Fabian Zuber
An einem Sommerabend Anfang Juli 2016 wurde es laut im politischen Berlin. Damals saßen die Fachpolitiker der Großen Koalition zu einer der berüchtigten EEG-Schluss-Verhandlungen zusammen. Auf den buchstäblich letzten Metern setzten die Sozialdemokraten die Förderung von Mieterstrommodellen durch. Und das sehr zum Unmut der damaligen Leitungsebene des Wirtschaftsministeriums rund um Staatssekretär Rainer Baake.
Die Begründung für deren Kritik am Mieterstrom findet sich ein Jahr später auch in der Beschlussvorlage zum Mieterstromgesetz: „Die Bundesregierung gibt zu bedenken, dass bei der Erschließung weiteren Mieterstrompotenzials auch die mit der Mieterstromförderung verbundenen Kosten steigen. Diese müssen von der Gesamtheit der Stromverbraucher getragen werden.“ Denn, so das Ministerium: „Der Ausbau von Mieterstrom führt zu Einnahmeausfällen bei den Netzentgelten und den netzentgeltgekoppelten Umlagen, ohne dass die damit zu finanzierenden Systemkosten sinken.“
Photovoltaikstrom vom eigenen Dach, Energiewende für die Mieter, Klimaschutz in die Städte bringen – alles schön und gut. Aber, so hübsch die Waagschale der Befürworter von lokalen Stromkonzepten auch gefüllt sein mag, das Ministerium hat Recht: Wer immer mehr Sonnenenergie direkt vor Ort nutzt und dafür weniger Netzstrom kauft, der verhält sich nicht konform mit den derzeitigen Verhältnissen am Energiemarkt.
Mieterstrom passt nicht ins konventionelle Energiesystem
Das bisherige, konventionelle Stromsystem sieht die kleinteilige Selbstversorgung einfach nicht vor. Jahrzehntelang kannte der Strom vielmehr nur eine Fließrichtung – vom Großkraftwerk über das Netz zum Verbraucher. Am Übergabepunkt, dem Zähler, ließ sich problemlos messen, wie viele Kilowattstunden ein Haushalt konsumierte. Und dies war folgerichtig auch die ideale Mautstation, an der, gekoppelt an die Arbeitsmenge, die fälligen Abgaben und Entgelte abkassiert werden konnten.
Dieses simple Verfahren für die verbrauchsgerechte Refinanzierung von Gemeinschaftsaufgaben, wie dem Bau und der Instandhaltung von Stromnetzen oder der Förderung von erneuerbaren Energieanlagen, wird nun durch den direkten Vor-Ort-Strombezug herausgefordert. Wer einen Teil seines Energiebedarfs bereits vor dem Zähler mit Sonnenstrom vom eigenen Dach deckt, der untergräbt, ob er es will oder nicht, das alte Energiesystem.
Für den politischen Regulator liegt da nichts näher als der Reflex, solch ein systemisches Fehlverhalten zu untersagen, zu sanktionieren oder zu deckeln. Es ist daher kein Zufall, dass das federführende Ministerium dem Mieterstrom ein Gesetz geschrieben hat, das mehr Bürokratie als Marktanreize verspricht. Und das mit Erfolg: Der vermeintliche Kostentreiber Mieterstrom boomt nicht. Bei lediglich rund zehn Megawatt an PV-Projekten wurde der gesetzlich geregelte Zuschlag seit dem Förderbeginn vor gut 1,5 Jahren in Anspruch genommen. Gemessen am vorgesehenen, jährlichen Deckel in Höhe von 500 Megawatt bewegt sich der Ausbau der Mieterstrom-Photovoltaik damit im Promillebereich.
Mieterstrom verkommt so zu einem schönen Beispiel dafür, wie sehr die Energiewende in der System-Sackgasse steckt. Der Mieterstromansatz lässt sich schlichtweg nicht reibungslos in das konventionelle Energiesystem integrieren. Vielmehr braucht es erst eine Systemtransformation, die vernünftig vernetzte Prosumermodelle anreizen und gleichzeitig eine faire Kostenverteilung und Versorgungssicherheit gewährleisten kann.
Systemkonflikte bremsen viele Energiewende-Innovationen
Und es finden sich viele weitere Energiewendeprojekte und Innovationen, die aufgrund der regulatorischen Hürden, die das alte System zusammenhalten, nicht in Fahrt kommen können.
Sonderausschreibungen und der weitere Erneuerbaren-Ausbau? „Die Voraussetzung ist die Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Netze“, heißt es nicht nur im Koalitionsvertrag. Im alten System waren Netzengpässe einfach nicht vorgesehen. Die alte Denke folgt der Maxime, dass jede Kilowattstunde jederzeit von A nach B transportiert werden kann. Und so lautet die reflexhafte Antwort auf die Volatilität der Erneuerbaren: Erst brauchen wir Netze.
Speicher, Power-to-X und dezentrale Flexibilitäten? Der innovative Druck aus den Unternehmen, die Engpasssituationen in den Stromnetzen dezentral zu meistern, stößt an die Systemgrenzen der alten Energiewelt. Kein Wunder: In der alten Energiewelt sorgte bereits das Stromnetz für ausreichendes Flexibilitätsangebot. Die neuen technischen Optionen stören da.
Lokale Strommärkte, Energiegemeinschaften, Prosumer, Peer-to-Peer-Handel? Strom kam in der alten Energiewelt weitestgehend grau und herkunftslos aus der Steckdose. Verbraucher differenzieren aber zunehmend zwischen Stromprodukten. Bio und regional wird relevant. Erzeugung und Verbrauch rücken mehr und mehr zusammen. Wie passen diese neuen Entwicklungen in die Strukturen des alten Energiesystems, das auf Börsenstrom und überregionalen Großhandel setzt?
Bürgerbeteiligung, Akzeptanz und Energiewende vor Ort? In der alten Energiewelt war Beteiligung eher ein nettes Beiwerk und mehr Folklore als systemrelevant. Der Strom wurde in großen Kraftwerken produziert und an die Kunden ausgeliefert. Das neue Energiesystem hingegen ist kleinteilig. Solaranlagen müssen auf die Dächer der Häuslebauer und die Windräder rücken an den Horizont der Dörfer. Der Kunde und die Peripherie rücken zunehmend ins Zentrum. Beteiligung und Akzeptanz werden zum systemimmanenten Erfolgskriterium für das Erreichen der Ausbauziele.
Ohne Systemwende keine Energiewende
Kurzum: es manifestieren sich mehr und mehr Systemkonflikte, die den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen. Dabei sind die Ambitionen für die Energiewende immens, allein schon, um das gesetzte 65-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen. Daher braucht es mehr als die Antworten, die das alte, konventionelle Energiesystem hergeben kann. Nicht die erneuerbaren Energien müssen sich dem konventionellen System anpassen, es ist vielmehr an der Zeit, dass das Energiesystem auf die Erneuerbaren angepasst wird. Die Energiewende muss raus aus der System-Sackgasse.
Dieser Beitrag ist der erste Teil der neuen Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.
Weitere Informationen finden Sie hier.
Fabian Zuber koordiniert als Leiter der Plattform EnergieSystemWende die Projekte der Stiftung und die Öffentlichkeitsarbeit. Er ist seit 2005 u. a. als Berater und Unternehmer für die Energiewende aktiv – etwa für ComMetering, First Solar, Deutscher Bundestag, und Bündnis Bürgerenergie.