war die Elektrizitätsversorgung regional geprägt, wurde dann aber im 20. Jahrhundert zu zentral strukturierten Energiesystemen ausgebaut. Die technische Entwicklung im Bereich der Wind- und Solarenergie erlaubt dagegen auch deutlich kleinere Erzeugungseinheiten, also mehr Dezentralität in der Energieerzeugung. In Deutschland konnte dies mit der Einführung des EEG beobachtet werden – der Anteil der dezentralen Stromerzeugung ist seitdem massiv angestiegen.

Wo Energiearmut vorherrscht, können erneuerbare Energiesysteme neu entstehen

Anders als in den Industrieländern ist in vielen Ländern des globalen Südens und in einigen Inselregionen keine ausreichende Stromversorgung der Bevölkerung vorhanden. Eine dezentrale Infrastruktur kann hier vergleichsweise schnell geschaffen werden, und durch die Vielfalt der Energieversorgungslösungen eröffnen sich Geschäftsmodelle für den Privatsektor. Neben kleinskaligen Lösungen wie Solarlampen und kleinen, unabhängigen Dachanlagen (Solar Home Systems) können dort auch Solarkioske implementiert werden. Diese bieten verschiedene Energiedienstleistungen an wie das Ausleihen und Laden von Lampen und Batterien sowie Handy-Ladestation. Mini-Grids können beispielsweise ein Dorf über ein lokales Verteilnetz versorgen.

Dezentralität ist nicht neu – funktioniert aber nachhaltig nur mit Erneuerbaren

In einigen Regionen wie etwa in Nigeria oder auf den Philippinen spielt eine dezentrale Energieversorgung bereits eine entscheidende Rolle: unterversorgte Gebiete oder entlegene Inseln werden heute häufig mit Dieselgeneratoren versorgt. Dies resultiert jedoch in hohen CO2-Emissionen, einer Abhängigkeit von regelmäßigen Lieferungen und fluktuierenden Weltmarktpreisen, hohen Transportkosten sowie Lärmemissionen.

Hier ist die Energiewende im Sinne einer Transformation hin zu erneuerbaren Energiequellen erforderlich, welche durch eine sogenannte Hybridisierung beispielsweise mit Solarenergie und Batterien sukzessive erfolgen kann und damit die Systeme nachhaltiger gestaltet. Die sinkenden Preise der auf erneuerbaren Energien basierenden Technologien zur dezentralen Nutzung resultieren zugleich darin, dass der Hauptteil der neu zugebauten Systeme im globalen Süden auf diese zurückgreift – in zentralen und dezentralen Systemen.

Neue Innovationspotenziale in Entwicklungsregionen

Viele dieser kleinteiligen Energiesysteme können dabei auch als Vorbild für Länder wie Deutschland dienen. Während Smart Metering in Deutschland etwa länglich diskutiert wird, ist dies häufig bereits Bestandteil von dezentralen Mini-Grid Systemen: In einigen ostafrikanischen Ländern ist es beispielsweise üblich, für den Haushaltsstromverbrauch mit sogenannten Pay-as-you-go Lösungen direkt über das Mobiltelefon zu bezahlen. Die fortschreitende Digitalisierung wird hier die Zukunft der Energieversorgung maßgeblich bestimmen. Energieversorger können diese Daten wiederum analysieren, um Nutzerverhalten zu verstehen und Energiesysteme entsprechend auslegen. Auch ein Peer-to-Peer-Trading, ein Handel mit Strom zwischen privaten Erzeugern, stellt eine Option dar, die in Bangladesch durch eine Verknüpfung unabhängiger Systeme entwickelt wird.

Durch Leapfrogging werden im globalen Süden direkt dezentrale und smarte Lösungen umgesetzt

Die dynamische Entwicklung der Energiesektoren vieler Länder, getrieben zum einen durch eine steigende Nachfrage nach Strom, zum anderen durch politische Ziele wie die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen eröffnet die Chance auf neuartige Strukturen und Modelle. Etwa Sustainable Development Goal (SDG)7: Zugang zu einer nachhaltigen, bezahlbaren Stromversorgung für alle. Da es im globalen Süden wenige alte Macht- und bestehende Technologieregime gibt als im globalen Norden, ist es dort einfacher, neuartige Strukturen aufzubauen. Die wenigen alte Macht- und Technologieregime müssen aufgeweicht werden. Neue Betreibermodelle mit diversen Erzeugern und Verbrauchern können die bestehenden, häufig regierungsnahen Monopolstrukturen ablösen und agile, anpassungsfähige Strukturen etablieren. Dabei kann ein Entwicklungsschritt, der die konventionellen Energiesysteme in den Industrieländern bis heute prägt, in vielen eher ländlich geprägten Regionen übersprungen werden. Durch diesen Sprung, auch Leapfrogging genannt, werden im globalen Süden vielerorts direkt dezentrale und smarte Lösungen umgesetzt.

Dies bietet auch für Deutschland große Chancen: Im globalen Süden entstehen derzeit innovative Lösungen für eine nachhaltige Stromversorgung basierend auf einer dezentralen und smarten Infrastruktur. Von den dort gewonnen Erfahrungen und Erkenntnissen kann auch die Energiewende in Industrieländern profitieren.

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Dieser Beitrag ist in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen und ist Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.

Die Autorin Catherina Cader ist Expertin für Geographische Informationssysteme (GIS) und ländliche Elektrifizierungsplanung im Forschungsbereich Off-Grid Systems am Reiner Lemoine Institut.

Bisher erschienen sind:

- Fabian Zuber: Energiewende in der Sackgasse

- Dr. Kathrin Goldammer: Kein Widerspruch: Erneuerbare und energiewirtschaftliche Ziele

- Clemens Triebel: Speichertechnologien entfesseln

- Paul Grunow: (Keine) Innovationsfähigkeit der Konzerne

- Eberhard Holstein: Energiesystemwende ganz sicher: Ohne Atomenergie

- Mascha Richter: Ein Energiesystem im Wandel

- Eberhard Holstein: 10 Jahre Abschaffung der physikalischen Wälzung

- Céline Göhlich: Energiesystemwende braucht den Mut von vielen

Weitere Informationen finden Sie hier. Weitere Informationen und Kolumnenbeiträge weiterer Autor:innen finden Sie hier.