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Dramatisches Klein-Klein

Katharina Wolf

Wer die Energiewende als Ganzes betrachtet, stellt schnell fest: Es gibt mehr als nur eine Hürde, die das Transformationsprojekt nehmen muss. Fehlende Flächen und langwierige Genehmigungsverfahren für neue Regenerativprojekte, ungünstige rechtliche Rahmenbedingungen, ein problematisches Marktdesign, drohender Fachkräftemangel - die Liste ist lang. Eine weitere Hürde, die bislang oft unter dem Radar lief, könnte für zusätzliche Verzögerung sorgen: die mangelnde finanzielle Ausstattung der Kommunen.

Sie sind die Arbeitsebene des Staates. Wenn die Bundesregierung ein ambitionierteres Klimaschutzgesetz beschließt und die Länder konkrete Maßnahmen wie eine Solarpflicht für Neubauten verabschieden, sind die Auswirkungen vor allem in den Kommunen zu spüren: Hier müssen Flächen bereitgestellt und Projekte genehmigt werden, hier werden Diskussionen über Windenergieanlagen, Verkehrswende und Quartierssanierung mit den Bürgern geführt.

Planungen, Ausstattung von Genehmigungsbehörden, Akzeptanzmaßnahmen für die Bevölkerung: All das kostet viel Geld. Allein für die kommunale Wärmeplanung, die in Baden-Württemberg mit dem neuen Klimaschutzgesetz für größere Kommunen verpflichtend wird, rechnet die Landesregierung mit einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag an Kosten.

Zwar werden in der Regel Fördermittel bereitgestellt, doch sind viele Gemeinden nicht in der Lage, den notwendigen Eigenanteil aufzubringen. Die Kommunen in Deutschland haben laut Deutschem Städte- und Gemeindebund (DSTGB) schon jetzt einen Investitionsrückstand von 149 Milliarden Euro. „In den Kommunen fehlt es nicht am Willen, sich für die Energiewende zu engagieren“, sagt Timm Fuchs, Beigeordneter für Energiepolitik beim DSTGB. „Aber die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen müssen sich ändern.“

Verlässliche Sockelförderung

„Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert“, kritisiert Christine Karasch, Dezernentin für Umwelt, Planen und Bauen, Region Hannover. „Sie sind kaum in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen.“ Sie fordert einen Wechsel in der Förderung. „Wir brauchen eine verlässliche Sockelförderung ohne Eigenanteil, damit Kommunen ihren Aufgaben beim Klimaschutz gerecht werden können.“ Die jetzige Fördermethode sei aus finanziellen Gründen problematisch und wegen des bürokratischen Aufwands. „Allein das Beantragen der Fördermittel für jedes Einzelprojekt ist für viele Kommunen personell kaum zu leisten. Die bürokratischen Rahmenbedingungen hinken den Ansprüchen hinterher.“

Solarkataster für Hannover

In Hannover stellt sich zudem eine herausfordernde Situation: Auf Druck einer Bürgerinitiative soll ein innerstädtisches Kohlekraftwerk möglichst bis 2026 und damit früher als ursprünglich geplant stillgelegt werden. „Wir brauchen zwölf neue Kraftwerke, von Klärschlammverbrennung über Altholz, Biogas bis hin zur Geothermie, um dieses Werk zu ersetzen“, so Karasch. „Bis jetzt haben wir zwei Standorte identifiziert.“ Der Verbrauch in der Stadt benötige Platz – oft auf Kosten der Umlandgemeinden. „Dort darf aber nicht der Eindruck entstehen, man sei nichts weiter als ein Kraftwerkstandort für die Stadt.“ Trotzdem sei schon viel bewegt worden, so Karasch: So gibt es beispielsweise ein Solarkataster für die Dächer der niedersächsischen Landeshauptstadt, auch kleinere Gemeinden stemmen ein Dächer-Programm oder können sich rechnerisch schon selbst mit erneuerbaren Energien versorgen.

500 Kilometer weiter östlich, Frankfurt an der Oder. Hier ist das Geld besonders knapp, die Stadt ist in der Haushaltskonsolidierung, für zusätzliche Ausgaben sind keine finanziellen Mittel vorhanden. „Wir haben finanziell überhaupt keine Möglichkeit, Klimaschutz zu betreiben“, sagt André Benedict Prusa, Dezernent für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt. „Derzeit können wir nur Maßnahmen umsetzen, die sich von vornherein rechnen.“ Eine PV-Anlage auf dem Kindergarten, der dann selbst den Strom verbraucht, sei so eine Maßnahme. „Wir machen Klein-Klein im Vorgarten der Energiewende, aber die großen Aufgaben lassen wir liegen“, so Prusa. Themen wie klimagerechtes Bauen, Sanierung im Bestand, das Wassermanagement der Oder – für die erforderlichen Vorplanungen oder neue technische Lösungen stünden weder Geld noch Personal zur Verfügung.

Doch in Frankfurt will man aus der Not eine Tugend machen. „Auch wir haben das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, und deshalb müssen wir tätig werden“, sagt Prusa. Die Stadt setzt deshalb auf einen Klimapakt, an dem die 20 größten Emittenten beteiligt werden sollen. „Wir fragen ab, welche Lösungen jeder von ihnen für sich sieht. Dann wissen wir, was wir zu erwarten haben und müssen uns als Stadt nur noch um das Delta kümmern.“

Um dieses Delta möglichst klein zu halten, will Frankfurt (Oder) auf smarte Lösungen setzen. So wird der Folgekostenrechner – ein kostenloses Tool, mit dem Kommunen die Folgekosten von Baugebieten, etwa Grünpflege und Unterhalt, berechnen können – derzeit zum CO2-Rechner umprogrammiert. „Wir können dann bei neuen städtebaulichen Planungen abschätzen, wie viel CO2 im Quartier noch emittiert wird und so auch unterschiedliche Planungen vergleichen und eine neue Entscheidungsgrundlage schaffen“, erläutert der Dezernent.

Prusa ist zuversichtlich, mit seinen Maßnahmen schon einiges erreichen zu können: Der Klimapakt sei in der Umsetzung, ein Kohlekraftwerk auf Gas umgestellt, 38 Dächer für PV-Anlagen konnten erfolgreich ausgeschrieben werden, mit Landwirten sei eine Nutzung von 20 Hektar für PV vereinbart, auch eine Windfläche werde geplant. Doch weitere Aufgaben – Gebäudebestand und Verkehr – seien auch angesichts der Industrieansiedlungen wie ein Logistikzentrum vor der Stadt und Elektro-Autobauer Tesla im nahegelegenen Grünheide groß.

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